Vor 60 Jahren: 1958 wurden erste Ausbaupläne für die B 75 publik – Trassenführung mitten durch den Hasbruch
Zur Gründungsversammlung der „Gesellschaft der Freunde des Hasbruch“ tuckerte Harry Gastler zusammen mit seinem Kollegen, dem Ganderkeseer Volksschullehrer und Heimatforscher Hans Grundmann. In Erwartung eines aufschlussreichen Abends steuerte der passionierte Autofahrer Grundmann seinen VW Käfer an diesem 23. Oktober 1964 zum vereinbarten Treffpunkt, der Gastwirtschaft Strackerjan im Vielstedter Bauernhaus unweit der Revierförsterei. „Ich war damals ein junger Lehrer“, erinnert sich Gastler, „und Grundmann hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte, ihn in seinem Wagen zu begleiten.“
Und ob Gastler Lust hatte.
Seine schönsten Kindheitserinnerungen verknüpfen sich mit dem weitläufigen, von alten Eichen geprägten Waldgebiet, dessen größerer südlicher Teil in der Gemeinde Ganderkesee liegt, während der nördliche Abschnitt zur Gemeinde Hude gehört. „Als Junge bin ich oft stundenlang durch den Hasbruch gestreift“, sagt Gastler. Bis zu seinem 15. Lebensjahr wohnte er nur einen Kilometer vom südlichen Waldrand entfernt in Falkenburg, wo sein Vater als Gendarmerieoffizier seinen Dienst verrichtete.
Doch was bewog die Freunde des Hasbruch, sich für den altehrwürdigen Staatsforst einzusetzen? Im Selbstverständnis des Vereins war im Anfang der Protest, das Aufbegehren gegen die angekündigte Trassenführung der Autobahn 28 quer durch den Hasbruch. Die Gründungsversammlung als eine Zusammenkunft von Wutbürgern.
Der Verein habe sich als Bürgerinitiative gegründet, heißt es auf dem Portal der Hasbruch-Freunde.„Diese richtete sich zunächst gegen die ursprüngliche Planung der Trassenführung der Autobahn A 28 durch den Hasbruch.“ Man habe damals eben noch keinen Sinn für geschlossene Landschaftsschutzgebiete gehabt, sagt Gastler. Bis heute blickt der Verein mit Stolz zurück auf den Erfolg seines Engagements. „Ein Zerschneiden des Hasbruchs konnte damals verhindert werden“, verkündet die Website der Waldfreunde.
So weit der Gründungsmythos. Aber was ist wirklich dran an der Geschichte vom erfolgreichen Kampf gegen die Obrigkeit?
In den späten 1950er Jahren waren die Kriegsschäden weitgehend beseitigt und die größte Wohnungsnot gelindert. Das Wirtschaftswunder nahm Fahrt auf, ein bescheidener Wohlstand stellte sich ein. Für den Autoverkehr blieb das nicht ohne Folgen, Gütertransporte und Privatwagen verstopften die Straßen. Durch die sprunghaft anwachsende Motorisierung drohte der Verkehrsinfarkt. Es musste dringend etwas getan werden, um die völlig unzureichende Infrastruktur aus den Vorkriegsjahren den Erfordernissen der Zeit anzupassen.
Das Autobahnprojekt als ferne Zukunft
Über die Pläne für den Ausbau der Strecke Oldenburg-Bremen war die Öffentlichkeit bereits lange vor dem Gründungstreffen im Vielstedter Bauernhaus informiert. Schon 1958 kursierten Presseberichte über das Bauvorhaben.
Allerdings ging es dabei nicht um ein Autobahnprojekt.
Das war damals noch ferne Zukunftsmusik. Tatsächlich handelte es sich um den Ausbau der alten Bundesstraße 75. Zaghafte Schritte zur Verbreiterung der damaligen Reichsstraße 75 hatte es schon gegen Ende der 1930er Jahre gegeben, kriegsbedingt mussten die Arbeiten jedoch eingestellt werden. Nun ein neuer Anlauf: Als vierspurige Schnellstraße sollte die B 75 auf der völlig überlasteten Strecke zwischen Bremen und Oldenburg für Entlastung sorgen. Weil sogar ein Mittelstreifen vorgesehen war, wurde ihr ein „durchaus autobahnähnlicher Charakter“ zugesprochen.
Im Wesentlichen sollte die neue Schnellstraße dem Verlauf der alten B 75 folgen. Nur in Höhe des Hasbruch planten die Macher vom Straßenbauamt eine abweichende Trassenführung. Und die hatte es in sich: Knapp einen Kilometer nördlich der bestehenden Verbindung sollte die B 75 ab Kühlingen eine Schneise quer durch den Wald schlagen und ihn bei Kirchkimmen wieder verlassen. Eine insgesamt 8,2 Kilometer lange Strecke, die in den Planungsunterlagen sinnigerweise als „rote Linie“ bezeichnet wurde.
Das Werk naturvergessener Bürokraten? Fast scheint es so. Dahinter steckten rein pragmatische Erwägungen, vermutet der Vorsitzende der Hasbruch-Freunde, der frühere Ganderkeseer Bürgermeister Gerold Sprung. „Dadurch wollte man sich zwei große Bogen ersparen“, sagt er. Nicht viel anders beurteilt Gastler das Bauvorhaben. Auch er macht profanes Nützlichkeitsdenken für die Streckenplanung verantwortlich. „Der Hasbruch befindet sich bis heute in Staatsbesitz. Da brauchte kein Grundeigentum aufgekauft werden. Man konnte getrost auf eigenem Grund und Boden bauen.“ Der Weg durch den Hasbruch als Weg des geringsten Widerstands.
Eigentlich merkwürdig.
Denn auch damals war der Hasbruch als schützenswerte Naturschönheit schon fest im öffentlichen Bewusstsein verankert. Dabei hatten sich ausgerechnet die NS-Herren als Naturschützer hervorgetan: Erst 1938 war ein geschütztes Teilgebiet als „Urwald Hasbruch“ fast verdoppelt worden. Und den Wert dieses Naturjuwels wollte man durch den Bau einer vierspurigen Schnellstraße leichtfertig aufs Spiel setzen? Nach den durchgesickerten Bekundungen führender Behördenvertreter war genau das zu befürchten.
Nun traten die Freunde des Hasbruch auf den Plan.
Nur die halbe Wahrheit
Laut Delmenhorster Kreisblatt wurde die Idee einer Vereinsgründung etwa ein Jahr vor dem Gründungsakt geboren. Die Bedrohung durch den Straßenbau scheint jedoch nicht die alleinige Motivation gewesen zu sein. Das bestätigt auch Vereinschef Sprung. Der Widerstand gegen die Teilung des Hasbruch ist in seinen Augen nur die „halbe Wahrheit“. Völlig unabhängig davon habe der Schutz der alten Eichen im Vordergrund gestanden.
Tatsächlich birgt die Berichterstattung zur Vereinsgründung eine faustdicke Überraschung: Weder im Vor- noch im unmittelbaren Nachbericht findet sich auch nur ein einziges Wort zu den Straßenbauplänen. Stattdessen nimmt man erstaunt zur Kenntnis, dass mit Kreisoberverwaltungsrat Erich Wille sogar ein namhafter Behördenvertreter als stellvertretender Vorsitzender in den Vorstand gewählt wurde.
Also alles nur Phrasendrescherei, der Widerstand als Schöpfungslegende?
Das nun auch wieder nicht. Vielmehr kann als sicher gelten, dass am Abend des 23. Oktober 1964 sehr wohl kritische Töne zur Trassenführung durch den Hasbruch laut wurden. Eines der ersten Probleme, mit denen sich der neue Verein zu befassen habe, sei die Begradigung der B 75, hieß es mit eintägiger Verspätung im Kreisblatt. „Das hat keineswegs den Beifall der Forstverwaltung und der Hasbruch-Freunde gefunden.“
Von den Bedenken der Freunde des Hasbruch ließen sich die Behördenvertreter allerdings nicht sonderlich beeindrucken. Das geht aus dem einschlägigen Aktenbestand im Staatsarchiv Oldenburg hervor. Völlig ungerührt präsentierten sie im Februar 1965 einen „Erläuterungsbericht zur Verlegung der B 75 im Abschnitt Kirchkimmen-Urneburg“.
Zwar spielte der Kostenfaktor dabei eine wichtige Rolle. Gleichwohl stand nicht der Gedanke Pate, die finanziellen Aufwendungen durch Rückgriff auf Staatseigentum möglichst niedrig zu halten. Vielmehr scheuten die Planer die konkreten Schwierigkeiten im Teilabschnitt Kirchkimmen-Urneburg, nur deshalb favorisierten sie die Strecke durch den Hasbruch. Ein vierspuriger Ausbau der bestehenden Trasse erschien wegen der beiderseitigen Bebauung und zahlreicher Wegeeinmündungen als kaum machbares Wagestück. „Aus diesen Gründen und weil die Ortschaft Falkenburg ohnehin umgangen werden muß, ist vorgesehen, die vorhandene Straßenführung der B 75 aufzugeben und durch eine weiter nördlich verlaufende neue Trasse zu ersetzen.“ Und das hieß: durch den Wald.
Den Straßenplanern jegliche Sensibilität für Naturschutzbelange abzusprechen, wäre indessen nicht ganz zutreffend. Denn als Zugeständnis versprachen sie, den besonderen Stellenwert des Waldgebiets im Auge zu behalten. „Bei der Feintrassierung soll versucht werden, hochwertigen Waldbestand im Staatsforst Hasbruch so weit wie möglich zu schonen.“
Widerstand hinter den Kulissen
Doch die Rechnung ging nicht auf. Hinter den Kulissen formierte sich Widerstand. Federführend war dabei die Gemeinde Ganderkesee, auf deren Drängen sich die beteiligten Stellen am 9. Juli 1965 zu einer klärenden Sitzung in Oldenburg trafen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ganderkeseer unter Mitwirkung des Landkreises, des zuständigen Straßenbaumamts Oldenburg-Ost und des Staatlichen Forstamts Hasbruch bereits eine Alternativplanung erarbeitet, die in den Akten als „blaue Linie“ tituliert ist. Diese „blaue Linie“ verlief einen halben Kilometer südlich der „roten Linie“ und tangierte den Hasbruch nur noch geringfügig. Ein Konsens war schnell hergestellt, die „blaue Linie“ stieß auf allgemeine Zustimmung. Kaum verwunderlich angesichts der breiten Beteiligung an ihrem Zustandekommen. Nun stand nur noch die Bestätigung durch die Landes- und Bundesbehörden aus, eine reine Formsache.
Freilich führten Bürgermeister Georg von Seggern und Gemeindedirektor Heinz Huhs nicht etwa Sorge um den Hasbruch als Grund für ihre ablehnende Haltung ins Feld. Stattdessen wiesen sie darauf hin, dass die „rote Linie“ die Ortschaft Kühlingen durchschnitten hätte. Anders verständlicherweise Forstmeister Hans-Hermann Klingenberg, der auf den Wert des Hasbruch für die Erholungssuchenden aufmerksam machte. „Dies war der Hauptgrund, daß die rote Linie seitens der Forstverwaltung abgelehnt wurde.“ Denn: „Die rote Linie hätte einen großen Teil des Staatsforstes abgeschnitten.“
Was heißt das nun, überschätzen die Hasbruch-Freunde ihren Einfluss auf den damaligen Gang der Ereignisse?
Nicht unbedingt. Dabei muss eines berücksichtigt werden: Das gängige Rüstzeug heutiger Bürgerproteste gehörte gewiss nicht zum Repertoire der Hasbruch-Freunde. Den Protest auf die Straße zu tragen, dürfte kaum kompatibel gewesen sein mit dem Selbstverständnis einer Herrenrunde, die unverkennbare Züge einer Honoratiorenversammlung hatte. Die Zusammensetzung des Gründungsvorstands mag das illustrieren: Als Vorsitzender wurde der Leiter des Ortsvereins Schierbrok-Stenum, Helmut Mayer, gewählt und als Beisitzer der Vorsitzende des Delmenhorster Heimatvereins, Georg von Lindern. Mit von der Partie waren auch ein Hauptlehrer aus Nordenholz und Forstmeister Klingenberg als Vertreter der Forstverwaltung.
Nein, diese Herren dürften versucht haben, ihr Anliegen auf informelle Weise vorzubringen. Auf den engen Kontakt zwischen Mayer und Klingenberg weist der frühere Revierförster Heino Tielking hin. „Die beiden haben den Protest gegen den Ausbau mehr oder weniger ausgeklüngelt.“ Ein Schriftmensch sei Mayer ohnedies nicht gewesen. „Der hat mündlich Kontakt zu den einzelnen Ministerien gesucht.“
War mit der Verständigung auf die „blaue Linie“ die Teilung des Hasbruch auch abgewendet, so dauerte es doch noch unerwartet lange bis der Straßenbau auf der Umgehungsstrecke in Gang kam. Im Oktober 1967 war das Thema sogar Gegenstand einer kleinen Anfrage im Bundestag. Die Oldenburger Abgeordneten wollten wissen, wieso der Ausbau der B 75 trotz übermäßiger Verkehrsbelastung noch immer nicht abzusehen sei. In seiner Antwort sprach Verkehrsminister Georg Leber von „örtlichen Schwierigkeiten“ durch „zu schwache personelle Ausstattung“.
Zum ursprünglich vorgesehenen Ausbau der B 75 sollte es dann überhaupt nicht mehr kommen. Nach 1974 wurde sie durch die A 28 ersetzt.
Wohl auch deshalb der Irrtum der Hasbruch-Freunde auf ihrer Website.
von Frank Hethey