Vor 50 Jahren: Der heutige Champions League-Pokal wird erstmals vergeben – Der Entwurf stammt von der Silbermanufaktur Koch & Bergfeld Corpus

Noch heute sind die Bilder auf dem Videokanal Youtube zu sehen: wie ein Spieler von Celtic Glasgow am 25. Mai 1967 den brandneuen Europapokal der Landesmeister in die Höhe reckt. Noch kurz vor Spielende hatte das Spiel auf Messers Schneide gestanden, erst in der 86. Minute glückte Stevie Chalmers das Führungstor gegen die favorisierte Elf von Inter Mailand. Die Entscheidung im Finale des Pokalfights im Stadion von Lissabon. Als „Lisbon Lions“, als die Löwen von Lissabon, hat die Mannschaft des schottischen Meisters vor 50 Jahren ein Stück Fußballgeschichte geschrieben.

Schlank und rank: ein alternativer Entwurf für den Europapokal der Landesmeister.
Foto: Frank Hethey

Ein Fußballverrückter ist Horst Heeren nicht. Hin und wieder sieht er sich mal Live-Übertragungen an, zuletzt schaltete er bei der Europameisterschaft der Damen in den Niederlanden ein. Und doch ist der 76-Jährige eng verbunden mit dem europäischen Spitzenfußball. Denn jedes Jahr wieder stemmen jubelnde Fußballer sein Werk empor: Der Pokal mit den beiden charakteristischen Henkeln – heute der Champions League-Pokal – ist auf seinem Zeichenbrett entstanden. Damals, als er noch im aktiven Berufsleben stand als Designer in der renommierten Bremer Silberschmiede Koch & Bergfeld.

Dass ein Schweizer Juwelier behauptet, er habe den Entwurf angefertigt, quittiert Heeren mit einem Achselzucken. „Verschiedentlich wird das falsch angegeben, sogar auf der Website der UEFA.“ Dort und in Interviews gibt der Goldschmied erschöpfend Auskunft darüber, wie er den Cup anfertigte. Und wie gut er den Qualitätsverlust bei der aktuell sechsten Version erkennen könne. „Ich als Schöpfer und Fachmann sehe das natürlich auf Anhieb“, erklärte der Schweizer einem Fachmagazin. Doch juristisch dagegen vorgehen? Heeren winkt ab. Das sei überprüft worden, man habe davon Abstand genommen. Soll der Schweizer reden. Heeren nimmt es gleichmütig hin und lädt stattdessen jeden ein, sich anhand der noch vorhandenen Entwürfe vom Gegenteil zu überzeugen.

Die Meisterschale glänzt noch: Replik des Originals bei Koch & Bergfeld Corpus.
Foto: Frank Hethey

Ein modifizierter Entwurf

Von ihm selbst stammt die ursprüngliche Idee aber auch nicht, daraus macht Heeren überhaupt kein Geheimnis. Sich mit fremden Federn schmücken, das will er nicht. „Es handelt sich um einen modifizierten Entwurf“, sagt der 76-Jährige. „Ich bin nicht der Erzeuger. Sondern nur derjenige, der das Kind erzogen hat.“

Im eigenen Archiv nach Inspiration zu suchen ist das normale Procedere. So auch im Herbst 1966, als die Silbermanufaktur ins Rennen um den neuen Meisterpokal einstieg – und zwar auf Anfrage des Schweizer Juweliers, der später den Entwurf für sich reklamierte. Irgendwelche Vorgaben habe es nicht gegeben, sagt Heeren. Auch die berühmten Henkel seien nicht ausdrücklich verlangt worden. Freie Bahn also für die Gestaltung. Beim Stöbern im Firmenarchiv stieß Heeren dann auf einen alten Werksentwurf, „so eine Art Amphore“.

Wer diesen Entwurf zu Papier gebracht hat, lässt sich nicht mehr ergründen. Doch Heeren hat eine Vermutung, die durchaus plausibel klingt. „Bei uns hat mal ein Grieche als Zeichner gearbeitet.“ Von diesem Mann müsse der Entwurf stammen, eine nur flüchtig hingeworfene Skizze, die nie Gestalt angenommen hatte. Keine schlechte Idee für einen „vorstelligen“ Pokal, fand Heeren. Also für eine repräsentative Trophäe zum Hochhalten.

Freilich wirkt der Originalentwurf ein wenig überladen. Heeren hat eine schlichtere, klarere Version mit großem Volumen entwickelt. Noch vier weitere Entwürfe fertigte der gelernte Silberschmiedemeister an. Darunter ein Zwischending zwischen Schale und Teller mit einer großen Fußballkugel in der Mitte und daneben mehreren kleineren Kugeln als Symbol für die nationalen Fußballverbände. Der Entwurf sieht so ähnlich aus wie die Meisterschale: in der Mitte das UEFA-Symbol, am Rand reichlich Platz für die eingravierten Titelträger. Ein kompletter Kontrast dazu ist ein schmaler, hochaufgeschossener Pokalentwurf ohne Henkel.

Viele Zahlen: die Kalkulationsunterlage von 1967 für den begehrten Cup.
Quelle: Horst Heeren

Fünf Entwürfe bei der UEFA eingereicht

Alle fünf Entwürfe reichte die Firma beim Schweizer Zwischenhändler ein. Gut möglich, dass der auch noch andere Vorschläge an seine Auftraggeber weiterleitete. Doch bei der UEFA war man sich schnell einig, schon bald erhielt Koch & Bergfeld den Zuschlag: Der Heeren-Entwurf sollte es sein. Vielleicht auch, weil das Design stark an den Vorgänger erinnerte. Für Experimente hatte man offenbar keinen Sinn in der Führungsetage der Fußballfunktionäre.

Sonderlich viel Muße für die Anfertigung hatte die Silberschmiede nicht. Im November 1966 habe die UEFA den Auftrag erteilt, erinnert sich Heeren, Anfang Mai 1967 sei der Ablieferungstermin gewesen. „Für die Erstellung eines so großen Objekts eine relativ knappe Zeitspanne.“ Immerhin habe die Firma auch noch andere Aufträge bewältigen müssen.

Und was kostete der Spaß? Darüber informiert eine erhaltene Kalkulationsunterlage, eine Art Karteikarte mit vielen Zahlen und Strichen. Der Preis lag ab Werkstatt bei 5090 DM. „Aber der Händler hat natürlich einen angemessenen Aufschlag genommen“, sagt Heeren. Nach seiner Schätzung dürfte die UEFA insgesamt an die 20.000 Schweizer Franken hingeblättert haben. Günstiger wurden neue Anfertigungen im Laufe der Zeit natürlich nicht, 1974 betrug der Werkstattpreis bereits 12.620 DM. Heute kostet der Cup stolze 50.000 Euro.

Repliken oft kleiner als das Original

Der Pokalauftrag aus der Schweiz fiel aus dem Rahmen. Denn völlig freie Hand hat man in der Gestaltung gewöhnlich nicht. Schon allein, weil zumeist nur ein bestimmter Geldbetrag zur Verfügung steht. „Dadurch wird ein Entwurf unheimlich eingegrenzt“, sagt Heeren. Für ein paar hundert Euro könne kein großer Pott erwartet werden. „Dafür gibt es höchstens einen Becher aus Silber.“ Der Preis ist allerdings nicht der entscheidende Grund dafür, dass Repliken oft eine Nummer kleiner ausfallen als das Original. Und oft nur aus versilbertem Messing bestehen. In erster Linie geht es vielmehr darum, das Original von der Nachbildung zu unterscheiden.

Ausgefallen: ein silberener Tanker als Sonderanfertigung für einen Bremer Reeder.
Foto: Frank Hethey

Mehrere Tausend Entwürfe hat der langjährige Werkstattleiter in seinem Designerleben angefertigt. „Alles Mögliche, ob Pokal oder Salzstreuer“, sagt er. Auf rund 50 Pokale sei er ungefähr gekommen. Nicht alle seien Meisterstücke, nur etwa drei bis fünf Exemplare stuft er als herausragend ein. Darunter natürlich den Champions League-Pokal. Doch als sein absolutes Meisterstück würde er den Pokal eher nicht bezeichnen. Andere Entwürfe liegen ihm mehr am Herzen.

Doch die Pokalproduktion war nicht immer das Nonplusultra bei Koch & Bergfeld. In seiner Blütezeit um 1900 beschäftigte das Unternehmen mehr als 800 Mitarbeiter. Der Boom hatte gute Gründe. Zum Aufschwung trug neben der technischen Entwicklung die Markteinführung von Neusilber im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bei, einer Legierung aus Kupfer, Nickel und Zink, die echtem Silber täuschend ähnlich sah. „Das war günstiges Material für die breite Masse“, sagt Heeren.

Nach der Reichsgründung brummte das Geschäft

Gerade in den repräsentationswütigen Zeiten nach der Reichsgründung von 1871 brummte das Geschäft. „Vom Schuhanzieher bis zur Hummergabel wurde alles produziert.“ Was Kaiser und König hatten, wollte auch das gehobene Bürgertum. Mit dem Untergang der Monarchie war es allerdings vorbei mit der Herrlichkeit. Keiner dachte mehr ans Repräsentieren, die Menschen hatten andere Sorgen.

Die Pokalschmiede: an der Außenwand des Firmenstandorts in der Überseestadt ein bisschen Werbung in eigener Sache.
Foto: Frank Hethey

Freilich ist das lange her. Als Pokalschmiede hat sich Koch & Bergfeld Corpus – wie die Firma heißt, seit die Korpuswerkstatt 1994 vom Traditionsunternehmen abgetrennt wurde – längst einen Namen gemacht, nicht umsonst zieren drei Pokalsilhouetten die Außenwand des Firmenstandorts in der Überseestadt. „In Deutschland ist Koch & Bergfeld Corpus der Hauptlieferant für Pokale“, sagt Heeren. Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Firma den Deutschen Fußballbund beliefert.

Ein einträgliches Geschäft, gefragt sind vor allem Repliken. Allein von der Meisterschale seien rund 50 Exemplare in den Vereinsmuseen der Titelträger zu bewundern, die meisten ein wenig kleiner als das Original. Ein langjähriger Stammkunde ist der FC Bayern München. Heeren: „Bei jeder Meisterschaft wird wieder eine neue Replik geordert.“ Und das kommt bekanntlich in schöner Regelmäßigkeit vor.

Zwar hat die Silbermanufaktur nicht nur Pokale im Portfolio, aber deren Anfertigung ist inzwischen das Hauptgeschäftsfeld. Ein Geschäftsfeld, von dem die Firma mit ihren 15 Beschäftigten gut leben kann. „Das Pokalgeschäft hat sich enorm entwickelt“, freut sich Heeren. Zumal Pokale neuerdings auch bei hochkarätigen Computerspiel-Wettbewerben verliehen werden. Ganze Arenen füllen sich in Amerika mit den Online-Spielern, zum Saisonabschluss gibt es wie bei den Sportlern eine Trophäe. Und die kommt bei einer Variante des Digitalwettkampfs aus Bremen. Eine Trophäe, die dem Champions League-Pokal sehr ähnlich sieht – ein ausdrücklicher Wunsch der Auftraggeber. „Es gibt aber einige Unterschiede, zum Beispiel einen zusätzlichen Deckel, auch die Griffe sehen anders aus“, sagt Heeren.

So lebt sein Entwurf also weiter. Inzwischen als ein echter Klassiker, der anderen Pokalen als Vorbild dient.

von Frank Hethey

Einer steht auf des anderen Schultern: Horst Heeren mit der Archivvorlage und seinem darauf basierenden Entwurf für den Europapokal der Landesmeister.
Foto: Frank Hethey

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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