Ermordet: der Arzt Adolph Goldberg.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus: Das Ehepaar Goldberg und seine Mörder

Zwei Schüsse feuerte der Mörder aus nächster Nähe auf Martha Goldberg ab, beide trafen die 65-Jährige ins Herz. Weniger glatt verlief die Bluttat bei ihrem Mann, dem Arzt Adolph Goldberg. Der Revolver habe Ladehemmung gehabt, gab der Täter nach dem Krieg zu Protokoll. Erst nachdem die beseitigt war, konnte der Todesschütze sein blutiges Geschäft zu Ende bringen. Nochmals zwei Herzschüsse töteten auch den 78-jährigen Mediziner.

Das jüdische Ärzte-Ehepaar aus Burgdamm gehörte zu den insgesamt fünf Menschen, die am 9. November 1938 in Bremen von SA-Männern brutal gemeuchelt wurden. Eine blutige Bilanz, die selbst dem Initiator der „Reichspogromnacht“ zu viel war. Überall im Reich sei die „Judenaktion“ tadellos verlaufen, konstatierte zufrieden Propagandaminister Joseph Goebbels. „Nur in Bremen ist es zu einigen unliebsamen Exzessen gekommen.“

Tatsächlich fielen der „Volkswut“ in ganz Deutschland 91 Juden zum Opfer. Das klingt nach enthemmten Mördern im Blutrausch. Doch genau darauf deutet laut Achim Saur vom Geschichtskontor des Kulturhauses Walle nichts hin. Von einer regelrechten Gewaltorgie kann in seinen Augen keine Rede sein. „Die Aktion stockte sogar“, sagt er. Erst nach langem Zögern schritt der Mörder zur Tat. Und entschuldigte sich zuvor sogar noch bei seinen Opfern. „Ich habe zu beiden Personen gesagt, dass es mir leid täte, eine so schwere Pflicht erfüllen zu müssen“, erklärte er nach dem Krieg den Ermittlern.

Keine halben Psychopathen

Eine glaubhafte Aussage? Saurs frappierendes Fazit nach dem Studium der einschlägigen Ermittlungsakten von 1947: „Wenn man den repräsentativen Querschnitt betrachtet, waren die Beteiligten offenbar keine halbe Psychopathen.“ Sondern ganz normale Männer aus der Nachbarschaft. Normale Männer mit normalen Berufen. Insgesamt rund 80 Personen, darunter „auffallend viele Lehrer“ sowie Postbeamte, Gastwirte und kleinere Handwerker. Zum Zeitpunkt des Geschehens standen die Männer schon lange im Beruf, sie waren keine „jungen Wilden“, sondern überwiegend im gesetzten Alter. Der Todesschütze, ein Schiffsingenieur, war 53 Jahre alt.

Ermordet: die Arztgattin Martha Goldberg.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Das ist das eigentlich Erschreckende an der Mordnacht. Von einem „Geschehen aus der Mitte der Gesellschaft“ spricht denn auch Saur. Noch nicht einmal als „alte Kämpfer“ konnten die Mörder durchgehen. Unter den Tätern waren kaum Nazi-Enthusiasten der ersten Stunde. „In der Hauptsache haben wir es mit Stahlhelmern zu tun“, sagt Saur. Also mit Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, die dem „Bund der Frontsoldaten“ angehörten, einer konservativ-nationalistischen Organisation. Am liebsten hätte der Stahlhelm den Kaiser wiedergehabt. Doch im Zuge der Gleichschaltung schluckte die SA den Stahlhelm. „Wer nicht austrat, wurde SA-Mitglied“, sagt Saur.            

Doch wie lautet sie denn nun, die historische Wahrheit? Endgültige Antworten gebe es allein auf Basis der Vernehmungsprotokolle und der Urteilsbegründung nicht, betont Saur. Eine These hat er aber doch. Und die läuft darauf hinaus, dass in der verhängnisvollen Nacht eine Gewaltspirale in Gang kam, eine Eigen- und Gruppendynamik, die im Mord am Ehepaar Goldberg mündete. Und zwar ohne dass es einen offiziellen Mordbefehl gegeben hätte. 

Genau deshalb stellt sich die Frage nach dem persönlichen Entscheidungsspielraum. Hatten die „ganz normalen Männer“ eine Chance, sich rauszuhalten? So wie Mitglieder der Polizeibataillone, die sich von den Erschießungen fernhielten und dafür nicht sanktioniert wurden? Saur ist sich dessen ziemlich sicher. „Ein SA-Mann, der sich geweigert hätte, wäre im schlimmsten Fall vor ein SA-Ehrengericht gestellt worden.“ Dass es Alternativen gegeben hätte, zeigt der Fall zweier Sturmbannführer in Bremen-Nord, die gemeinsam berieten, wie die telefonische Anweisung „Juden vernichten“ zu verstehen sei – es endete damit, dass ein paar Scheiben eingeschlagen wurden.

von Frank Hethey

In einer Kombination aus Szenischer Lesung, Vortrag und Diskussion thematisiert das Geschichtskontor am Donnerstag, 1. Februar, um 20 Uhr im City 46 an der Birkenstraße die Motive der Täter vom November 1938 in Lesum. 

Eine Veranstaltung mit Marcus Meyer, Denkort Bunker Valentin, und dem Bremer Historiker Diethelm Knauf.

Eintritt 5/4 €

Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung eines Artikels, der im November 2016 im Weser-Kurier erschienen ist.

Auf der Anklagebank: die Mörder des Ehepaars Goldberg.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

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