Vor 50 Jahren

Zu einem handfesten Prozeß entwickelt sich die Auseinandersetzung zwischen dem Feuilletonredakteur Dr. Erich Emigholz von den „Bremer Nachrichten“ und dem Leitenden Regierungsdirektor Dr. Eberhard Lutze von der Behörde des Senators für das Bildungswesen. Gegen den von Emigholz verfaßten Bericht unter der Überschrift „… aber er ist ein ehrenhafter Mann“ vom 6. Dezember 1971, in dem Lutze unter anderem der Rädelsführerschaft für den Raub des Veit-Stoß-Altares zu Beginn des zweiten Weltkrieges aus der Marienkirche in Krakau bezichtigt wird, hat gestern nachmittag Dr. Gustav A. Salander im Auftrage von Lutze bei der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bremen Klage auf Widerruf und Unterlassung eingereicht. (WESER-KURIER, 22. Dezember 1971)

Hintergrund

So ganz neu waren die Vorwürfe gegen den Abteilungsleiter für Kunst und Wissenschaft nicht. Im Dauerstreit um den avantgardistischen Theaterintendanten Kurt Hübner war die NS-Vergangenheit Eberhard Lutzes bereits einige Jahre zuvor publik geworden. Im Oktober 1968 griff sogar „Der Spiegel“ das Thema auf. „Als Deutschland erwachte, wollte auch Lutze nicht ruhen“, ätzte „Spiegel“-Redakteur Fritz Rumler. Als Kunstwissenschaftler habe Lutze damals über den Stoß-Altar nicht schreiben können, „ohne die ‚Verpolung‘ und ‚Verjudung‘ Krakaus zu bejammern“.

Als sich Erich Emigholz der Sache im Dezember 1971 annahm, kamen noch weitere Anschuldigungen hinzu. Lutze habe sich den Kunstraub von Hitler genehmigen lassen und nach Kriegsende geplant, den Altar in Nürnberg aufzustellen. Für den langjährigen Regierungsdirektor war damit das Maß voll, er sah sich als Opfer einer Hetzkampagne und verklagte seinen Kontrahenten.

Begehrte Lektüre: das Veit-Stoss-Buch von Eberhard Lutze.
Quelle: Privat

Nach Ansicht seines Anwalts Gustav A. Salander ging es in Wahrheit um den „Fall Hübner“, nicht um einen „Fall Lutze“. Eine Anspielung auf den Ärger um die ausbleibende Vertragsverlängerung des Intendanten, ein Politikum seit Sommer 1971. Lutze galt den Hübner-Freunden als böser Geist hinter dem zuständigen Senator Moritz Thape (SPD). Den Vorwurf der „Rädelsführerschaft“ beim Altarraub wies Salander entschieden zurück. Als damaliger Konservator am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg habe Lutze im Herbst 1939 an der „Sicherstellung des Altars“ nur mitgewirkt, aber nicht in führender Funktion.

Ein halbes Jahr wurde vor der Achten Zivilkammer des Landgerichts verhandelt, als prominentester Zeuge sagte der frühere Rüstungsminister Albert Speer in Bremen aus. Im Juli 1972 urteilte das Gericht zugunsten des Klägers, Emigholz sollte seine Anschuldigungen unterlassen und öffentlich widerrufen. Dagegen legte sein Rechtsbeistand Berufung ein, in zweiter Instanz einigten sich die Streithähne im Oktober 1972 auf einen Vergleich: Emigholz versprach, seine Vorwürfe nicht zu wiederholen, dafür verzichtete Lutze auf die Forderung nach einem Widerruf.

Freilich war die Angelegenheit damit noch nicht vom Tisch. Wenige Tage später kündigte der Senat an, die „unterbrochene Prüfung“ des Falles zu Ende führen zu wollen. Offenbar kam dabei nichts Nachteiliges über Lutze ans Licht, im Februar 1973 wechselte er regulär in den Altersruhestand. Nur ein Jahr später starb Lutze im Alter von 66 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

Bis zuletzt erfreute sich Lutze der Rückendeckung seiner Vorgesetzten. Seit seiner Anstellung 1950 war er auch als Autor von Kunstbüchern ungemein produktiv gewesen. Insgesamt zehn Werke veröffentlichte er während seiner Amtszeit, darunter auch mehrere Neuauflagen seines Veit-Stoss-Buchs von 1938. Dessen Altar aus dem 15. Jahrhundert war damals schon längst nach Krakau zurückgekehrt, seit 1957 befindet er sich wieder am alten Standort.

Eingefädelt wurde der NS-Beutezug offenbar nicht von Lutze, er opponierte aber auch nicht dagegen. Seiner Reputation hat die Affäre dennoch nachhaltig geschadet. Ausgerechnet sein Nachfolger Volker Plagemann erneuerte die Vorwürfe, nachzulesen in der viel beachteten „Geschichte der Freien Hansestadt Bremen“, die 2010 in der Edition Temmen erschien. Dass sozialdemokratische Senatoren dem früheren NS-Kunstbeamten freie Hand ließen, kann er sich nur mit dem „Kulturkonservatismus von Bürgertum und SPD“ erklären. Oder, wie es der Theaterwissenschaftler Lutz Liffers formuliert: Kurz nach Kriegsende hatten die Sozialdemokraten andere Prioritäten, die Kultur überließ man den Bürgerlichen.

Umstritten: der langjährige Bremer Kulturleiter Eberhard Lutze.
Foto: Klaus Sander

 

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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