Vor 50 Jahren

Am 5. Juli eröffnet Pro Familia, Landesverband Bremen, wie bereits ausführlich berichtet, eine Beratungsstelle für Sexualberatung und Familienplanung in den Räumen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Fedelhören 49. (WESER-KURIER, 3. Juli 1972)

Hintergrund

Ein echter Spätzünder war Pro Familia in Bremen. Im Dezember 1952 hatte sich der Verein als „Deutsche Gesellschaft für Ehe und Familie“ in Kassel mit dem Ziel gegründet, ohne Einfluss von Staat oder Kirche sachkundige Hilfestellung bei Fragen zur Sexualität und Familienplanung anzubieten. Nach verhaltenen Anfängen gab es 1967 in nahezu allen Bundesländern eigene Landesverbände. Als letzter Landesverband gesellte sich Bremen im Juli 1969 hinzu, die Gründung erfolgte in Bremerhaven.

Bis zur Einrichtung von Beratungsstellen verstrichen allerdings nochmals mehr als zwei Jahre. Bremerhaven ging voran, im Juli 1972 zog Bremen nach. Erst schlüpfte Pro Familia beim Paritätischen Wohlfahrtsverband im Fedelhören unter, im Spätsommer 1977 wurde ein eigenes Domizil in der Straße Am Dobben eingerichtet. Den späten Start begründete der stellvertretende Vorsitzende Gerhard Winter damit, dass man „sehr lange gebraucht“ habe, bis eine Ärztin für die Aufgabe gefunden worden sei.

Damals erklärte Winter, bei Pro Familia wolle man nur beraten, mehr nicht. Doch diese Haltung änderte sich. Der Hintergrund: Der erbitterte Streit um den Abtreibungsparagrafen 218. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verschärfte der Bundestag 1976 das erst zwei Jahre zuvor liberalisierte Gesetz, eine Abtreibung war jetzt nur noch unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Dazu zählte das Vorhandensein einer sozialen Notlage.

Der neue Mann an der Spitze der SPD: Henning Scherf (Mitte) mit seinem Vorgänger Moritz Thape (links) und Bürgermeister Hans Koschnick beim Landesparteitag am 12. März 1972.
Foto: Walter Schumann

In dieser Situation machte sich der Bremer Landesverband für ein pragmatisches Vorgehen stark. Beratung und Behandlung – sprich: Schwangerschaftsabbruch – sollten unter einem Dach vereint werden. Der zunächst auf vier Jahre angelegte Modellversuch fand bundesweit Beachtung, im Februar 1979 eröffnete das Beratungs- und Behandlungszentrum an der Stader Straße. „Zu unserer Arbeit gehören nicht nur Ratschläge zur Empfängnisverhütung, sondern auch die Hilfe, wenn Familienplanung einmal schiefgeht“, sagte der damalige Pro-Familia-Landesvorsitzende Gerhard Amendt.

Für das neue Beratungs- und Behandlungszentrum gab es einen stattlichen Bundeszuschuss. Unumstritten war das Zentrum freilich nicht, sogar aus anderen Pro-Familia-Landesverbänden wurde Kritik laut. Besonders rustikal agierte der aus Bremen stammende Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar. Sein Vorwurf: Pro Familia Bremen ziehe die Tötung menschlichen Lebens der Lösung sozialer Probleme vor. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Gesundheitssenator Herbert Brückner (SPD) sprach von einem „ungeheuerlichen Vorwurf“.

Wie aufgeheizt das Klima war, zeigt der Brandanschlag auf die Bremer Pro-Familia-Räume im Juni 1980. Zwei weitere Anschläge auf die Beratungsstellen in Hamburg und Kiel folgten, ehe der offenbar geistig verwirrte Täter gefasst wurde. Pro Familia bezichtigte CDU/CSU und katholische Kirche einer anhaltenden Verleumdungskampagne, die jetzt „erste gewalttätige Folgen“ nach sich ziehe. Bis heute polarisiert das Thema Abtreibung. Das erst jüngst gekippte, sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche macht das deutlich – und der Spruch des obersten US-Gerichts zugunsten des Abtreibungsverbots.

So harmonisch wie zuvor blieb das Verhältnis zwischen Pro Familia und Senat indessen nicht. Im Frühling 1987 beschwerte sich Pro Familia, der Senat wolle den Verein „aushungern“. Der Anlass: ein immenser Schuldenberg, der aus Sicht von Pro Familia wegen ausbleibender Zahlungen aus dem Landeshaushalt zustande gekommen war. Der damalige Gesundheitssenator Henning Scherf (SPD) reagierte verärgert und ordnete eine unverzügliche Zahlung aus Wettmitteln an.

Laut Satzung versteht sich der Pro-Familia-Landesverband als „Fach- , Dienstleistungs- und Interessenverband für alle Frauen, Männer, Jugendlichen und Kinder auf dem Gebiet der sexuellen und reproduktiven Gesundheit“. Im Land Bremen gibt es drei Beratungsstellen an der Hollerallee, in Vegesack und in Bremerhaven. Hinzu kommt das Medizinische Zentrum an der Hollerallee, wo Frauen eine Schwangerschaft abbrechen und Männer sich sterilisieren lassen können. Im Zentrum sei die Frau „eine normale Patientin, die Tabuisierung entfällt“, sagt Margot Barkey, die organisatorische Leiterin. „Bremen kann stolz auf uns sein.“

Auf der Straße: Frauen und Männer protestieren im November 1971 gegen den Paragrafen 218.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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