Vor 50 Jahren

Der künftige Senat wird nicht – wie ursprünglich vorgesehen und am 15. November auf dem letzten SPD-Landesparteitag von Bürgermeister Koschnick vorgeschlagen – zehn, sondern elf Mitglieder haben. Zu den bereits genannten Kandidaten kommt der 56jährige derzeitige Ortsamtsleiter von Obervieland, Albert Müller, als elfter Mann in die Landesregierung. Müller soll das zusätzlich geschaffene Ressort „Gesundheit und Umweltschutz“ übernehmen. (WESER-KURIER, 26. November 1971)

Hintergrund

Eigene Umweltressorts erscheinen uns heute als Selbstverständlichkeit. Doch das war keineswegs schon immer so – es war ein langer Weg in Bund und Ländern, ehe der Umweltschutz überall Kabinettsrang erlangte. Zwar kann sich Bremen nicht rühmen, das bundesweit erste Umweltressort eingerichtet zu haben. Gleichwohl zählte der Stadtstaat im November 1971 zu jenen Ländern, die den Anfang machten. Wobei die Umsetzung keineswegs von langer Hand geplant war, sondern ziemlich spontan vonstatten ging.

Erster Behördenleiter wurde Albert Müller, seit 1963 Ortsamtsleiter von Obervieland – ein gestandener Sozialdemokrat, der auf eine langjährige Karriere als Bürgerschaftsabgeordneter zurückblicken konnte. Schon als blutjunger Mann war der gelernte Maurer in der Gewerkschaft und der sozialistischen Arbeiterjugend aktiv gewesen. Zu Beginn der 1930er-Jahre wechselte er von der SPD zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), der auch Willy Brandt und der spätere Bremer Senator und Bürgermeister Adolf Ehlers angehörten. Müller galt als streitbarer Kopf, Bürgermeister Hans Koschnick lobte seine „politischen und sachlichen Qualitäten“.

Sollte geschützt werden: die Waldidylle des Hasbruch. Im Hintergrund der Aussichtsturm unweit der Jagdhütte.
Foto: Frank Hethey

Das bundesweit erste Umweltministerium rief ausgerechnet das CSU-regierte Bayern ins Leben. Am 8. Dezember 1970 beschloss der Landtag, ein Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen zu gründen. „Es war nicht nur das erste Umweltministerium in Deutschland, sondern auch das erste in Europa und weltweit“, heißt es auf der Website des Ministeriums. Nur wenig später zog Hessen nach: In der neuen sozialliberalen Regierung gab es ab dem 17. Dezember 1970 ein Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt. Wobei Letzteres aus dem Ministerium für Landwirtschaft und Forsten hervorging, während Bayern tatsächlich eine völlig neue Behörde auf den Weg brachte.

Heute meinen viele Menschen, der Umweltschutz sei erst damals oder sogar noch ein paar Jahre später ins kollektive Bewusstsein gedrungen. Das bayrische Umweltministerium behauptet, bis Ende der 1960er-Jahre habe als „harmloser Irrer“ gegolten, wer sich um die bedrohte Natur sorgte. Doch das ist eine sehr verkürzte Sichtweise der Geschichte des Umweltschutzes. Zu einem gesellschaftlichen Anliegen wurde der Umweltschutz bereits im wilhelminischen Kaiserreich, als sich die Heimatschutzbewegung formierte. Als erster Meilenstein gilt die Gründung des Bundes Heimatschutz im März 1904. Vorrangiges Ziel war der „Schutz der Natur, namentlich der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt“. Das eigene Lebensumfeld in seiner natürlichen Erscheinung zu bewahren, war auch später ein zentrales Anliegen der Heimatbewegung. Kein Zufall deshalb, dass ausgerechnet in der NS-Zeit 1938 der „Urwald Hasbruch“ unter Schutz gestellt wurde.

Freilich sollte es bis 1970 dauern, ehe der Umweltschutz erstmals politisch institutionalisiert wurde. Das zusätzliche Senatsressort in Bremen lag mithin ganz im Trend der Zeit. Andere Länder taten sich weitaus schwerer mit der Einrichtung eines Umweltministeriums. In Niedersachsen bedurfte es erst der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986, um eine eigene Behörde aus dem Boden zu stampfen. Drei Monate später machte sich das niedersächsische Umweltministerium an die Arbeit. Schneller, wenn auch viel langsamer als manche Länder war man auf Bundesebene. Im Juni 1986 wurde ein Ministerium aus der Taufe gehoben, das den atomaren Schock bis heute im Namen trägt. Zunächst fungierte die Behörde als Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 2018 wurde „Reaktorsicherheit“ durch nukleare Sicherheit ersetzt.

Die Umweltbehörde wird gern mit anderen Ressorts kombiniert, ein Klassiker ist in Flächenländern die Verbindung mit dem Landwirtschaftsministerium. In Bremen wurde die Verknüpfung mit dem Bereich Gesundheit 1983 aufgehoben. Erst danach gab es vier Jahre lang ein eigenes Umweltressort, bis 1995 ergänzt um Stadtentwicklung. Seitdem hat sich der Zuschnitt mehrfach verändert, die Zusammenlegung mit der Bau- und Verkehrsbehörde gibt es seit 1999. Mit Beginn der rot-grün-roten Koalition 2019 fungiert Maike Schaefer (Grüne) als Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau (SKUMS).

Der erste Bremer Umweltsenator: Albert Müller (SPD), hier bei der Grippeimpfung im September 1972.
Foto: Jochen Stoss

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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