Vor 125 Jahren feierte Bremen den 300. Geburtstag des Schwedenkönigs – Statue zierte die Domsheide

Für den „edlen Schwedenkönig“ fand Domprediger Heinrich Frickhöffer warme Worte am späten Nachmittag des 9. Dezember 1894. Im überfüllten Gotteshaus pries er die Taten des „königlichen Märtyrers“, den der Weltenschöpfer „zur Rettung des Evangeliums über das Meer herbeigerufen“ habe. Gemeint war Gustav II. Adolf, der protestantische Monarch des skandinavischen Ostseereichs in Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. Durch die schwedische Militärintervention im Sommer 1630 hatte der Konflikt zwischen dem katholischen Kaiser und seinen protestantischen Untertanen eine entscheidende Wendung genommen, die deutschen Protestanten feierten den „Löwen von Mitternacht“ als Retter in höchster Not.

Am zweiten Adventssonntag 1894, vor 125 Jahren, gab es abermals einen guten Grund, sich des schwedischen Königs zu erinnern. In ganz Deutschland – oder zumindest in den evangelischen Regionen – hielten die Menschen inne, um den 300. Geburtstag des legendären Wasa-Sprösslings zu begehen, der am 9. Dezember 1594 das Licht der Welt erblickt hatte. Und der dann am 6. November 1632 auf dem Schlachtfeld bei Lützen in Sachsen-Anhalt ums Leben gekommen war. Von einem „wirklichen Herzensbedürfnis“ sprach die Weser-Zeitung mit Hinweis auf den Besucherandrang im Dom, während die Bremer Nachrichten beifällig vermeldeten, schon lange vor Beginn der Gustav-Adolf-Feier seien alle Sitzplätze besetzt gewesen. Wer zu spät gekommen sei, habe der Feier stehend beiwohnen müssen.

Eine herrische Geste, die für Irritationen sorgte: das Gustav-Adolf-Denkmal auf der Domsheide, das 1942 zu Kriegszwecken eingeschmolzen wurde.
Quelle: Archiv des Weser-Kurier

Organisiert hatte das „Erinnerungsfest“ der lokale Ableger des Gustav-Adolf-Vereins, eine außerkirchliche, private Initiative also. Die Entscheidung war 1893 bei der Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins in Bremen gefallen. Freilich half man dem Gedenken auch vonseiten der Obrigkeit auf die Sprünge: In Bremen steckte der Senat dahinter, dem die evangelische Kirche als oberstem Kirchenherrn bis 1920 direkt unterstellt war. Schon in den morgendlichen Gottesdiensten sollten die Prediger „der großen geschichtlichen Erscheinung Gustav Adolfs“ gedenken. „Das ist denn auch geschehen“, versicherte treuherzig die Weser-Zeitung. Ebenso waren die Lehrer angewiesen, tags zuvor im Schulunterricht „auf die Bedeutung des unvergeßlichen Schwedenkönigs“ hinzuweisen.

In der Presse ein großes Thema

In der Lokalpresse war der Jubeltag ein großes Thema. Die Bremer Nachrichten widmeten Gustav Adolf am 9. Dezember 1894 eine gesamte Zeitungsseite, die konkurrierende Weser-Zeitung räumte in ihrer Morgenausgabe die halbe Titelseite frei. Ein untrüglicher Hinweis darauf, wie viel Bedeutung dem Thema noch immer zugesprochen wurde. Tatsächlich war der konfessionelle Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten damals noch keineswegs erledigt. Der Kulturkampf zwischen Kirche und Staat war erst 1878 beigelegt worden, das Jesuitengesetz als Bestandteil der antikatholischen Gesetzgebung blieb bis 1917 in Kraft. Vor allem im Norden hielten sich starke Vorbehalte gegen die Katholiken, die wegen ihrer vermeintlichen Abhängigkeit vom Papst als unsichere Kantonisten galten.

Auf katholischer Seite hielt sich die Begeisterung über das Gustav-Adolf-Gedenken verständlicherweise in Grenzen. Prominente Katholiken fürchteten eine Gefährdung des religiösen Friedens. Doch der Pädagoge Ernst Bachof, Hauptredner der Gustav-Adolf-Feier im Dom, sah darin nichts weiter als Panikmache. Empört witterte er eine vorsätzliche Geschichtsklitterung. Der 44-Jährige argwöhnte, die Gegner des Gedenkens hätten versucht, den Schwedenkönig als „Feind des Reiches“ abzustempeln. „Allein wir Evangelischen ließen uns nicht irre machen“, rief Bachof den Gläubigen zu. „Wir begrüßen Gustav Adolf als den Unsrigen, er ist uns kein Fremder.“

Allein dieser Satz deutet darauf hin, dass die Gustav-Adolf-Verehrer im 19. Jahrhundert immer wieder in Erklärungsnot gerieten. Zu seinen Lebzeiten mochte das nationale Bekenntnis noch keine Rolle gespielt haben, das Seelenheil war weitaus wichtiger. Doch im Zeitalter des Nationalismus lagen die Dinge anders. Ganz besonders in Deutschland, das als „zu spät gekommene Nation“ erst 1871 einen eigenen Nationalstaat zustande gebracht hatte. Da bedurfte es schon subtiler Strategien, um das Gedenken an einen ausländischen König zu rechtfertigen.

Kolorierte Darstellung von 1900 mit dem damals noch neuen Gerichtsgebäude und dem Gustav-Adolf-Denkmal.
Quelle: Wikimedia Commons/Gemeinfrei

Erschwerend kam hinzu, dass Schweden als Siegermacht des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland viele Jahre ein nicht immer wohlgefälliges Besatzungsregiment geführt hatte. Bremen führte mit Schweden zwei Kriege, erst 1666 erkannten die Skandinavier die Unabhängigkeit der Weserstadt an. Das Herzogtum Bremen, das nicht die Stadt, sondern den Weser-Elbe-Raum umfasste, befand sich bis 1712 in schwedischer Hand. Noch mehr als 100 Jahre länger regierten die Schweden an der deutschen Ostseeküste, erst 1815 wurde Schwedisch-Pommern dem preußischen Staat zugeschlagen.

Diese Zusammenhänge waren im 19. Jahrhundert noch sehr präsent. Das zeigte sich bereits 1856 bei der Aufstellung der Gustav-Adolf-Statue auf der Domsheide. Eine Gruppe kunstsinniger Kaufleute hatte die 2,75 Meter große Skulptur von Helgoland nach Bremen gelotst. Auf dem Weg von der Eisengießerei in München zum Bestimmungsort Göteborg war das Transportschiff im Sturm gestrandet, die geschäftstüchtigen Inselbewohner boten das geborgene Strandgut zum Verkauf an. Als die Statue ihren prominenten Platz fand, war nicht jedermann darüber glücklich. Insbesondere der herrische Fingerzeig wurde als posthumer Besitzanspruch auf bremischen Boden aufgefasst. Erst sehr viel später ging man lockerer damit um. „Junge, heb‘ das Papier auf“, hieß es im Volksmund zur Erklärung der wunderlichen Geste – der Schwedenkönig als Saubermann. 1942 wurde die Statue gegen den Widerstand von Baudirektor Gerd Offenberg eingeschmolzen, der das Denkmal mit der „sehr amüsanten Vergangenheit“ nicht missen wollte.

Ungestörtes „Deutschempfinden“

Zugute kam den Verteidigern der Gustav-Adolf-Feier, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Denken in völkischen Kategorien bereits weit verbreitet war. Die Bremer Nachrichten versicherten ihren Lesern, „unser Deutschempfinden“ werde nicht beeinträchtigt, „wenn wir mit dem stammverwandten schwedischen Volke dessen größten König feiern“. Zumal er eigentlich „deutscher war als der damalige deutsche Kaiser und dessen Gehülfen, die in Jesuitenschulen im römischen Geiste erzogen, in ihrem eigenen Lande Fremde waren“. In die gleiche Kerbe schlug die Weser-Zeitung, die den Monarchen als quasi geborenen Widerpart seines Gegenspielers hinstellte: dort der kaiserliche Feldherr Tilly, ein Wallone – „hier Gustav Adolf, der nordische Germane, im Denken und Fühlen dem deutschen Volke verwandt“.

Mit einem solchen Mann konnte man sich anfreunden. Er sei „so etwas wie ein evangelischer Heiliger“ geworden, schreibt der frühere Domprediger Peter Ulrich. Schon die Gründerväter des Bremer Gustav-Adolf-Vereins sahen 1844 keinerlei Grund, weshalb sie sich nicht nach dem Schwedenkönig benennen sollten. Seine Anfänge hat das heutige Gustav-Adolf-Werk 1832 – im 200. Todesjahr des Königs. Damals wurde in Leipzig die „Gustav-Adolphs-Stiftung“ als „Anstalt zu brüderlicher Unterstützung bedrängter Glaubensgenossen“ ins Leben gerufen. Mit einem 1841 gegründeten protestantischen Hilfsverein fusionierte die Stiftung 1842 zum „Evangelischen Verein der Gustav-Adolf-Stiftung“. Nur ein Jahr später hatten sich in Deutschland bereits 29 lokale Ableger gegründet. Die damalige „Gustav-Adolf-Begeisterung“ vergleicht Peter Ulrich mit der aktuellen Begeisterung für die Kirchentage: Die Gustav-Adolf-Arbeit sei ein „integrierendes Moment“ in der gespaltenen und zerstrittenen evangelischen Kirche gewesen.

Geleitet wird die Bremer Hauptgruppe des Gustav-Adolf-Werks seit 25 Jahren von Frank Mühring, Pastor in Oberneuland. Inzwischen unterstützen die Bremer nicht nur kleine evangelische Minderheiten in Südamerika oder Spanien. Es gebe jetzt auch Projekte „im säkularen deutschen Osten“, etwa in Gestalt von Finanzspritzen für evangelische Schulgründungen in Wismar und Wolgast. Man könne durchaus von einer Diaspora-Situation sprechen, sagt der 56-Jährige – von einer verstreuten Gemeinschaft in der Fremde. Doch Mühring sieht Licht am Ende des Tunnels: „In Ostdeutschland ist die Kirche dabei, in die Diaspora hineinzuwachsen.“

Noch ohne das Gerichtsgebäude im Hintergrund und etwas überproportioniert dargestellt: das Gustav-Adolf-Denkmal auf der Domsheide auf einem zeitgenössischen Stich.
Quelle: Archiv des Weser-Kurier

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