Ein Blick in die Geschichte (105): Aquarell von 1817 öffnet Blick auf den Standort des heutigen Polizeihauses 

Fast ländlich, um nicht zu sagen: provinziell wirkt Bremen auf diesem nahezu 200 Jahre alten Aquarell. Erst recht, wenn man sich vor Augen hält, welche Örtlichkeit es darstellt: Zu sehen ist die Ecke Ostertorstraße/Am Wall, in der Mitte befindet sich heute das wuchtige Polizeihaus, rechts geht es in Richtung Kunsthalle.

Ursprünglich hochmodern: die Bremer Befestigungsanlagen, hier auf einem Stich aus dem Jahr 1729. Quelle: Wikicommons

Ursprünglich hochmodern: die Bremer Befestigungsanlagen, hier auf einem Stich aus dem Jahr 1729.
Quelle: Wikicommons

Von den abgebildeten Gebäuden hat sich kein einziges erhalten. Am auffälligsten ist der Ostertorzwinger am rechten Bildrand. Das zu Beginn des 16. Jahrhunderts errichtete Bauwerk diente als Munitionslager. Oder Pulverturm, wie es im damaligen Sprachgebrauch hieß. Im unteren Teil befanden sich eine Folterkammer und ein Gefängnis. Am linken Bildrand erhebt sich als Teil der früheren Stadtmauer das alte Ostertor, der Turm mit seinem gotischen Treppengiebel stammte aus dem 14. Jahrhundert.

Dieses Motiv war ziemlich beliebt, es findet sich auf mehreren historischen Darstellungen wieder. Als sich 1817 der Hobbymaler George Ernest Papendiek der Sache annahm, waren die Tage von Ostertor und Ostertorzwinger schon so gut wie gezählt. Der Grund: Die ursprünglich hochmodernen Befestigungsanlagen aus dem 17. Jahrhundert waren damals längst nicht mehr zeitgemäß, ab 1802 wurden sie Stück für Stück abgetragen. Damit standen auch die dazugehörigen Gebäude zur Disposition. Erst wurde 1826 das Ostertor abgebrochen, 1828 auch der Ostertorzwinger.

Wie gut, dass Papendiek vorher noch zum Pinsel griff.

Papendiek ahnte die Vergänglichkeit

Vielleicht ahnte er bereits, dass sich diese Perspektive nicht mehr allzu lange bieten würde. War doch das Haus in der Bildmitte schon ein Neubau – errichtet 1817, also just in dem Jahr, als Papendiek das Aquarell malte. Der Senator Johann Pavenstedt hatte das klassizistische Gebäude in Auftrag gegeben, die Pläne stammten von Stadtzimmermeister Johann Georg Poppe, dem Großvater des gleichnamigen historistischen Architekten, der unter anderem die Baumwollbörse und das Lloydgebäude entwarf. Noch Zukunftsmusik war damals das später als Veranstaltungs- und Konzerthaus so bedeutende Nachbargebäude der „Union“, das erst ab 1835 entstand.

Auch von George Ernest Papendiek: Ansicht des Bremer Doms von Osten aus dem Jahr 1820. Quelle: Wikicommons

Auch von George Ernest Papendiek: Ansicht des Bremer Doms von Osten aus dem Jahr 1820.
Quelle: Wikicommons

Doch wer war eigentlich George Ernest Papendiek, woher die englischklingenden Vornamen? Der damals 29-Jährige hatte in Windsor das Licht erblickt, seine Vorfahren waren 1714 im Gefolge des hannoverschen Kurfürsten, seither in Personalunion auch englischen Königs Georg I. nach England gelangt. Als Kaufmann kam er 1817 erstmals in die Heimat seiner Väter zurück, Bremen dürfte seine erste Station auf deutschem Boden gewesen sein. Er heiratete eine Bremerin, spätestens ab 1824 wohnte er dauerhaft an der Weser.

Das Aquarellieren hatte er bereits vorher erlernt, es galt damals geradezu als englische Domäne. Nicht nur in Bremen fertigte Papendiek etliche Bilder an, das Gleiche tat er auch in anderen deutschen Städten.

Große Stücke auf Papendiek hielt Dr. Gustav Pauli, der bekannte Direktor der Kunsthalle. Weitaus „mehr als ein gewöhnlicher Dilettant“ sei Papendiek gewesen, schreibt Pauli in einer biografischen Skizze. Der Förderer der Worpsweder Maler rechnete ihn den „ehrlichen Meistern“ zu, die im krassen Gegensatz gestanden hätten zu den Vertretern eines „blutleeren Monumentalstils“. Ehrlich auch deshalb, weil Papendiek als Hobbykünstler nicht danach trachtete, einem Motiv seinen Stempel aufzudrücken, es nach eigener Maßgabe zu gestalten. Vielmehr versuchte er, die Eindrücke so zu Papier zu bringen, wie er sie vorfand. Mit anderen Worten, seinen Aquarellen haftet ein hohes Maß an Authentizität an, sie vermitteln ein sehr detailgetreues Bild der damaligen Verhältnisse.

Bremen kann sich also glücklich schätzen über den Eifer Papendieks. Wäre seine Lust an der Malerei nicht gewesen, hätten wir heute keine so wunderbaren Eindrücke vom alten Bremen. Und es würden wohl noch viele hinzugekommen sein, wäre er nicht bereits 1835 mit nur 46 Jahren an Tuberkulose gestorben. Die meisten seiner Werke befinden sich heute in der Kunsthalle.

von Frank Hethey

Fast ländlich: die Ecke Ostertorstraße/Am Wall im Jahre 1817. Quelle: Hans Hermann Meyer, Die Bremer Altstadt, Bremen: Edition Temmen 2003

Fast ländlich: die Ecke Ostertorstraße/Am Wall im Jahre 1817.
Quelle: Hans Hermann Meyer, Die Bremer Altstadt, Bremen: Edition Temmen 2003

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