Das Nachfolgeschiff der „Seute Deern“, der Bremer Segler „Najade“, wurde im März 1917 versenkt
Die „Najade“ hatte schon einen langen Weg hinter sich, als sie am 21. März 1917 die Nordsee erreichte. Vom texanischen Galveston kommend, steuerte der stählerne Dreimaster mit einer Ladung Ölkuchen an Bord Dänemark an. Doch sein Ziel sollte der unter norwegischer Flagge fahrende Frachtsegler nicht erreichen. Zwischen den Orkney- und Shetland-Inseln lief die „Najade“ einem deutschen U-Boot direkt vors Rohr. Bei ihrem Untergang riss sie sämtliche 21 Besatzungsmitglieder mit in die Tiefe, dazu noch vier Engländer, die als bewaffnete Wache vom Hilfskreuzer HMS Ebro abkommandiert waren.
Der Erste Weltkrieg ist längst Geschichte, die „Najade“ geriet in Vergessenheit. Nur Fachleute wussten noch ihren historischen Stellenwert zu würdigen – als das erste in Deutschland gebaute Vollschiff aus Stahl. Und nur Fachleute wussten, dass sie in Geestemünde vom Stapel gelaufen war, mithin als hervorragendes Beispiel lokaler Schiffsbaukunst gelten kann. Fachleute wie Torsten Conradi von der Bremerhavener Schiffs- und Yachtkonstruktionsfirma Judel/Vrolijk & Co., der als Gutachter den Nachbau der „Najade“ als Ersatz für die gekenterte „Seute Deern“ empfahl.
Eine Ironie der Geschichte
Weitaus weniger bekannt ist, dass dieses Prachtexemplar deutscher Ingenieursarbeit seinen Untergang einem deutschen U-Boot verdankt. Und dieses U-Boot ebenfalls aus Bremer Produktion stammte – es wurde auf der AG Weser gebaut. Im Grunde eine tragikomische Ironie der Geschichte. In der Berichterstattung über den Nachbau der „Najade“ kam dieser Umstand nicht zur Geltung. Ein guter Grund, der Geschichte beider Schiffe nachzuspüren.
Bis zu ihrem verhängnisvollen Aufeinandertreffen am nördlichen Zugang zur Nordsee.
Als die Bremer Reederei Gildemeister & Ries den Bau der „Najade“ in Auftrag gab, konnte man mit der Segelschifffahrt noch gutes Geld verdienen. Nicht mehr zeitgemäß waren lediglich hölzerne Frachtsegler wie die „Seute Deern“, das 1919 in Amerika gebaute Schiff war ein echter Nachzügler. Stattdessen setzte man wie in der Dampfschifffahrt auch bei Seglern vermehrt auf Stahlschiffe. Den Anfang machte 1888 die „Najade“, die bei der Tecklenborg-Werft in Geestemünde vom Stapel lief. 1898 sortierte die Reederei Gildemeister & Ries ihr letztes Holzschiff aus.
Nur ein Jahr zuvor hatte sich das Traditionsunternehmen neu aufgestellt. Die Zeit der reinen Kaufmannsreedereien war unwiederbringlich vorüber, die Reedereisparte wurde 1897 ausgegliedert und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die Visurgis AG. Das Markenzeichen: hellgrau gestrichene und darum als „Bremer Esel“ bekannte Schiffe, deren Namen stets mit einem N begannen. Wobei eine Vorliebe für die Antike ins Auge fällt. Eines der Schiffe trug den Namen Nauarchos, nach den Oberbefehlshabern der spartanischen Flotte. Andere wurden nach Nymphen getauft, den weiblichen Naturgeistern der griechischen Mythologie. So kam die Bergnymphe Nomia zu Ehren. Und Najade, die über die Gewässer wacht.
Praktisch zum gleichen Zeitpunkt nahm der Bau militärischer U-Boote Fahrt auf. Anfangs hatte die Kaiserliche Marine noch stark mit der neuen Waffe gefremdelt, doch 1906 wurde schließlich das erste U-Boot in Dienst gestellt, die U 1. Im Ersten Weltkrieg lag der Fokus zunächst auf den großen Schlachtschiffen, erst nach der erfolgreichen Torpedierung dreier britischer Panzerkreuzer im September 1914 forcierte Deutschland den zügigen Ausbau seiner U-Boot-Waffe.
Am 20. Juni 1916 lief bei der AG Weser die U 59 vom Stapel. Das 67 Meter lange Wasserfahrzeug war mit sieben Torpedos bestückt, hatte zwei Deckgeschütze und eine 36-köpfige Besatzung. Einziger Kommandant des U-Boots war ab September 1916 bis zum Untergang ein knappes Jahr später Freiherr Wilhelm von Fircks, ein 35-jähriger Kapitänleutnant aus Berlin. Bei ihren ersten Feindfahrten 1916/17 versenkte die U 59 sechs Handelsschiffe, davon eines vom Kriegsgegner Frankreich, die anderen fünf von den formal neutralen Staaten Schweden und Norwegen.
Doch das spielte schon damals keine Rolle mehr. Als Reaktion auf die britische Blockade der deutschen Häfen hatte das Kaiserreich eine Art Gegenblockade verhängt und die Gewässer rund um die britischen Inseln zum Sperrgebiet erklärt. Auch Handelsschiffe aus neutralen Staaten mussten als potenzielle Helfer der Entente damit rechnen, ins Visier deutscher U-Boote zu geraten, wenn auch unter Beachtung des Prisenrechts, das keine Versenkung ohne Vorwarnung erlaubte. Damit war es am 1. Februar 1917 vorbei, als Deutschland den schon zuvor praktizierten „uneingeschränkten U-Boot-Krieg“ wiederaufnahm, um die Briten endlich in die Knie zu zwingen.
Die „Najade“ hatte schon vor Kriegsausbruch den Eigentümer gewechselt. Der Konkurrenz durch Dampfschiffe waren die Segler der Visurgis AG nicht mehr gewachsen, ab 1909 trennte sich die Reederei von einem Schiff nach dem anderen. Im Frühling 1912 kaufte der norwegische Reeder Samuel Marcussen das knapp 80 Meter lange Stahlschiff, ihren alten Namen behielt die „Najade“ bei. Marcussen betrieb seit 1915 die American Chartering Agency mit einem Filialkontor in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen.
Als die U 59 am 21. März 1917 die „Najade“ sichtete, machten deutsche U-Boote schon mehr als sechs Wochen überaus erfolgreiche Jagd auf ausländische Handelsschiffe. In den ersten Monaten verlief der „uneingeschränkte U-Boot-Krieg“ ganz wie erhofft, rund 2000 Frachter mit 3,5 Millionen Bruttoregistertonnen fielen den Angriffen zum Opfer. In Großbritannien wurden Kraft- und Rohstoffe knapp, es drohte eine Versorgungskrise wie in Deutschland.
Zwei Schiffe hatte die U 59 am 19. und 20. März bereits versenkt, als sie sich nordwestwärts in Richtung Orkney- und Shetland-Inseln vortastete: einen niederländischen Tanker und einen dänischen Dampfer. Und nun also ein vollständig getakelter Dreimaster, ein Vollschiff. Wobei man nicht meinen darf, ein Segler sei leichte Beute gewesen.
Segler lief U-Boot davon
Nahezu an gleicher Stelle befand sich ein halbes Jahr später Martin Niemöller, der spätere Pastor und Friedensaktivist, damals erster Offizier der U 151. In seiner Autobiografie von 1934 schildert er den Versuch, einen „ostwärts steuernden Segler“ zu stellen. „Aber unsere elf Seemeilen reichen dazu nicht“, schreibt er frustriert, „er hat raumen Wind und läuft uns glatt davon.“
Weniger Glück hatte die „Najade“. Ein Torpedotreffer besiegelte ihr Schicksal und das der Männer an Bord, kein einziger überlebte. Das Wrack liegt heute in 72 Metern Tiefe. Bis zum 9. April 1917 versenkte die U 59 noch fünf weitere Handelsschiffe, darunter vier Segler. Nur fünf Wochen später endete auch die Geschichte der U 59, aber nicht etwa durch Feindeinwirkung. In einem gerade erst gelegten deutschen Minenfeld südlich von Horns Riff, einer Sandbank vor der dänischen Westküste, fuhr das U-Boot am 14. Mai 1917 auf eine Mine. Beim Untergang der U 59 fanden 33 Besatzungsmitglieder den Tod, unten ihnen Kommandant Wilhelm von Fircks, nur vier kamen mit dem Leben davon.