Vor 50 Jahren sollte der Treuhand-Verwaltungssitz an der Brill-Kreuzung entstehen
Als vor zwei Jahren die Diskussion über den Entwurf des amerikanischen Architekten Daniel Libeskind für das Sparkassengrundstück am Brill mit seinen vier Türmen hochkochte, war wohl nur wenigen bewusst, dass es knapp ein halbes Jahrhundert zuvor bereits schon einmal eine konkrete Hochhausplanung an der Brill-Kreuzung gegeben hatte. Im Zuge des sogenannten Martini-Durchbruchs, der Verlängerung der Martinistraße bis zum Brill und ihr vierspuriger Ausbau, waren am Rande des Straßenzugs noch zahlreiche Grundstücke unbebaut. Eines der größten lag zwischen der Langenstraße und der neuen Martinistraße direkt an der Kreuzung. Es gehörte der Stadt, und seine Vergabe an einen Interessenten war an einen Architekturwettbewerb geknüpft, denn an dem städtebaulich bedeutsamen Ort sollte kein Allerweltsbau entstehen.
1970 meldete die Bremer Treuhandgesellschaft für Wohnungsbau ihr Interesse an dem Grundstück an. Der zweitgrößte Wohnungsbaukonzern der Stadt wollte hier seinen neuen Hauptverwaltungssitz errichten, möglicherweise inspiriert vom größeren Konkurrenten Neue Heimat Bremen, der gerade seinen repräsentativen 43 Meter hohen Verwaltungsturm am Rembertiring baute.
Zum Architekturwettbewerb für die Treuhandzentrale wurden sieben namhafte bremische Architekturbüros eingeladen. In einer ganztägigen Jurysitzung am 7. Mai 1971, einem Freitag, fiel die Entscheidung. Das Ergebnis wurde am Montag der Öffentlichkeit vorgestellt. Für Kenner nicht ganz überraschend erhielt der Entwurf von Team 4 (die Bürogemeinschaft der Architekten Gunter Müller, Wilhelm Stadtlander, Karl-August Welp und Friedemann Wolff) den Zuspruch der Jury. Die Vier waren so etwas wie die Spezialisten für Großbauvorhaben der Treuhandgruppe. Schon zwei Wochen zuvor hatte Team 4 das Gutachterverfahren für die Gestaltung der Nordseite des Sedanplatzes für sich entscheiden können (siehe auch den letzten Beitrag dieser Reihe). Zugleich arbeitete das Büro an den Großwohnanlagen Wätjens Park, Grohner Düne und Wohlers Eichen, von denen die beiden letztgenannten 1973 teilweise fertiggestellt sein sollten.
Ein erfreulicher Blickfang
Für den Brill hatten die Architekten einen 14-geschossigen Büroturm entworfen, der mit einem viergeschossigen Seitenflügel an die Nachbarbebauung anschloss. Die Höhe des Bauwerks von rund 50 Metern durfte nicht überschritten werden, weil vom nahegelegenen Fernmeldeturm an der Neuenstraße Richtstrahler in seine Richtung zielten. Auf den ersten Blick wirkte der Turm mit der zeittypischen Vorhangfassade aus Leichtmetall und seinem wabenförmigen Grundriss nicht außergewöhnlich. Bei genauerem Hinsehen konnte man aber erkennen, dass die Seitenlängen etwa im Verhältnis 1:3:2 variierten, ebenso, dass die Ost- und die Westhälfte des Turmes um etwa drei Meter gegeneinander verschoben waren. Dadurch ergaben sich an der Nord- und Südseite bugartige Vorsprünge, die dem Bauwerk eine gewisse Dynamik verleihen sollten. Zudem beabsichtigten die Architekten, die additive Eintönigkeit typischer Hochhausfassaden durch einen Rücksprung im vierten Obergeschoss zu vermeiden. Hier sollte ein Restaurant oder eine Kantine mit Terrasse untergebracht werden, verbunden mit einem sechseckigen Vorführraum im Seitenflügel.
In diesem Flügel war des Weiteren eine zweigeschossige Garage mit 70 Stellplätzen vorgesehen. In das 12. Geschoss des Büroturms, das sich nach Westen zurückstaffelte, sollte die Geschäftsleitung einziehen, während im darüber gelegenen Staffelgeschoss die Gebäudetechnik untergebracht werden sollte. Man war sich einig, dass hier ein großer Wurf gelungen sei. „Der Brill verträgt einen solchen architektonischen Glanzpunkt“, bemerkte Bausenator Hans Stefan Seifriz. Und der Jury-Vorsitzende Wilhelm Wortmann ergänzte, der markante Bau sei nicht nur ein schöner Abschluss des Martini-Durchbruchs, sondern biete auch einen erfreulichen Blickfang von der Bürgermeister-Smidt-Brücke und aus der Faulenstraße. Auch seitens der Bauherrin zeigte man sich hoch zufrieden, allerdings müsse der Entwurf noch in einigen funktionalen und konstruktiven Punkten nachgearbeitet werden, dann könne man voraussichtlich im Frühjahr 1972 mit dem Bau beginnen.
Noch einmal nachgerechnet
Doch rückten nach Jahresfrist nicht die Bauarbeiter an. Stattdessen war am 10. April 1972 im WESER-KURIER zu lesen: „Treuhand verzichtet auf ein Hochhaus am Brill. Neuer Plan: Verwaltungsgebäude in Habenhausen“. Was war geschehen? Der Wohnbaukonzern hatte noch einmal nachrechnen lassen. Und das in Auftrag gegebene betriebswirtschaftliche Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass für einen Großnutzer eine Bürofläche von rund 7.400 Quadratmetern, die sich über ein Dutzend Stockwerke verteilten, problematisch sei. Auf der relativ geringen Grundfläche sei zudem das Verhältnis von Büro- und Erschließungsfläche ungünstiger als bei einem niedrigeren Gebäude auf größerer Grundfläche, die in dezentraler Lage darüber hinaus kostengünstiger zu erwerben sei. Auch das Parkplatzproblem sei dort einfacher zu lösen.
So begab sich die Gesellschaft schon mal auf die Suche nach einem alternativen Grundstück am Stadtrand und wurde in Habenhausen fündig, wo durch die 1971 fertiggestellte Werderbrücke (heute Karl-Carstens-Brücke) auch eine gute Verkehrsanbindung gewährleistet war. 10 Millionen Mark ließen sich an diesem Standort gegenüber dem Hochhaus-Bau am Brill einsparen. So entschied sich die Treuhandführung, die, wie man hörte, mittelfristig inzwischen von einem Neubau der Konzernzentrale im Hollerland träumte, wo die Gesellschaft größere Grundflächen besaß, für eine „schnelle Lösung“ in Habenhausen. Die Preisträger des Hochhauswettbewerbs durften den architektonisch eher durchschnittlichen dreigeschossigen Bürokomplex an der Steinsetzerstraße entwerfen. 1974 wurde er fertiggestellt. Das alte Verwaltungsgebäude am Domshof blieb zudem weiterhin Treuhand-Sitz.
Aus den Träumen eines Neubaus im Hollerland wurde nichts mehr. 1977 ging die Bremer Treuhand in Konkurs. Das Gebäude in Habenhausen diente zwischenzeitlich in den 1980er-Jahren als Arbeitsamt, als sich dieses im Umbau befand. Im Jahr 2000 wurde der Komplex zum Einkaufzentrum „Werder-Carree“ umgebaut. Und das Grundstück am Brill? Eine Zeitlang versuchte die Stadt für den Hochhausentwurf einen neuen Nutzer zu finden. So wurde es 1978 der Hamburg-Mannheimer-Versicherung als Alternativstandort vorgeschlagen, als deren Hochhauspläne am Herdentor auf heftigen Protest aus der Bevölkerung stießen. Doch auch für die Versicherung war das Grundstück zu klein. Und so vergingen nach dem Wettbewerb mehr als ein Jahrzehnt, bis sich auf dem Grundstück endlich etwas tat – allerdings mit einen neuen architektonischen Konzept. 1983 wurde das Projekt eines sechsgeschossigen Kontorhauses am Brill nach Plänen des Architekten Gert Schulze vorgestellt. Dieses 1985 fertiggestellte Gebäude lehnt sich in Material und Maßstab an das gegenüber gelegene Eckgebäude des Bettenhauses Wührmann an.