Vor 400 Jahren wurde der Vegesacker Hafen eröffnet – als Bremer Vorhafen diente er aber nicht lange
Der Vegesacker Hafen, wichtiger Bestandteil der maritimen Meile Vegesack, feiert in diesem Jahr seinen 400. Geburtstag. Der Entschluss zum Hafenbau erfolgte am 14. Juli 1618, als Baumeister hatte der Rat die beiden Holländer Wilcken Unckes van Vernessen aus Groningen und Dirik Jansen aus Leerdam angeworben. Nach vierjähriger Bauzeit waren die Arbeiten, die in einer Erweiterung und Vertiefung des Flussbettes der Schönebecker Aue bestanden, 1622 abgeschlossen, der Hafenbetrieb konnte nunmehr aufgenommen werden.
Der Vegesacker Hafen übernahm innerhalb des bremischen Hafensystems die Rolle eines Vorhafens, der dem Haupthafen an der Schlachte zu- und untergeordnet war. Als Vorhafen hatte Vegesack die Funktion, den Fortbestand des Seehafenstandortes Bremen sicherzustellen. Denn infolge der zunehmenden Versandung der Weser – eine Folge der Abholzung der Wälder im Einzugsgebiet der Oberweser zum Zweck der Brennholzgewinnung – gelangten die im Laufe der Jahrhunderte immer größer gewordenen Seeschiffe nicht mehr oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten bis an die Schlachte.
In Vegesack hingegen war das Fahrwasser der Weser Anfang des 17. Jahrhunderts bei günstigem Wasserstand noch zehn bis zwölf Fuß (circa drei bis vier Meter) tief. Des weiteren benötigten die Bremer Schiffer dringend einen zentralen Not- und Winterhafen. Sie hielten die bis dahin übliche Form der Winterlage, bei der die Fahrzeuge in der schifffahrtsfreien Zeit monatelang mehr oder weniger unbeaufsichtigt in den Seitenarmen und Flussbuchten des stark verwilderten Stromes – zum Teil auf oldenburgischem Gebiet – überwinterten, nicht mehr für zeitgemäß. Der Vegesacker Hafen sollte da in ihren Augen Abhilfe schaffen.
Das Problem war nur, dass Vegesack seinen Standortvorteil bereits seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zusehends einbüßte. Die Versandung und Verwilderung der Unterweser machte sich inzwischen nämlich auch unterhalb Vegesacks immer mehr bemerkbar. So lag 1680 ein grönländisches Walfangschiff zweieinhalb Wochen lang vor der Hafeneinfahrt fest, weil es wegen mangelnder Wassertiefe nicht in den Hafen gelangen konnte. Und um 1730 mussten bereits bis zu 80 Tonnen das Fahrwasser der Unterweser markieren, wofür bis vor kurzem noch circa 20 Tonnen genügten.
Eine 1739 unternommene Besichtigungsfahrt bis Elsfleth hatte ergeben, dass die Fahrrinne an etlichen Stellen nur mehr zweieinhalb Fuß (circa 80 Zentimeter) tief war. Unter diesen Umständen war eine auskömmliche Seeschifffahrt bis Vegesack kaum mehr aufrecht zu erhalten. Hinzu kam, dass der Hafen zusehends verfiel, weil ihm die winterlichen Eisgänge und Frühjahrshochwässer stark zusetzten. Die fast Jahr für Jahr anstehenden Reparaturarbeiten verursachten immense Kosten, so dass sich im Laufe der Zeit ein hoher Schuldenberg auftürmte – 1768 hatte der Schuldenstand mit 17.319 Reichstalern einen Höchstand erreicht. Es wurde immer deutlicher, dass der Hafen aus eigenen Mitteln nicht bestehen konnte.
Doch damit nicht genug. Weiteres Ungemach drohte, als der Oldenburger Großherzog sich 1824 anschickte, Brake zum großen Konkurrenzhafen an der Unterweser auszubauen. Sollte Oldenburg mit diesem Plan Erfolg haben, dann wäre Vegesack endgültig vom Seeverkehr abgeschnitten worden; Bremen drohte zur Landstadt abzusinken. Um dies zu verhindern, musste der Bremer Rat umgehend handeln und er tat dies, indem er 1827 an der Geestemündung auf ehemals hannoverschem Gebiet einen weiteren Vorhafen anlegen ließ. 1830 nahm dieser „Bremerhaven“ den Betrieb auf.
Zwar verfügte Bremen jetzt wieder über einen den Anforderugen des Seeverkehrs genügenden Hafen, doch fand sich der Vegesacker Hafen trotzdem auf der Verliererseite. Denn ein Großteil der Aufgaben, die bisher Vegesack innerhalb des bremischen Hafensystems wahrnahm, ging nun auf Bremerhaven über. Die Stadt- und Hafengründung an der Wesermündung war damit gleichbedeutend mit dem Ende des Vegesacker Vorhafens in seiner bisherigen Form. Für den Hafen mussten daher neue Nutzungsmöglichkeiten gefunden werden. Von Bedeutung war vor allem die Zeit von 1895 bis 1967, als Vegesack der Heimathafen der Heringslogger der „Bremen-Vegesacker Fischereigesellschaft“ war (hier mehr zu den gescheiterten Erweiterungsplänen aus der NS-Zeit).
Bis heute hält sich im allgemeinen Bewußtsein hartnäckig das (Vor-)Urteil, dass es sich beim Vegesacker Hafen um den ersten künstlich angelegten Hafen Deutschlands handelt. Dieser Mythos ist meines Erachtens, auch wenn er in Bremen zum festen Bestandteil lokalpatriotischer Überzeugungen zählt, kritisch zu hinterfragen. In der schleswig-holsteinischen Stadt Tönning wurde beispielsweise 1611 – sieben Jahre vor dem Entschluss zum Vegesacker Hafenbau – auf Anordnung des Landesherrn Herzog Adolph von Gottorf ein parallel zur Eider gelegenes Hafenbecken mitsamt zweier Zubringerkanäle erbaut. Der weit in das Stadtzentrum führende, durch die Eiderdeiche, später auch durch die Festungsanlagen vorzüglich geschützte Tönninger Hafen verkörpert mithin ein vergleichsweise fortgeschrittenes Stadium der Hafenbautechnik.
Nicht der angeblich älteste künstliche Hafen zeichnet Vegesack besonders aus, Alleinstellungsmerkmal Vegesacks ist, wie mir scheint, vielmehr das siedlungsmäßige Umfeld des Hafens: Der Vegesacker Hafen wurde, und das ist ein Novum, gewissermaßen auf der „grünen Wiese“ angelegt. Bisher wurden Häfen stets in Bezug auf eine städtische Ansiedlung gegründet oder zogen, wie etwa die ostfriesischen Sielhäfen, die Entstehung „stadtartiger“ Siedlungen unmittelbar nach sich.
In Vegesack aber gab es zum Zeitpunkt der Hafengründung nur einige wenige Hofstellen (hier mehr zur Geschichte Vegesacks), deren Bewohner mit Ausnahme des Betreibers des Fährkrugs einer landwirtschaftlich-bäuerlichen Tätigkeit nachgingen. Mit dem Hafenbau war nie die Gründung einer zugehörigen städtischen Siedlung geplant, und dementsprechend verlief die Siedlungsentwicklung Vegesacks in den ersten eineinhalb Jahrhunderten nach der Hafengründung eher verhalten.
Wenn man in Vegesack so auch nicht den ältesten künstlichen Hafen für sich reklamieren kann, so mag darüber immerhin das Alleinstellungsmerkmal eines Hafens auf der grünen Wiese hinwegtrösten.
Ulrich Weidinger
hat sich als Hafenhistoriker einen Namen gemacht, von dem 71-Jährigen jetzt erschienen: Der Vegesacker Hafen von 1622. Vegesacks Hafengeschichte von den Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Edition Falkenberg, Bremen, 24,90 Euro.