Der Sedantag am 2. September war in Bremen gesetzlicher Feiertag – bis der Senat ihn 1896 abschaffte
Auf historischen Aufnahmen vom 2. September 1920 sind würdige Herren zu sehen, die sich am Kriegerdenkmal in den Wallanlagen zur Feier des Sedantages versammeln. Allesamt haben feinen Zwirn angelegt, die meisten tragen Zylinder, an ihrer Brust heften militärische Orden. Auch wenn das deutsche Kaiserreich den Weltkrieg verloren hatte, die Tradition der Sedanfeiern wollten sich die Bremer Militärvereine nicht vermiesen lassen. Zumal ein runder Jahrestag anstand: Vor 50 Jahren hatten deutsche Truppen in der Schlacht von Sedan die französische Armee geschlagen und Kaiser Napoleon III. gefangen genommen.
Schon kurz nach Ende des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 hatte es in kirchlichen und bürgerlichen Kreisen Bestrebungen gegeben, den deutschen Sieg und die damit verbundene Reichsgründung in irgendeiner Form zu feiern. Favorisiert wurde eigentlich der 18. Januar 1871, der Tag der Krönung des preußischen Königs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser in Versailles. Doch der Monarch haderte mit der Kaiserwürde, das Preußentum lag ihm näher als die deutsche Einheit, nur widerstrebend beugte er sich dem Zeitgeist. Zudem war der 18. Januar schon der Krönungstag des ersten preußischen Königs, als neuer nationaler Feiertag hatte der Tag der Kaiserproklamation deshalb schlechte Karten.
Als Ausweichdatum wurde schon früh der 2. September ins Spiel gebracht, doch eine wohlgefällige Reaktion von offizieller Seite blieb aus. In Bremen wie auch in etlichen anderen Städten preschte man deshalb vor, bereits für 1871 verzeichnet das „Gedenkbuch der freien Hansestadt Bremen“ eine öffentliche Sedanfeier, wenn auch „nicht als allgemein angeordneter Festtag“. Gleichwohl schufen solche Initiativen von unten Tatsachen, ab 1873 wurde der Sedantag fast überall im Reich gefeiert. Zum Standardablauf gehörten Glockengeläut, Umzüge, Festgottesdienste, Konzerte, Flaggenschmuck, patriotische Reden und in Bremen ein Festmahl samt Volksbelustigung auf dem Schützenhof beim Hohentor.
Der Sedantag war damit so etwas wie ein inoffizieller Nationalfeiertag: allerorten begangen, aber ohne die Weihe von ganz oben. Für die Bremer Bürgerschaft ein unbefriedigender Zustand, weshalb sie im Mai 1875 forderte, „das Andenken dieses glorreichen Ereignisses der deutschen Geschichte durch eine würdige öffentliche Feier zu ehren“. Der Senat ließ sich nicht lange bitten: Wenn schon nicht auf nationaler Ebene, so sollte der Sedantag doch wenigstens in Bremen als gesetzlicher Feiertag begangen werden. Mit dem entsprechenden Gesetz vom 9. Juli 1876 waren dafür die Grundlagen geschaffen.
Geistliche sprechen bei der Sedanfeier
Fortan kümmerte sich ein „Komitee für den Sedantag“ um die organisatorischen Belange. Fester Bestandteil war eine Festrede, den Anfang machte Senator Albert Gröning. In späteren Jahren kamen meist Geistliche zu Wort, einmal auch der Schriftsteller Heinrich Bulthaupt. Ebenfalls eingebunden waren die Schüler der oberen Klassen, sie machten den Löwenanteil des Festzuges aus, der sich stets vom Tivoligarten An der Weide über Bahnhofstraße, Domshof und Marktplatz zum 1875 errichteten Kriegerdenkmal in den Wallanlagen in Höhe des Ansgaritors bewegte. Für die Ausrichtung machte der Senat alljährlich 3000 Mark locker.
Freilich stellten sich nach einigen Jahren erste Ermüdungserscheinungen ein. Erstmals traten sie im Dreikaiserjahr 1888 zutage, als zuerst der greise Kaiser Wilhelm I. starb und wenige Monate später sein Sohn und Nachfolger Friedrich III. Der Sedantag wurde damals abgesagt, hielt doch die Bürgerschaft ein „nationales Jubelfest“ nicht für opportun „in einem Jahre, in welchem Deutschland seine allgeliebten Kaiser Wilhelm und Friedrich, die erlauchtesten Helden des Krieges von 1870, kurz nacheinander verloren habe“.
Doch die Absage aus Trauergründen brachte auch grundsätzliche Vorbehalte ans Licht. Im November 1888 stellte ausgerechnet das Organisationskomitee die Sedanfeier an sich in Frage. Der Enthusiasmus für die Feier, „die ja doch früher oder später einmal aufhören werde“, hatte nach Eindruck des Komitees spürbar nachgelassen. Und allein die Lustbarkeiten am Nachmittag dürften nicht ins Gewicht fallen, „da jeder Jahrmarkt dieselbe Anziehung ausübe“.
Vorerst war indessen der Widerstand gegen eine Abschaffung des Sedantags als gesetzlicher Feiertag zu stark. Die Befürworter machten geltend, die Sedanfeier sei „das einzige Fest von nationaler Bedeutung, das wir besitzen und namentlich für die Erhaltung der patriotischen Begeisterung in den Herzen der Jugend durch nichts zu ersetzen“.
Einen zweiten Anlauf unternahm das feiermüde Komitee im Vorfeld des 25. Jahrestags der Schlacht von Sedan. In einem Schreiben an den Senat regte das Komitee im November 1894 an, die runde Jubelfeier von 1895 besonders glanzvoll zu gestalten und danach auf eine weitere Ausrichtung zu verzichten. Erst zum 50. Jahrestag von 1920 sollte es wieder eine Sedanfeier geben.
Der Senat zeigte sich nicht abgeneigt. Einen deutlich erhöhten Zuschuss dürfe es aber nur geben, wenn sichergestellt sei, dass die Sedanfeier von 1895 wirklich die letzte sei. Davon wollte die Bürgerschaft aber zunächst nichts wissen. Doch auch ohne definitive Entscheidung über die Zukunft der Sedanfeier gab der Senat 10 000 Mark frei. Entsprechend bombastisch fiel die Veranstaltung vom 2. September 1895 aus: Neben dem üblichen Prozedere fanden sich 1630 Veteranen ein, beim Umzug rollten Festwagen mit allegorisch kostümierten Gruppen durch die Stadt. Damals erhielt auch der Sedanplatz in Vegesack seinen Namen, die Sedanstraße in Bremen gab es schon länger.
Nun hatte der Senat Blut gerochen und forderte vom Komitee ein Gutachten zum weiteren Umgang mit dem Sedantag an. Das nicht mehr ganz so überraschende Ergebnis: Das Komitee riet von einer Fortsetzung der jährlichen Sedanfeier ab. Damit schlug auch die Stunde für den gesetzlichen Feiertag, am 25. März 1896 stimmte die Bürgerschaft seiner Abschaffung zu.
Militärvereine am Drücker
Von diesem Zeitpunkt an lag die Organisation der Sedanfeier in der Hand der Militärvereine, in denen die Veteranen organisiert waren. Die 37 Bremer Vereine zählten rund 7200 Mitglieder, als gemeinsame Interessenvertretung agierte der „Bremische Landes-Krieger-Verband“. Die einzelnen Vereine wechselten sich bei der Ausrichtung des Sedantags ab, das Programm blieb das Gleiche: erst der Festzug zum Kriegerdenkmal, dann das feierliche Kranzablegen, zum Schluss turnte die Jugend.
Das Ende für die Sedanfeier kam mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Mit „Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeitverhältnisse“ wurden die Veranstaltungen ab 1914 ersatzlos gestrichen. Erst im September 1920 wagten sich die Kriegervereine wieder aus der Deckung.
Schon damals fürchtete die Polizei, es könnte zu unliebsamen Störungen kommen. Genehmigt war nur eine Zusammenkunft samt Feldgottesdienst am Kriegerdenkmal, kein Umzug durch die Stadt wie in früheren Jahren. Doch was, wenn sich nicht alle Teilnehmer an die Auflagen hielten, wenn es doch einen Umzug oder einen Menschenauflauf gäbe? Die Order an die Polizei findet sich in einer Akte des Staatsarchivs: Verletzungen der Auflagen seien „unter allen Umständen zu verhindern“.
Einschreiten musste die Ordnungsmacht nicht, die Veranstaltung verlief friedlich. Anders ein Jahr später, als sich die Veteranen am Sedantag abermals am Kriegerdenkmal einfanden. Diesmal waren indessen auch ungebetene Gäste zugegen: Werftarbeiter, die eine Arbeitslosenversammlung am Ort des nationalen Gedenkens abhielten. Schon bei dieser Gelegenheit kam es zu einem ersten Zwischenfall. „Die Schleifen wurden von der erregten Menge von den Kränzen abgerissen“, berichtete das Bremer Volksblatt, die Zeitung der Mehrheitssozialdemokraten.
Den Feldgottesdienst verlegten die Veteranen daraufhin in die Liebfrauenkirche, die Garnisonskirche des Infanterie-Regiments Nr. 75. Tausende Arbeiter drängten laut Volksblatt nach, doch ein Polizeiaufgebot versperrte ihnen den Weg. „Nur Leute in Zylinder und Maßanzügen mit Bügelfalte erhielten Einlaß.“ Aus Sicht der Arbeiterpresse war die Genehmigung des Sedantags ein politischer Skandal. In Berlin und Hamburg sei der „schwarz-weiß-rote Humbug“ verboten, nur die Bremer Regierung lasse die „schamlose nationalistische Propaganda“ zu.
Vorm Polizeihaus am Wall kam es an diesem 2. September 1921 sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen Polizei und Demonstranten, ein Wachtmeister setzte nach eigener Aussage seinen Säbel ein. In einem Bericht an den zuständigen Senator hieß es: „Zum Schutze der Verfassung und des Rechts ist die Polizei da, nicht aber zusammengerottete Parteimassen.“
Nur noch zweimal hat es danach Neuauflagen der Sedanfeier gegeben. Im September 1927 wurde die Feier in Kombination mit einer Tannenbergfeier abgehalten. Eine eher bescheidene Ausrichtung ohne Ansprachen, nur mit Kranzniederlegung und Musik beantragte der Landes-Krieger-Verband für den 2. September 1932. Das war angesichts der gespannten politischen Lage auch ganz im Sinne der Polizei. Deren Auflage lautete: „Jeglicher Charakter einer Demonstration muß vermieden werden.“