Vermutlich falsch: So stellte sich Architekt Max Salzmann die Domtürme unter Erzbischof Liemar vor.
Quelle: Walter Dietsch: Der Bremer Dom, Bremen 1978, S. 71

Illustration von GeoEpoche löst Debatte um Höhe der Domtürme im Mittelalter aus 

Als ich im Weser Kurier Anfang Februar die Darstellung Bremens zur Zeit der Hanse sah, die einem GEOEPOCHE-Heft entstammte, genügte ein Blick, der mich sofort drängte, zum PC zu eilen und einen Leserbrief zu schreiben. „Liebe Weser Kuriere! Es ist zwar lobenswert, dass Sie uns mit den Bildern Bremens in der Zeit der Hanse vertraut machen. Nur eines hätte den Machern nicht passieren dürfen: Der Bremer Dom, der die beiden ersten Bilder im Hintergrund ziert, entstammt dem 19. Jahrhundert. Wie der Dom zur Zeit der Hanse ausgesehen hat, hätte man leicht am Orgellettner im Dom und auf dem Fresko mit Kaiser Karl und Bischof Willehad in der Oberen Halle des Rathauses ersehen können. Der Dom, den die beiden in der Hand halten, besitzt nämlich keine zwei gleich hohen Türme. Die besitzt der Dom erst seit 1892.“

Zugegeben, das war ein Schnellschuss. Denn auf Grund dieses Leserbriefs entspann sich eine lebhafte Diskussion mit Stefan Dammann vom Weser-Kurier, die mich veranlasste, mich ein wenig ausführlicher mit der Materie zu befassen. Er antwortete: „Lieber Herr Tacke, der Bremer Dom in seiner ganzen Schönheit ist doch im Grunde aus der Geschichte Bremens nicht wegzudenken. Kaum vorstellbar, dass es ihn nicht schon immer gegeben haben sollte!

Aber Spaß beiseite, weil er zum Bremer Stadtbild irgendwie ja dazugehört, ist hier in der Redaktion leider niemandem aufgefallen, dass es um 1300 natürlich anders gewesen sein könnte und natürlich auch war. Ein Lapsus sondergleichen, für den ich mich aufrichtig entschuldigen möchte bei Ihnen und der Kirche. Wir haben die sehr gelungenen Illustrationen der Zeitschrift GEOEPOCHE zu diesem Thema eben einfach so übernommen, ohne die Dinge darauf bis ins Detail zu prüfen.

Ich habe zwischenzeitlich auch mit der Redaktion von GEOEPOCHE Kontakt aufgenommen und dort mit Herrn Klabunde telefoniert, der für GEOEPOCHE derlei Dinge verifiziert. Eben auch Illustrationen. Er sagte mir, er habe sich sehr gründlich mit dem Thema befasst, sie hätten genau recherchiert, welche Kirche wo gestanden habe und wie die Dinge in Bremen zusammenhingen. Er habe sogar noch die Balge an der Schlachte entdeckt und hinzugefügt. Und, ja, an der richtigen Stelle einen Dom eingefügt, der um 1300 zwei Türme gehabt habe. Aber eben offenbar andere.“

Den Dom, den Erzbischof Bezelin nach dem Brand 1041 nach dem Vorbild des Kölner Dom plante, stellte Max Salzmann sich so vor.
Quelle: Walter Dietsch: Der Bremer Dom, Bremen 1978, S. 65

Die Dom-Türme im 14. Jahrhundert

Diese Antwort machte mir nun klar, dass es nicht um das Aussehen der Türme im 16. Jahrhundert, sondern um die im 14. Jahrhundert ging. Das führte dazu, dass ich mich intensiv darum bemühte, herauszubekommen, wie die Türme damals ausgesehen haben könnten. Dass es davon keine Fotografien gab, war klar. Aber es gab eventuell Stiche, die helfen könnten, die Frage zu klären.

Brüchig: der Dom vor dem Zusammenbruch des Südturms 1638.
Quelle: Herbert Schwarzwälder, Das Große Bremen-Lexikon, Bd. 1, Edition Temmen 2003

In Erinnerung war mir, dass die Domtürme nach 1335 um zwei Stockwerke vom Bauherrn Hinrich Doneldey erhöht worden waren, und er dabei das notwendige Geld mit einem genialen Trick aus den Bremern herauskitzelte. Dabei sollte man auch die Bremerinnen nicht vergessen, denn Doneldey setzte sich in einen Waschzuber und ließ sich durch Gulden, aber auch durch Schmuck aus dem Zuber herausopfern. Diese Sammlung war so erfolgreich, dass noch genügend Geld übrig blieb für ein Turnier wie eine Sause auf dem Domshof.

Doch zurück zu den Türmen. Der Dombaumeister, der den Dom ab 1889 grundlegend restaurierte, hatte sich natürlich Gedanken darüber gemacht, wie der romanische Dom ausgesehen haben könnte. Den Dom, den Erzbischof Bezelin nach dem Brand 1041 nach dem Vorbild des Kölner Doms plante, stellte Max Salzmann sich so vor: mit zwei gleich hohen, aber niedrigen Türmen. Allerdings verschied der Erzbischof, der zuvor Domherr in Köln gewesen war, in Bücken, bevor sein Dom fertig war.

Traum von Bremen als „Rom des Nordens“

Der Bezelin-Nachfolger Adalbert, ein Graf von Goseck, träumte von einem nordischen Patriarchat und von Bremen als „Rom des Nordens“. Da dazu eine prächtige Kathedrale her musste, legte er los, ließ die Stadtmauer zugunsten des Dombaus abreißen, aber sein Dom wurde auch nicht fertig. Zwar berichtet Adam von Bremen, dass 1049 die Front hochgezogen worden sei, er meint vermutlich die Ostfront, denn es wird zugleich von der Weihe des Hochaltars zu Ehren der Mutter Gottes erwähnt. Und 1066 ist von der Weihe der Westkrypta die Rede, die dem Heiligen Andreas geweiht ist. Da Adam zu erzählen weiß, die von Adalbert errichteten Kirchen seien bald wieder baufällig gewesen, kann man wohl davon ausgehen, dass der Dom beim Tod Erzbischof Adalberts 1072 nicht fertig war.

Nachfolger Liemar, ein Bayer, lässt angeblich den Dom anstecken, um dem Umbau seinen Stempel aufzuprägen.

Dombaumeister Max Salzmann überlegte sich natürlich, wie die Westfassade des Doms wohl unter Erzbischof Liemar ausgesehen haben könnte.

Sehen alt aus, sind es aber nur teilweise: die Domtürme heute.
Foto: Frank Hethey

Seine Zeichnung macht was her. Doch ist sie vermutlich falsch. Denn Max Salzmann hat augenscheinlich nicht berücksichtigt, dass die Türme erst 1335 durch den Bürgermeister und Bauherrn Hinrich Doneldey die heutige Höhe bekamen. Auf Salzmanns Zeichnung haben die Türme die zwei zusätzlichen Stockwerke aber schon.

Glücklicherweise hat sich das Stadtsiegel von 1234 erhalten. Darauf ist – heraldisch rechts – ein Bischof mit Krummstab zu sehen – vermutlich Bremens Gründerbischof Willehad – und links ein Kaiser mit Krone – vermutlich Kaiser Karl der Große. – Beide halten als Bremens Stadtgründer den Bremer Dom in Händen.

Türme gleich hoch, aber niedriger

Damit hätten wir ein ungefähres Bild der Westfassade des Bremer St. Petri Doms, wie er zur anfänglichen Zeit der Hanse ausgesehen hat. Die Türme sind zwar gleich hoch – damit muss ich meine erste Aussage berichtigen – aber sie sind erheblich niedriger, als GEO sie auf seiner Zeichnung dargestellt hat. Vermutlich blieben sie auch so, bis man sie nach 1335 um zwei Stockwerke erhöhte.

Von GEO reagierte Fabian Klabunde auf die Hinweise aus Bremen folgendermaßen:

„Die Illustrationen, die extra für GEOEPOCHE erstellt worden sind, begleiten die Kogge-Geschichte im Heft, die um 1380 spielt. Für diese Zeit haben wir recherchiert, dass der Dom zwei Türme hatte und bereits die gleiche Ausrichtung wie heute besaß. Eine unserer Quellen war das Siegel von 1230, bei dem die Kirchtürme zwar kleiner erscheinen, aber erkennbar gleichhoch sind. Für das genaue Aussehen des Doms im 14. Jahrhundert gibt es unseres Wissens keine Belege. Dass es sich um gotische Turmhelme gehandelt haben dürfte, schien uns aufgrund der Bauzeit während der Gotik aber plausibel. Die von Ihnen genannten Darstellungen sind auf das 16. Jahrhundert datiert, also später als 1380.

Birgt manch ein Geheimnis: der Bremer Dom, hier im Jahr 1532.
Foto: Jürgen Howaldt, CC-BY-SA 2.0 de

Da es zudem noch Brände der Kirchtürme im 15. Jahrhundert gab, glauben wir nicht, dass das in Ihren Belegen Erkennbare zwingend auf die Zeit um 1380 zu übertragen ist. So muss man leider vor allem konstatieren, dass Vieles im Unklaren bleibt. Tatsächlich ist man bei solchen umfassenden Illustrationen für das Mittelalter wegen der meist dünnen Quellenlage häufig auf Plausibilitätsüberlegungen, Analogien und wissenschaftlich fundierte Spekulationen angewiesen. So auch hier. Wir hoffen dennoch, dem historischen Bremen möglichst nahe gekommen zu sein. (Und gerade mit Blick auf das zweite von Ihnen gesandte Salzmann-Bild scheint uns dies durchaus gelungen zu sein – allerdings bis auf die Turmuhren.)“

Die „gotischen“ Türme um 1380

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie die oben erwähnten „gotischen“ Türme um 1380 ausgesehen haben könnten, habe ich bei Hermann Duntze und Nikolaus Roller nachgeschlagen: Bei Hermann Duntze ist unter 1446 vermerkt: „Der noch stehende Turm des Doms wurde ganz vollendet. Mit seiner hohen Spitze war er der höchste in Niedersachsen.“  Unter 1466 vermerkt er, „Man baute an dem hohen Domthurm“.  Am 26. Juli 1482  schlug laut Nikolaus Roller „ein Blitz in einen der Türme ein, der stark brannte“. 1486 berichtet Duntze: „Vom Blitz angezündet verbrannte der hohe Turm am Dom.“ Hier ist mithin zweimal nur von einem „hohen Turm“ die Rede. Ist es da falsch, wenn man vermutet, dass zwei spitze Türme wohl um 1380 nicht in Betracht kommen?

Wie verwahrlost die Domtürme nach dem Zusammenbruch des Südturms 1638 und dem Brand 1656 ausgesehen haben, sei Interesse halber angefügt. Dass der Riss im Südturm nicht beachtet wurde und der somit 1638 einstürzte, führt Peter Koster „auf die saufenden und hurenden Domherren zurück“. Es sei hier ketzerisch angemerkt, das waren 1638 evangelische Domherren und keine katholischen.

Fazit: Die Darstellung des Bremer Doms auf dem GEOEPOCHE-Bild, das die Zeit der Hanse um 1380 abbilden soll, gleicht eher der von Max Salzmann nach 1889 rekonstruierten West-Fassade des Doms, als einer mittelalterlich gotischen. Denn die hatte vermutlich keine gleich hohen Türme, sondern sie sahen wohl so aus, wie auf dem Bild von Bartholomäus Bruyn von 1532 oder wie Max Salzmann sich die Türme zu Liemars Zeiten vorstellt. Mit hundertprozentiger Sicherheit ist das aber nicht zu sagen. Sicher ist aber, wie die Türme vor ihrer Renovierung Ende des 19. Jahrhunderts aussahen. Denn davon gibt es bereits Fotos.

von Wilhelm Tacke

Sieht aus wie heute: die Domtürme auf der Illustration von GeoEpoche.
Quelle: GeoEpoche/Weser-Kurier

200 Jahre Bremer Stadmusikanten

200 Jahre Bremer Stadtmusikanten

Das schönste Märchen über die Freundschaft

1819 haben die Brüder Grimm die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten veröffentlicht. Unser Magazin zu diesem Geburtstag ist voller Geschichten rund um die berühmten Aussteiger – etwa eine Reportage über das Grimm-Museum in Kassel, über die Bedeutung des Märchens in Japan und vieles anderes mehr.

Jetzt bestellen