Heute unvorstellbar: In den 1930er und 1940er Jahren wurde über die Erweiterung des Vegesacker Hafens diskutiert
Der Vegesacker Hafen: Heute ist er vor allem als Liegeplatz von wirklich alten oder alt anmutenden Schiffen bekannt. Dass der Vegesacker Hafen bis vor nicht einmal 20 Jahren als Industriehafen ausgewiesen war und dass dort bis 1968 ein Großteil der bundesdeutschen Heringslogger-Flotte lag, ist heute fast in Vergessenheit geraten.
Noch unbekannter ist, dass es Überlegungen zur Erweiterung des Vegesacker Hafens gab. Das war in den 1930er und 1940er Jahren. Doch zu einer Realisierung dieser Pläne ist es aus bis heute unbekannten Gründen nie gekommen. Die Journalistin Jutta Never hat die Diskussionen darüber bereits im Jahr 2002 im Buch „Unser ältester Hafen“ nachgezeichnet.
Es ist Mitte der 1930er Jahre. Die Politik der Nationalsozialisten bewegt sich in Richtung Beseitigung des Friedensvertrags von Versailles. Ihn musste das Deutsche Reich 1919 unterzeichnen. Doch die neuen Machthaber wollen mehr: „Siedlungsraum im Osten“ ist die Losung. Sie hat der „Führer und Reichskanzler“ Adolf Hitler schon Anfang der 1920er Jahre in seinem Buch „Mein Kampf“ ausgegeben. Diese Politik läuft auf einen europäischen Krieg hinaus.
Teil des Ganzen sind massive Autarkiebestrebungen für das Deutsche Reich. Darin eingeschlossen ist die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung. In diesem Rahmen gewinnt der Hering als „Volksnahrungsmittel“ immer mehr an Bedeutung. Für die im Jahr 1895 gegründete Bremen-Vegesacker Fischerei-Gesellschaft mit ihrer großen Heringslogger-Flotte sind es goldene Zeiten. Deshalb denkt das Unternehmen an Expansion. Die zuständigen Behörden werden eingeschaltet. In erster Linie das Bremische Hafenamt.
Pläne für einen Loggerhafen ab Mitte der 1930er Jahre
Ab Mitte der 1930er Jahre gibt es entsprechende Überlegungen zum Bau eines „Loggerhafens in Grohn/Vegesack“. Zu diesem Zeitpunkt ist Vegesack noch bremische Exklave. Das angrenzende Grohn gehört zu Preußen und wird erst aufgrund der „4. Verordnung über den Neuaufbau des Reiches vom 28. September 1939“ zusammen mit anderen ehemals preußischen Gemeinden Bremen zugeschlagen. Dafür verliert die Hansestadt Bremerhaven. Es wird mit dem preußischen Geestemünde zusammengeschlossen.
Im neuen Loggerhafen sollen 42 Schiffe und ein Schwimmdock Platz finden. Die erste Idee ist ein Neubau oberhalb von Grohn an der Lesum. Doch sie erweist sich laut einem Brief vom 18. Dezember 1937 von Oberbaudirektor Plate von der Wasserstraßendirektion an Vegesacks Bürgermeister Westphal, einem strammen SA-Mann, als undurchführbar. Stattdessen denken die Beteiligten an eine Verlegung der Lesummündung über den Schönebecker Sand nach. Die so abgeschnittene alte Mündung des Flusses soll zum Loggerhafen ausgebaut werden. Die Kosten sind bereits ermittelt. Der Bau des Hafens wird mit 600.000 Reichsmark angegeben. Die Verlegung der Lesum schlägt mit 900.000 Reichsmark zu Buche. Doch Westphal lehnt diesen Plan ab. Der Grund: Vegesack würde sein Strandbad, den Schönebecker Sand, verlieren.
Inzwischen ist es April 1942. Deutschland befindet sich im Krieg. Gleichwohl geben die bremischen Behörden und die Bremen-Vegesacker Fischereigesellschaft ihre Pläne einer Hafenerweiterung nicht auf. Doch gegen die Pläne eines Loggerhafens entlang der Lesum sprechen sich die Vertreter der Fischerei-Gesellschaft aus Kostengründen aus. Die Manager haben die Männer vom Hafenbauamt auf ihrer Seite. Sie befürchten Versandungen der beiden Hafeneinfahrten. Außerdem würde sich die Stadt Bremen durch einen neuen Loggerhafen in der Form die „einzig gute Hafeneinfahrt für kommende Seehäfen im Werderland“ nehmen. So steht es in einem Schreiben aus der Zeit.
Planspiele für Hafenausbau auch noch im Zweiten Weltkrieg
Mai 1942: Die Verhandlungen sind genauso festgefahren wie der Krieg für das Deutsche Reich. Jedoch: Die Überlegungen gehen weiter. Schließlich präsentiert das Hafenamt einen neuen Entwurf. Vorgesehen ist eine Verlängerung des Vegesacker Hafens über die damalige Bismarckstraße hinaus. Sie heißt heute Sagerstraße. Das neue Becken soll auf dem Areal der noch heute vorhandenen Sportplätze – dem Vegesacker Stadion – realisiert werden. Damit reicht der Hafen bis an das Vegesacker Gaswerk mit seinen beiden großen Gasometern.
Die Maße des Beckens sind mit 60 Meter Breite und 260 Meter Länge angegeben. Dort sollen 25 Logger sowie ein Schwimmdock Platz finden. Damit dieses dort hinein passt, soll die Einfahrt zum neuen Becken 14 Meter breit sein. Die Zufahrt selbst werde durch eine Klappbrücke über die Bismarckstraße gewährleistet. Parallel dazu ist an eine neue Verbindung von Bremen nach Vegesack sowie den Bau eines neuen Werksgeländes für die Bremen-Vegesacker Fischerei-Gesellschaft gedacht. Dafür würde die parallel zu den Sportplätzen verlaufende Schönebecker Aue zugeschüttet und am Kopf des neuen Hafenbeckens in die Weser geleitet werden.
Hier endet die Geschichte der Vegesacker Hafenerweiterung. Ob und warum sie nicht weiter verfolgt wird, lässt sich den Quellen laut der Recherchen von Jutta Never nicht entnehmen. Erst in den 1950er Jahren geschieht wieder Größeres im Vegesacker Hafen. Behörden und Wirtschaft verständigen sich auf eine millionenschwere Sanierung der in die Jahre gekommenen Kaimauern. Auch die Einfahrt wird verbreitert. Im Jahr 1958 feiern alle das neue Gesicht des Hafens. Sein heutiges Gesicht und die Bezeichnung „Museumshaven“ erhält er erst in den Jahren 1999 bis 2002.
von Ulf Buschmann