Vor 80 Jahren: Vom 26. bis 29. Mai 1938 fand in Bremen die Reichskolonialtagung statt
Die tropische Hitze passte zum Anlass: Die Temperaturen kletterten auf bis zu 30 Grad, als die Bremer Nachrichten am 27. Mai 1938 „die deutschen Kolonialkämpfer“ willkommen hießen. Aus ganz Deutschland strömten sie vor 80 Jahren herbei, die Mitglieder des Reichskolonialbundes (RKB). In 15 Sonderzügen waren sie angereist, um an der Reichskolonialtagung teilzunehmen – der ersten Mitgliederversammlung nach der Gleichschaltung zwei Jahre zuvor.
Recht zahlreich seien auch die Angehörigen „unserer früheren Schutztruppe“ vertreten, frohlockten die Bremer Nachrichten. In ihren braunen Khaki-Uniformen vermittelten sie dem Straßenbild „eine besondere Note“. Selbstbewusst meldeten sich die Gastgeber zu Wort: „Wir sind Nachkommen des ersten Geschlechts der deutschen Kolonialpioniere“, tönte zur Begrüßung NS-Senator Otto Bernhard. „Der Geist, der sie hinausführte über die Meere, in die Tropen und in andere Breiten, ist unser Geist.“
Seine Kolonien hatte Deutschland damals schon längst verloren. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg musste das Reich 1919 im Versailler Vertrag auf seine „Schutzgebiete“ in Afrika und Asien verzichten. Vom rein ökonomischen Gesichtspunkt betrachtet, war der Verlust eigentlich ein Gewinn. Denn wirklich profitabel waren die Kolonien nie gewesen. Im Gegenteil: Die blutigen Kämpfe in Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika, heute Namibia und Tansania, hatten immense Kosten verursacht und dadurch die Kolonialeuphorie empfindlich gedämpft. Als Deutschland nach Niederschlagung der Aufstände versuchte, eine gemäßigtere Kolonialpolitik in Gang zu bringen, war es schon zu spät, nur noch wenige Jahre blieben bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Bremen als kolonialer Vorreiter
Ironischerweise begeisterten sich viele Deutsche für „ihre“ Kolonien erst, als sie nicht mehr Teil des Reichs waren. Vor allem Bremen entdeckte bereits einige Jahre vor der NS-Machtübernahme seine Sendung als Vorreiter im Bestreben um die Rückgabe der Kolonien. Gern verwies man auf die Bremer Protagonisten bei der „Landnahme“ in Afrika, in erster Linie auf den Kaufmann Adolf Lüderitz. Hoch im Kurs standen auch der Vegesacker Afrikaforscher Gerhard Rohlfs und der Kaufmann Johann Karl Vietor, der freilich in ganz Westafrika gute Geschäfte gemacht hatte, keineswegs nur in deutschen Kolonien.
Als der gefeierte „Löwe von Afrika“, General Paul von Lettow-Vorbeck, 1923 eine neue Bleibe suchte, fand er willige Helfer in Bremer Kaufmannskreisen. Mit dem charismatischen General als Aushängeschild nahm der Kolonialrevisionismus an der Weser einen beachtlichen Aufschwung, sein Domizil in Schwachhausen avancierte zum Treffpunkt der Kolonialfreunde. Nicht zufällig wurde das „Reichskolonialehrenmal“ 1931 ausgerechnet in Bremen errichtet, schon allein die Namensgebung untermauerte den Bremer Alleinvertretungsanspruch als „Stadt der Kolonien“ – das Ehrenmal sollte ein nationales Denkmal sein, eine Pilgerstätte für Kolonialenthusiasten aus dem ganzen Reich. Ein durchsichtiger Versuch, der Hamburger Konkurrenz den Rang als inoffizielle Hauptstadt der kolonialen Bewegung abzulaufen.
An diese Vorgeschichte konnten die neuen NS-Machthaber nach 1933 nahtlos anknüpfen. Eine leichte Übung auch deshalb, weil die Kolonialbewegung schon vor Hitlers Triumph immer weiter nach rechts gedriftet war. Systematisch setzten die lokalen Parteigrößen alles daran, Bremens Ruf als „Kolonialstadt“ zu festigen und auszubauen. Womöglich auch, um bei Hitler zu punkten – der „Führer“ galt nicht gerade als Freund des „roten“ Bremen.
Ein wichtiger Baustein war dabei die museale Präsenz. Hatte sich Bremen mit dem Kolonialehrenmal schon eine nationale Gedenkstätte gesichert, so sollte mit dem deutschen Kolonialmuseum noch ein zweiter Anlaufpunkt hinzugekommen. Wobei zunächst gar nicht an das heutige Übersee-Museum als Kolonialmuseum gedacht war. Vielmehr versuchte der Senat, mit tatkräftiger Unterstützung des Kaffee HAG-Magnaten Ludwig Roselius ein „Lüderitz-Haus“ als Kolonialmuseum einzurichten. Erst als daraus nichts wurde, kam NS-Bildungssenator Richard von Hoff im Januar 1935 auf den pfiffigen Gedanken, das heutige Übersee-Museum kurzerhand in „Deutsches Kolonial- und Übersee-Museum“ umzubenennen.
Koloniale Volksfeste
Bei so viel Kolonialbegeisterung passte die Gastgeberrolle beim dreitägigen Kolonialtreffen vom 26. bis 29. Mai 1938 optimal ins Konzept. Mit erheblichem Propagandaaufwand wurden die auswärtigen Gäste hofiert, im Rathaus gab es einen Festakt, im Casino und in den Centralhallen fanden koloniale Volksfeste statt, in wissenschaftlichen Vorträgen nahm der Kolonialgedanke beredte Form an. Bremen habe nicht nur eine große koloniale Tradition, sondern auch die „koloniale Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe klar erfasst“, befanden die Bremer Nachrichten.
Um diesen Anspruch zu untermauern, wurde noch während der Kolonialtagung höchst publikumswirksam die Oberschule in der Dechanatstraße in Lüderitzschule umgetauft. Wenig später erhielt die neue Kaserne in der Vahr den Namen Lettow-Vorbeck-Kaserne. Für den „Helden von Ostafrika“ bereits die zweite Ehrung in Bremen, fungierte er doch schon seit 1933 als Namenspatron des vormaligen Realgymnasiums, heute Hermann-Böse-Gymnasium. Dem ersehnten Ziel diente auch eine massive Kampagne zur Erhöhung der regionalen Mitgliederzahl im Reichskolonialbund, mithilfe von Zeitungsanzeigen und Transparenten wurden die „Volksgenossen“ zum Eintritt in die Organisation aufgerufen.
Wohl durchdacht war, dass parallel zur Kolonialtagung am 25. Mai 1938 auch die Ausstellung „Bremen – Schlüssel zur Welt“ auf der Bürgerweide ihre Pforten öffnete. Vor den Augen des „neuen Deutschland“ wollte Bremen mit dieser größten Leistungsschau seit der Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung von 1890 seine Produktivität wie auch sein Potenzial unter Beweis stellen. Bis zum Ende der Schau am 19. Juni 1938 besuchten rund 600.000 Gäste die Hansestadt.
Dass in den Ausstellungshallen auch dem kolonialen Thema viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, versteht sich fast von selbst. Eine Abteilung befasste sich mit dem „Raub der deutschen Kolonien“, eine andere ging auf den „kolonialen Kampf“ um Restitution der früheren Schutzgebiete ein. „Deutschlands Recht auf Kolonien wird schließlich in Aussprüchen führender Männer des Dritten Reiches erhärtet“, berichteten die Bremer Nachrichten.
Kolonialtagungen nur noch in Bremen
Keine Frage, Bremen war in diesen Tagen das Zentrum der deutschen Kolonialbewegung. Und wollte es auch bleiben: Die Jahreshaupttagungen des RKB dürften künftig nur noch in Bremen stattfinden, forderte der Regierende Bürgermeister Heinrich Böhmcker im Juni 1938. Als „Geburtsstätte des kolonialen Gedankens“ habe Bremen ohnehin den „ersten Anspruch“ auf den Titel „Stadt der Kolonien“ – ähnlich wie Nürnberg als „Stadt der Reichsparteitage“ oder München als „Hauptstadt der Bewegung“.
Von diesem Sendungsbewusstsein hat sich bis heute einiges erhalten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass im 2017 veröffentlichten Senatspapier zum Bearbeitungsstand des Kolonialismus und seiner Folgen von einer „spezifischen Aufgabe Bremens hinsichtlich des deutschen Kolonialismus“ die Rede ist. Wie in längst verflossenen Tagen nimmt auch Lüderitz wieder eine besondere Rolle ein, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen: „Da die deutsche Kolonialherrschaft im Gebiet des heutigen Namibia durch den Bremer Lüderitz initiiert wurde, hat Bremen für sich seit den 1970er-Jahren eine besondere Aufgabe bezüglich des Themas Kolonialismus abgeleitet.“
Und der ersehnte Titel? So sehr sich Bremen in den späten 1930er Jahren auch mühte: Eine offizielle Anerkennung als „Stadt der Kolonien“ blieb aus, der nächste Krieg kam dazwischen. Ob es NS-Deutschland jemals ernst meinte mit der geforderten Wiederherstellung des Kolonialimperiums, darf indessen mit Fug und Recht bezweifelt werden. Trotz anderslautender Bekundungen gab Hitler in Wahrheit nicht viel auf das deutsche Intermezzo als Kolonialmacht, sein koloniales Interesse galt der Eroberung von „Lebensraum“ im Osten.
von Frank Hethey
Der Historiker Heinz-Gerd Hofschen hält am Dienstag, 29. Mai, ab 19 Uhr im Kulturhaus Walle, Schleswiger Straße 4, einen Vortrag zum Thema „Bremen und der Kolonialismus“. Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 4 Euro.
Dieser Beitrag ist eine erweiterte Fassung eines Beitrags, der am 26. Mai 2018 im Weser-Kurier erschienen ist.