Vor 50 Jahren

In gleichlautenden Schreiben hat Bausenator Seifriz die niedersächsischen Minister für Wirtschaft und öffentliche Arbeiten und für Soziales von wachsenden Bedenken gegen das geplante Kernkraftwerk an der Unterweser bei Esenshamm unterrichtet. „Infolge der unzureichenden Informationen“ durch die Nordwestdeutschen Kraftwerke und die Preußen-Elektra breite sich „in der Bremer Öffentlichkeit und in den politischen Institutionen zunehmend Mißtrauen“ aus, betont Seifriz. (WESER-KURIER, 31. Juli/1. August 1971)

Hintergrund

Als die Planungen für das Kernkraftwerk Unterweser bei Esenshamm konkrete Gestalt annahmen, regte sich auch schon der erste Widerstand. Im Juni 1971 bildete sich der „Bremer Arbeitskreis gegen radioaktive Verseuchung“. Auch von Regierungsseite artikulierte sich deutlich hörbares Unbehagen. Bausenator Hans Stefan Seifriz (SPD) forderte im Juli 1971 die Bauerlaubnis für das Kernkraftwerk solange zu versagen, bis „überzeugende Gutachten“ die Unschädlichkeit des Vorhabens belegten.

Zu diesem Zeitpunkt waren in Westdeutschland bereits eine Reihe von kommerziell genutzten Kernkraftwerken in Betrieb, allerdings fast ausschließlich im Süden der Republik. Den Anfang hatte im Februar 1962 das Kernkraftwerk Kahl im bayrischen Unterfranken gemacht. Im Oktober 1968 folgte mit dem Kernkraftwerk Lingen die erste Anlage auf niedersächsischem Boden. Erst 1976 begann der Bau der Anlagen in Grohnde und Brokdorf, die zu Symbolen der Anti-Atom-Proteste wurden.

Hegte Bedenken gegen die Atomanlage bei Esenshamm: Bausenator Hans Stefan Seifriz.
Foto: Landesinstitut für Schule (LIS)/Zentrum für Medien

Das Atomkraftwerk bei Esenshamm, dessen Bau im Juli 1972 begonnen hatte, stand nie so stark im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Bezeichnend genug, dass sich die gewaltsame Besetzung des Bremer Doms im August 1977 gegen den Weiterbau der Anlage in Grohnde bei Hameln richtete, nicht gegen das KKW Unterweser, das damals ohnehin schon so gut wie fertiggestellt war. Im September 1978 ging es erstmals ans Netz, ein Jahr später nahm es den kommerziellen Betrieb auf.

Freilich blickte man gerade in der Unterweserregion auch mit Skepsis auf die Anlage. Scharfe Kritik übte im April 1979 der damalige Oberbürgermeister von Bremerhaven, Werner Lenz (SPD), an den Katastrophen-Planungen bei einem Unfall im kaum zehn Kilometer entfernten KKW. Dass die Seestadt erst nach dem Landkreis Wesermarsch und nicht zeitgleich informiert werden sollte, hielt er für ein Unding. Sollte sich daran nichts ändern, drohte Lenz laut WESER-KURIER mit der Mobilisierung der Bevölkerung – er würde sie „möglicherweise“ auffordern, sich den Reihen der Kernkraftgegner anzuschließen.

Die sollten sich schon bald regional organisieren. Zahlreiche Bürgerinitiativen schlossen sich 1980 im „Arbeitskreis Wesermarsch“ zusammen. Ihre Forderung: die Stilllegung der Anlage bei Esenshamm. Doch bis es dazu kam, ging noch einige Jahre ins Land. Zumal die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch im Herbst 2010 den Atomkonsens ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD) aushebelte und eine Laufzeitverlängerung bis 2020 genehmigte.

Erst die Nuklearkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 bewirkte einen Sinneswandel, bereits eine Woche später wurde das KKW Unterweser abgeschaltet. Nur wenig später wurde im Mai 2011 die dauerhafte Stilllegung beschlossen. Die Genehmigung für den Rückbau wurde 2018 erteilt, mindestens zehn Jahre soll der Abriss noch dauern.

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 bedeutete auch das Aus für die umstrittene Anlage bei Esenshamm.
Foto: Ingo Wagner/dpa

 

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