Vor 60 Jahren endete das Care-Hilfsprogramm für Deutschland – Bremen erhielt im Mai 1946 erste Lieferung

Cold and hunger are the two main enemies in Europe today“ – Kälte und Hunger seien die Hauptfeinde in Europa heutzutage. So heißt es in einem Telegramm von Anna M. Rosenberg, persönliche Beobachterin der Präsidenten Roosevelt und Truman im Nachkriegseuropa im Februar 1946. Sie schildert ihre Eindrücke: Die große Mehrheit der Menschen lebe in Häusern, die seit fünf, sechs Jahren nicht mehr beheizt wurden. Krankheit und Tod seien eine ständige Bedrohung, und Unterernährung mache sie wehrlos gegen Tuberkulose und andere Epidemien. Care biete die Möglichkeit für Tausende Amerikaner, ihren Freunden und Verwandten in Europa zu helfen.

Am 27. November 1945 war Care Incorporated in Washington mit Unterstützung des amerikanischen Außen- und Kriegsministeriums sowie 22 Wohlfahrtsorganisationen der Kirchen, Gewerkschaften und Genossenschaften und der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen gegründet worden.

Am 9. Mai 1946 erreichten die ersten Care-Pakete aus den USA das europäische Festland, in Le Havre in Frankreich. Das Wort war Programm: Cooperative for American Remittances to Europe. Die Organisation musste Verträge mit den europäischen Ländern abschließen, um dorthin Hilfslieferungen zu verschicken. Im Juni konnten auch Verträge mit den Militärregierungen der westlichen Besatzungszonen in Deutschland und Gesamtberlin abgeschlossen werden. Für die sowjetisch besetzte Zone kam ein solches Abkommen nicht zustande.

Anlieferung von Care-Paketen, aufgenommen vom Signal Corps (Logo untern rechts), einer Medieneinheit der US Army. F.B. Cordova war der Leiter des Care-Büros in Bremen. Die anderen Männer auf dem Bild lassen sich nicht so leicht identifizieren: Laut Adressbuch von 1950 gibt es einen Friedrich Koblank, der als Betriebsinspektor aufgeführt wird. Karl Call, der einzige dieses Namens in dem Adressbuch, war kaufmännischer Angestellter. Unter L taucht der Angestellte Walter Lehnard, ebenso wie der Lademeister Dietrich Lachmund auf. Unter Petry gibt es einen Ingenieur, einen Polizeioberwachtmeister, einen Unspezifizierten und einen Friseur. Und Bauer gibt es ganz viele. Die Kräne im Hintergrund könnten im Überseehafen gestanden haben.
Quelle: CARE Büro New York

Der 15. Juli 1946 war ein besonderer Tag in der Geschichte Bremens: Die ersten 35  700 Care-Pakete für das hungernde Nachkriegsdeutschland landeten im Hafen an. Der ­WESER-KURIER schreibt in einem Bericht vom 24. Juli 1946: „Im Überseehafen, Pier 15, löscht zur Zeit der Dampfer „American Ranger“ der United States Lines. Seine Ladung besteht aus 35 700 Liebesgabenpaketen und 1300 Tonnen Lebensmittel.“ Ab diesem Tag kamen 15 Frachter pro Monat: Bremen wurde mit Bremerhaven zur Drehscheibe einer der größten privaten Hilfsaktionen. Zehn Millionen Pakete erreichten in den Folgejahren Deutschland, 100 Millionen ganz Europa.

Die United States Line, der Norddeutsche Lloyd und die Hapag übernahmen den Transport der Care-Pakete von Philadelphia nach Bremen. Die Bremer Lagerhausgesellschaft förderte das Hilfsprogramm mit niedrigen Hafenkosten.

Logistische Probleme

Die logistischen Probleme damals waren riesig. Die Deutsche Reichsbahn existierte nicht mehr, die Post arbeitete nur stark eingeschränkt, den Spediteuren fehlten Fahrzeuge, und die meisten Lagerräume waren zerstört. Trotzdem gelang es, in jeder Kreisstadt mit Hilfe von Caritas, Innerer Mission, Arbeiterwohlfahrt und Rotem Kreuz mindestens eine Stelle einzurichten, die für die korrekte Verteilung der Pakete sorgten. Spediteure wie Kühne & Nagel oder J. H. Bachmann sorgten für zuverlässige Lieferung. Als vor der Währungsreform einmal der Transport wegen Treibstoffmangels infrage stand, brachte Care eine Schiffsladung Benzin nach Bremen.

Ab 1950 legte Care Sonderprogramme auf, die den Menschen beim Aufbau einer neuen Existenz helfen sollten. So gelangten Tischlerwerkzeug, Gartengeräte, Nähmaschinen und auch Ausrüstungen für diverse Mechanikerberufe nach Europa. Im Zuge eines Care-Unesco-Buchprogramms wurden wissenschaftliche Bücher an deutsche Schulen und Universitäten übergeben. 1953 resümierte Bundeskanzler Adenauer: „Sie haben mit Ihrer Hilfe das Leben von Millionen Deutschen gerettet. Sie haben ihren Lebensmut erneuert und ihnen den Glauben an die wahre Menschlichkeit zurückgegeben.“

Viel zu gucken: Ein Kleinkind studiert eine Care-Lebensmittelkarte.
Quelle: CARE Büro New York

Doch nicht nur Deutschland, viele europäische Länder erhielten Hilfspakete. Mirosalav aus Prag bedankt sich beim Care-Büro in New York im Januar 1947 für ein Weihnachtspaket: „We never had anything, and as soon as my brother saw such a lot of goods, he almost went out of his mind: Daddy, look at the ­heaps of cigarettes and chocolate.“

Evangelos aus Athen schreibt im Dezember an Jackie Kelk in New York, die ihm ein Päckchen geschickt hatte: „With this letter I want to thank you and express my gratitude to you for your kindness in sending me a Care parcel.“ Er schreibt, dass er sich vorstellen möchte, damit die Spenderin des Päckchens weiß, an wen ihre Gabe ging. Er sei ein Opfer des Krieges, wurde von den Deutschen gefoltert, weil er die Partisanen unterstützt habe und leide nun unter Tuberkulose. Sein Wunsch sei, in Amerika zu studieren und als Agrarökonom seinem Land zu helfen.

Norwegische Aprikosentorte, polnisches Makaronigratin, griechisches Mousaka, italienische Tagliatelle, französische Crêpes, finnisches Coffee Bread: 1947 starteten verschiedene Botschaften europäischer Länder eine Werbeaktion in den USA für Care, indem sie typische Rezepte ihres Landes vorstellten. Die Österreicher priesen „Schinkenfleckerln“ an.

Seit dem Sommer 1946 hat Care allein für Westdeutschland 82 608 705 Dollar als Geschenk des amerikanischen Volkes ausgegeben. Vor 60 Jahren, am 5. Juli 1960, wurde das Hilfsprogramm in Deutschland eingestellt. Eine Pressemitteilung aus diesem Anlass stellt fest, dass die Hilfslieferungen nun in eine andere Richtung laufen: Durch Care haben Deutsche in den letzten Jahren „mit über 2,5 Millionen D-Mark Bedürftigen in anderen Ländern geholfen“. In Griechenland, Kolumbien, Mexiko, Malta und Indien konnten die deutschen Botschafter die ersten deutschen Care-Spenden ausgeben.

Heute ist Care eine der größten privaten Hilfsorganisationen der Welt. In mehr als
90 Ländern setzt es sich in Projekten mit lokalen Partnern vor allem für die globale Armutsminderung ein.

Von seinem in Chicago lebenden Bruder erhielt Milorad Radosavlsevich aus Belgrad 1946 ein Care-Paket.
Quelle: CARE Büro New York

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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