Vor 50 Jahren bezogen die ersten Bewohner die Wohnanlage in der Vahr

Im Jahr 1969 wurde mit dem Bau begonnen und 1972 konnten die ersten Bewohnerinnen und Bewohner bereits einziehen. Die Wohnanlage „Großer Kurfürst“ in der Vahr stellte zur damaligen Zeit fast schon eine kleine Revolution für den Bremer und den deutschen Wohnungsbau dar. Platz für die neuen Mieterinnen und Mieter war und ist im Großen Kurfürsten vorhanden: 206 Wohneinheiten befinden sich in dem 1970er-Jahre-Bau. Ein gewöhnlicher Wohnkomplex ist das Gebäude in der Eislebener Straße aber nicht.

Die Wohnanlage zeichnet sich nicht nur aufgrund ihrer Kapazitäten aus – einst gab es eine eigene Kindertagesstätte im Gebäude und bis heute steht den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Wellnessbereich mit Schwimmbad, Sauna und Sonnenterrasse auf dem Dach zur Verfügung. Im Gegensatz zu normalen Wohnblocks wurde nicht ein Wohnungstyp vervielfacht, sondern vermeintlich unvereinbare Wohnungstypen miteinander kombiniert. Neun verschiedene Wohnungstypen beherbergt der Große Kurfürst: Von Einzimmerwohnungen, von denen es insgesamt 92 gibt, bis zu den acht Viereinhalbzimmerwohnungen, gibt es verschiedene Wohnungsmodelle, die zum Teil auch zweigeschossig sind.

Besonders auffällig ist am „Großen Kurfürsten“ die Farbe: Das Gebäude ist mit Eternit-Colorit-Platten verkleidet, die fast schwarz wirken. Die Blumenkästen an den Terrassen und Balkonen sind weiß gehalten und in den unteren Geschossen runden horizontale, orangefarbene Akzente das Bild ab. „Das Farbkonzept ist typisch für die 70er-Jahre und bis heute auch noch sehr gut erhalten“, sagt Uwe Schwartz vom Landesamt für Denkmalpflege, der einen Beitrag über den „Großen Kurfürsten“ im kürzlich erschienen 19. Heft der Schriftenreihe „Denkmalpflege in Bremen“ geschrieben hat.

So sah das Modell des „Großen Kurfürsten“ aus.
Quelle: Archiv Bremer Zentrum für Baukultur/ Franz Scheper

Auffällige Frontalansicht

Auch die Form des 200 Meter langen Gebäudes fällt auf. An der Frontansicht kann man nämlich die verschiedenen Wohnungstypen gut erkennen. Durch versetztes Bauen konnte man auch auf engem Raum die Privatheit der Wohnungen, Terrassen und Balkone gewähren, ohne dafür Trennwände einbauen zu müssen. Die Rückansicht, die zur Kurfürstenallee zeigt, wirkt dagegen eher unauffällig. Das liegt daran, dass alle Wohnungen nach Süden hin ausgerichtet sind, die Kurfürstenallee vom „Großen Kurfürsten“ aus gesehen aber im Norden liegt. „An der Rückseite liegen nur die Eingänge zu den Wohnungen und sie dient zum Lärmschutz. Dort lebt man nicht, man betritt hier nur seine Wohnung“, erklärt Uwe Schwartz.

Der „Große Kurfürst“ wurde von dem Architektenehepaar Friedrich und Ingeborg Spengelin entworfen. Das gemeinsame Architekturbüro war in die Stadtplanungen vieler deutscher Städte involviert gewesen. Zusammen mit der Neuen Heimat, ein gemeinnütziges Bauunternehmen, das zum Deutschen Gewerkschaftsbund gehörte, planten die Spengelins den „Großen Kurfürsten“.

Sozialer Wohnungsbau stand bei der Konzeption der Wohnanlage nicht auf der Agenda. Der „Große Kurfürst“ war von Beginn an für die Privatisierung angelegt und richtete sich daher auch in seiner Ausstattung – wie etwa das Schwimmbad auf dem Dach – an gut situierte Bremerinnen und Bremer. Friedrich Spengelin war nicht nur Architekt und Stadtplaner, sondern auch Lehrer an der Technischen Hochschule Hannover, der Akademie der Künste in Berlin und der Freien Akademie der Künste Hamburg. Dort verschriftlichte er viele seiner Ideen und Ansätze, auch zum Konzept des verdichteten Wohnraums. Dieses Konzept findet sich auch im „Großen Kurfürsten“ wieder. „Verdichteter Wohnraum bedeutet, dass man versucht, weniger Fläche zu verbrauchen und damit eine kompaktere Stadt mit wenig Platz zwischen den einzelnen Gebäuden erhält“, erklärt Uwe Schwartz. Die Verwirklichung dieses Konzeptes in einem einzelnen Gebäude war zur damaligen Zeit aber etwas vollkommen Neues.

Stadterweiterung ab 1945

Der heutige Stadtteil Vahr war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch sehr ländlich geprägt. Eine großflächige Bebauung hatte noch nicht stattgefunden. Nach 1945 musste aber neuer Wohnraum her – der Krieg hatte nicht nur weite Teile Bremens in Schutt und Asche gelegt, es wurden auch viele Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten aufgenommen. 1954 suchte der Bremer Senat deshalb nach geeigneten Flächen für die Anlage einer Großsiedlung – und hat diese unter anderem in der Vahr gefunden.

Mit den ab den 1950er-Jahren geplanten Wohnsiedlungen begann dann auch die systematische Stadterweiterung im Osten der Hansestadt (mehr zur Gartenstadt Vahr hier). Im Gegensatz zum Konzept des verdichteten Wohnraums der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre, baute man in den 1950er-Jahren in die Breite. Zwischen den einzelnen Gebäuden wurde möglichst viel Raum frei gelassen, um zum Beispiel Grünflächen anzulegen.

Die Planung des „Großen Kurfürsten“ in der Vahr begann 1961. Das Gebäude wurde 1972 fertiggestellt.
Quelle: Archiv Bremer Zentrum für Baukultur/ Franz Scheper

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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