Breite Resonanz auf Bilder der Schneekatastrophe 1978/79 – Eine Bilanz der Kommentare auf Facebook
Ob es sich um den Iglu-Bau dreht,„Fremdparker“ auf freigeschaufelten Stellplätzen oder ausgedehnte Einkaufstouren auf dem Schlitten – der Katastrophenwinter 1978/79 ist in Bremen und umzu noch sehr präsent. Dabei geht es auch ums gemeinsame Anpacken beim Schneeschnippen, um das Gemeinschaftserlebnis überhaupt. Nachbarn, die noch nie ein Wort gewechselt hatten, sprachen plötzlich miteinander.
Noch sehr gut hat Liese M. den Katastrophenwinter 1978/79 vor Augen. Sie habe am 30. Dezember geheiratet, berichtet sie. „Ganz in weiß – auch von oben!“ Doch der Gang vor den Traualtar war ernsthaft gefährdet. Wäre nicht ein Schneepflug zur Stelle gewesen, hätte das Brautpaar den Weg zur Kirche gar nicht zurücklegen können. Das Räumfahrzeug musste dem Hochzeitsauto vorausfahren und erst einmal die Straße freimachen. Eine außergewöhnliche Fahrt hat auch Margitta K. in Erinnerung. Offenbar in Ermangelung von Schneeketten musste eine Nachbarin für mehr Gewicht im Kofferraum des elterlichen Wagens sorgen, „damit mein Dad aus unserer Straße überhaupt raus kam“.
Zwei Erinnerungen, die nur einen kleinen Teil der Gesamtresonanz auf den Facebook-Post zur Schneekatastrophe ausmachen. Der Eintrag auf dem Account von Bremen History hat bis heute 36.336 Personen erreicht, 308 von ihnen drückten den „Gefällt mir“-Button, 117 teilten den Post auf ihrem eigenen Konto und 50 Nutzer steuerten Kommentare bei. Weil auch das Portal der Stadt Bremen den Eintrag teilte, kamen noch einmal 448 „Likes“ und 38 weitere Kommentare auf „bremen.de“ hinzu.
Ein guter Grund, die Reaktionen ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.
Was bewegt die Menschen noch heute?
Was bewegt die Menschen noch 36 Jahre nach den Ereignissen so sehr, dass sie solchen Anteil nehmen? Warum nimmt die „Schneekatastrophe“ im kollektiven Gedächtnis einen so beherrschenden Platz ein?
Kurzum, wieso ist der Schnee von gestern kein Schnee von gestern?
Sicherlich, weil derartige Schneemengen in Norddeutschland nun einmal Seltenheitswert haben. Schnee in Bremen sehe gut aus, schreibt Hüseyin K. aus der Türkei. Sechs Jahre habe er an der Weser verbracht und kein einziges Mal die weiße Pracht erlebt.
Mit 67 Tagen geschlossener Schneedecke zählte der Winter 1978/79 zu den härtesten Nachkriegswintern im Norden. Zahlreiche Ortschaften waren tagelang von der Außenwelt abgeschnitten, vor allem in Schleswig-Holstein gab es eine Reihe von Todesopfern. Meterhohe Schneeverwehungen brachten den Verkehr zum Erliegen. Darum auch die spontane Bezeichnung als „Katastrophe“. Zuletzt hatte es einen derart massiven Schneefall fast eine Generation zuvor gegeben, im berüchtigten Hungerwinter 1946/47. Kein Wunder also, dass sich die Erinnerung eingeprägt hat – auch wenn ein halber Meter Schnee in zwei Tagen eher mickrig erscheint im Vergleich zum Winteralltag in bergigen Regionen.
Beachtliche Iglu-Dichte in Bremen
Für viele Menschen ist die Erinnerung an die Schneekatastrophe eine Erinnerung an unbeschwerte Kindheitstage. Als norddeutsches Kind im Schnee zu toben oder Schlittschuh zu fahren, das ist angesichts zahlreicher Schmuddelwinter wahrlich kein Selbstläufer. Immer wieder wird von selbst gebauten Iglus berichtet, in Bremen muss damals eine beachtliche Iglu-Dichte geherrscht haben. „Wir haben Iglus in Bremen-Osterholz gebaut und Gänge unter den aufgeschütteten Schnee neben den Fußwegen gegraben“, erinnert sich Klaus S.
Daneben geht es natürlich immer wieder ums Schlittenfahren. Zumal die Schneehöhe endlich mal ungetrübten Rodelspaß garantierte. „Schlitten fahren ohne dass die Kufen irgendwann auf Stein trafen“ – das war etwas Neues für Mona B. Zu ihren „schönsten Kindheitserinnerungen“ zählt die damals siebenjährige Carmen H. etliche Rodelausflüge zum Hexenberg. Ein Weg, den sich Markus N. sparen konnte. „Bei uns hat die Bundeswehr die Straßen geräumt, alles auf eine freie Fläche gekippt und uns somit den ‚geilsten Rodelberg der Welt’ beschert.“
„Alle Nachbarn schippten gemeinsam“
Auch die unterrichtsfreien Tage haben sich bei zahlreichen Lesern als durchweg positive Erinnerung erhalten. „Ich war damals 15 und hatte zwei Tage schulfrei“, berichtet Biggi T. Freilich blieb die Freude nicht ungetrübt. Zeigte sich doch alsbald, dass schulfrei nicht zwangsläufig gleichzusetzen war mit Freizeit. Denn: „Meine Mutter hatte mich eingespannt, vor dem Haus den Schnee zu fegen.“ Einen besonderen Eindruck machte der Schnee auch auf die erst dreijährige Hilke G. „Auf mich wirkten die Schneemassen noch riesiger als sie eh schon waren.“ Ganz nebenbei bescherte die Schneefülle ihr ein Erkenntniserlebnis der besonderen Art. „Mir fiel damals auf, dass unser weißer Hund doch nicht so weiß ist.“
Bei besonderen Vorkommnissen mit allgemeinen Auswirkungen pflegen die Menschen enger zusammenzurücken. Das war auch im Katastrophenwinter nicht anders. Ein Gemeinschaftserlebnis, das als schöne Erinnerung im Gedächtnis haften bleibt. „Beim gemeinsamen Schneeschippen haben sich Nachbarn unterhalten, die sonst kaum miteinander geredet haben“, erinnert sich Ulrike S. Ganz ähnlich äußert sich auch Barbara K.: „Alle Nachbarn schippten gemeinsam Parkplätze und Straßen frei, weil unsere Nebenstraßen nicht geräumt wurden.“ Über 300 freiwillige Helfer im besonders betroffenen Bremen-Nord folgten sogar dem Aufruf des damaligen Bausenators Seifriz und packten beim Schneeräumen mit an.
Kampf um schneefreie Parkplätze
Doch Egoismus und Eigennutz blieben auch unter diesen denkwürdigen Umständen ein allzu menschliches Phänomen. Das zeigte sich insbesondere beim Kampf um schneefreie Parkplätze. „Stundenlang hatte ich mir vor meiner Haustür eine Parkbucht geschaufelt“, erinnert sich Hans-Jürgen Z., damals Taxifahrer. „Und als ich von der Arbeit nach Hause kam wurde sie … okkupiert!“ Eine Erfahrung, die auch Markus N. gelegentlich machen musste. „Hin und wieder gab es mal Ärger, wenn ein ‚Fremdparker’ den eigens freigeschaufelten Parkplatz besetzt hat.“
Überhaupt der Winterdienst! Darüber weiß Joachim T. aus eigener Erfahrung zu berichten, er saß damals am Steuer eines Räumfahrzeugs. „Mir taten die Hafenarbeiter leid“, sagt er, „die hatten ihre Autos gerade freigeschaufelt und ich musste die wieder zuschieben“. Gab es denn Alternativen? Wohin nur mit dem vielen Schnee wenn nicht an den Straßenrand? Kai G. weiß Bescheid. Als Kind saß er in einem Laster, „der den Schnee in die Weser gekippt hat“.
Kilometer lang auf dem Schlitten
Wohl dem, der überhaupt noch fahren konnte. Zeitweise war die Mobilität stark eingeschränkt. Als „Abenteuer pur“ bezeichnet Rita K. eine Straßenbahnfahrt von Sebaldsbrück ins Stadtzentrum. „Alle paar Meter musste der Straßenbahnfahrer anhalten und den Schnee vorne unter den Bremsen entfernen.“ Da hatte sie es aber immer noch besser erwischt als ein damals 22-Jähriger aus Huchting. Er sei „da absolut nicht weggekommen, kein Bus, Autofahren ging auch nicht“. So erging es manchen Bewohnern in abgeschnittenen Dörfern und Vororten. Astrid H. berichtet, ihre Mutter sei mit ihr – der damals zweijährigen Tochter – „auf dem Schlitten zu Fuß sechs Kilometer in die Ortsmitte zum Einkaufen gezuckelt“ und wieder zurück. Ungefähr die gleiche Wegstrecke legte auch der seinerzeit elfjährige Verfasser mit seinem Vater zurück. Allerdings nicht im Bremer Umland, sondern unweit von Schleswig. Der Schlitten als Transportmittel.
Wintersportler waren in diesen Tagen und Wochen klar im Vorteil. „Ich war damals seit einem Jahr in Bremen“, erzählt Gabriele H. „Mit einem Mal waren ganz viele Menschen auf Skiern unterwegs.“ Etwas, womit sie im „flachen“ Bremen überhaupt nicht gerechnet habe.
Mitunter fürchteten die Menschen auch um ihre Unterkünfte. Kathrin H. wohnte damals in Bremen-Osterholz in einem Wohnblock. „Die Bewohner hatten Angst, dass die Balkone die Schneemassen nicht tragen.“ Eine Befürchtung, die sich als unbegründet erweisen sollte. Nur in Habenhausen brach das Vordach eines Einkaufszentrums unter der Schneelast zusammen.
So einen Winter sehnt so mancher wieder herbei. Oder zumindest ein bisschen Schnee. „Was ist das?“ fragt Ruth H. augenzwinkernd beim Blick auf die Schneebilder. „Das weiße Zeug.“
von Frank Hethey