Neue Serie zu Bremer Straßenamen: die Fichtenstraße, zwischenzeitlich Fritz-Eibers-Straße

Einigermaßen konsterniert dürften die Hemelinger SA-Kämpfer gewesen sein, als sie sich im Mai 1939 eine Abfuhr im längst gleichgeschalteten Gemeinderat einfingen. Dabei lag ihr Antrag, den Brüggeweg in Fritz-Eibers-Straße umzubenennen, doch eigentlich voll und ganz auf Parteilinie. Immerhin ging es darum, einem „Blutzeugen der Bewegung“ zu ehren. Als SA-Mann war Eibers 1932 an einer Auseinandersetzung mit Kommunisten beteiligt gewesen und vier Jahre später an den Folgen gestorben. Seine letzten Jahre verbrachte er gemeinsam mit seiner Frau in einem Haus am Brüggeweg in Hemelingen. Wohl daher der Gedanke, der Straße seinen Namen zu geben. Dumm nur, dass es damals schon eine Fritz-Eibers-Straße in Bremen gab. Wenn auch noch nicht lange, erst seit Anfang April 1939 trug die vorherige Fichtenstraße den Namen des „alten Kämpfers“.

Die kleine Straße ist heute auf keinem Stadtplan mehr zu finden. Weder als Fichtenstraße und erst recht nicht als Fritz-Eibers-Straße. Wo sie sich einst befand, erhebt sich heute der Weser-Tower. Die Fichtenstraße – eine vergessene Straße. Ein triftiger Grund, sich auf Spurensuche zu begeben. Auf die Spur einer Straße, die im Zweiten Weltkrieg mit dem Bremer Westen in Schutt und Asche versank. Und dann beim Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren kurzerhand aufgehoben wurde.

Ergiebige Akte im Staatsarchiv

In den einschlägigen Straßenlexika sucht man die Fichtenstraße vergebens. Doch im Gedächtnis der Stadt ist die Fichtenstraße sehr wohl noch lebendig. Das Staatsarchiv verwahrt eine erstaunlich üppige Akte mit reichlich Korrespondenz und Vermerken zur Entstehungsgeschichte der Straße. Ihre Anfänge reichen zurück bis ins Jahr 1861, als der Bauunternehmer Henrich Lehmann sich mit dem Gedanken trug, ein kurz zuvor erworbenes Areal in unmittelbarer Nachbarschaft mit Wohnhäusern zu bebauen. Die Gegend wurde damals rasch erschlossen, erst kurz zuvor war ganz in der Nähe der Weserbahnhof aus dem Boden gestampft worden. Ursprünglich wollte Lehmann mehrere Häuser im Halbkreis um einen Platz gruppieren. Doch daraus wurde nichts, Baudirektor Alexander Schröder redete ihm den Gedanken aus.

Winkte die Fritz-Eibers-Straße durch: der Regierende Bürgermeister Heinrich Böhmcker.
Quelle: Jörn Brinkhus, Die Novemberpogrome 1938 im Land Bremen, Bremen 2013

Der Grund für die Bedenken des Baudirektors: Schröder, der intensiv an der Verkehrsplanung für die wachsende Stadt feilte, wollte sich die Straßenführung im damaligen Neubaugebiet nicht verbauen lassen. Beiderseits der Brachfläche, die Lehmann im Blick hatte, zogen sich nur zwei enge Wege hin: die „unfahrbare Bleicherstraße“ und ein „für die Communication höchst wichtiger Fußweg“, wie es in den Unterlagen heißt. Für Lehmann spielten die künftigen Verkehrsanbindungen keine Rolle, doch Schröder sah die Chance, im Zuge der Bebauung gleich zwei Straßen anzulegen, die den damaligen Erfordernissen entsprachen. Denn: Es „bietet sich dadurch die Gelegenheit zu einer wesentlichen Verbesserung der Straßenverbindungen in diesem Stadttheile dar“.

Gesagt, getan. Lehmann trat so viel Terrain an den Staat ab „als zur Anlage einer 30füßigen Straße an Stelle der bis jetzt unfahrbaren Bleicherstraße erforderlich“ war, das Gleiche tat der Eigentümer auf der anderen Seite. Zusätzlich zahlte Lehmann die Hälfte der Pflaster-, Kanal- und Anlagekosten der neuen Straße. Laut Schröder brachte der Staat durch seinen Anteil ein „erhebliches Opfer“, es sei aber die Sache wert. Dazu muss man wissen: In Bremen war es damals ganz üblich, dass Bauunternehmer bei der Errichtung neuer Häuser auch die Kosten für den erforderlichen Straßenbau übernahmen – für Bremen kein schlechtes Geschäft.

Wieso die neue Straße den Namen Fichtenstraße erhielt, ist der Straßenakte indessen nicht zu entnehmen. Vielleicht säumten früher Fichten die Straße, es gibt darauf keine verlässliche Antwort. Von der Straße war dann lange nichts zu hören. Sicher ist nur, dass sich in der Fichtenstraße viele „einfache Leute“ niederließen. In den zeitgenössischen Adressbüchern werden als Anwohner diverse Handwerker aufgeführt, daneben auch Personen, die einen Bezug zur Seefahrt hatten: ein Schiffskoch, ein Steward, ein Küper.

Ganz in der Nähe lebte bis 1935 auch ein kleiner Zollbeamter: der SA-Mann Fritz Eibers. Als Anwohner der Stephani-Contrescarpe hatte er es nicht weit bis zu seiner Arbeitsstätte, dem Hauptzollamt Hafen, das sich an der Ecke zur Fichtenstraße befand. Sein früherer Dienstherr, der Oberfinanzpräsident Weser-Ems, regte im Frühjahr 1939 an, eine Gedenktafel an seinem einstigen Arbeitsplatz anzubringen. Für die mehr als 230 umgekommenen Vorkämpfer des Nationalsozialismus in Deutschland ein durchaus übliches Verfahren. Eine Gedenktafel war im Normalfall das Mindeste, mitunter trug auch eine Straße, ein öffentliches Gebäude oder ein SA-Sturm den Namen eines toten „Blutzeugen“.

Das Volkshaus hieß ab 1933 Wilhelm-Decker-Haus.
Quelle: Frei

Bremer beim Hitler-Putsch

Nicht viel anders verlief die Namensfindung in Bremen. Die frühere Gewerkschaftszentrale, das Volkshaus, erhielt 1933 den Namen des getöteten Bremer SA-Mannes Wilhelm Decker, nach dem auch noch der Waller Park benannt wurde. Zusätzlich kam ein Bremer zu Ehren, der beim berüchtigten Hitler-Putsch am 9. November 1923 tödliche Verletzungen erlitten hatte: Hans Rickmers erhielt 1936 einen Gedenkstein im heutigen Rhododendronpark, im Folgejahr wurde das erste Teilstück der Grünanlage als „Rickmers-Park“ eingeweiht.

Mit Fritz Eibers gesellte sich nun ein weiterer „Märtyrer der Bewegung“ hinzu. Wobei der Oberfinanzpräsident argumentierte, wenn schon eine Gedenktafel angebracht werden solle, könne man auch gleich die benachbarte Fichtenstraße umbenennen. Der Regierende Bürgermeister, SA-Gruppenführer Heinrich Böhmcker, hatte nichts dagegen einzuwenden. Knapp eine Woche vor der feierlichen Enthüllung der Ehrentafel am 2. April 1939 signalisierte er sein Einverständnis, da es in der Fichtenstraße nur 14 Anlieger gebe und die bisherige Bezeichnung ohnehin keinerlei Bedeutung habe.

Damit waren die Bremer dem Hemelinger SA-Sturmbann um einen Schritt voraus. Zwar zählte Hemelingen damals noch zu Preußen, doch eine territoriale Neuordnung war zu diesem Zeitpunkt schon längst beschlossene Sache. Ein halbes Jahr später, am 1. November 1939, kamen ehemals preußische Gemeinden wie Hemelingen und Mahndorf sowie mehrere Gemeinden im heutigen Bremen-Nord im Austausch für Bremerhaven zu Bremen. Angesichts der bevorstehenden Neuordnung wollte man nicht plötzlich zwei Fritz-Eibers-Straßen in Bremen haben. Laut Protokoll der Sitzung des Hemelinger Gemeinderats vom 24. Mai 1939 war dieser Umstand der entscheidende Grund, das Ansinnen der Hemelinger SA abzuschmettern. Der einzige Trost für die braunen Kämpfer: Als Kompensation schlug der Gemeinderat vor, dem NS-Parteiheim an der Kirchenstraße den Namen Fritz-Eibers-Haus zu geben.

Sonderlich lange sollte die Fritz-Eibers-Straße allerdings nicht existieren. Im Dezember 1945 entledigte sich der neue Senat des braunen Namensgebers und gab der Straße ihre ursprüngliche Bezeichnung zurück. Das endgültige Aus kam dann im Mai 1954, als die Fichtenstraße zusammen mit einer Reihe weiterer Straßen im ehemaligen Muggenburg-Viertel per Senatsbeschluss auch von Amts wegen aufgehoben wurde – „weil die betreffenden Straßen durch neue ersetzt worden sind“, wie der WESER-KURIER seinen Lesern mitteilte.

Auf einem Stadtplan von 1904 ist eingekringelt zu sehen, wo sich damals die Fichtenstraße befand. 1939 erhielt sie den Namen des SA-Kämpfers Fritz Eibers, 1954 wurde die Straße aufgehoben.
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