Vor 125 Jahren wurde Carl F.W. Borgward geboren / Interview mit seiner Tochter Monica Borgward über die Privatseite des Autokonstrukteurs
In seiner Kleingeldtasche pflegte Carl F. W. Borgward ein oder zwei Goldstücke zu verwahren. War er mit dem Service wirklich zufrieden, mischte er schon mal ein Goldstück unters Trinkgeld zu mischen. Eine kleine Marotte, die nach Ansicht seiner Tochter auch ein Stück Selbstinzenierung war. Im Interview mit Bremen History berichtet Monica Borgward über Ihren Vater als Privatmann. Über die Lehren, die er aus seiner gescheiterten Ehe zog. Über die Bedeutung seiner zweiten Frau Elisabeth für sein Leben. Über seine Leidenschaft fürs Tischlern und vieles mehr.
Bremen History: Frau Borgward, Sie haben in einem eigenen Beitrag geschrieben, Ihr Vater sei eher ein strenger, ordnungsliebender Vater gewesen. Also: Essen, Mittagessen – pünktlich auf dem Tisch?
Monica Borgward: Streng auf jeden Fall und gleichzeitig überaus großzügig.
Wie hat sich das geäußert, das Großzügige?
Ein kleines Beispiel: Essen gehen in den fünfziger Jahren war etwas ganz Tolles, was Außergewöhnliches. Und jedes der drei Kinder durfte für fünf Mark essen. Aber er stellte frei, ob man für fünf Mark Lachs aß, Sahnetorte oder Vorspeise, Hauptgang, Nachspeise. Ich finde das für die Zeit außergewöhnlich großzügig.
Dann konnte es passieren, dass der eine Lachs aß und der andere Kuchen?
Ja.
Gleichzeitig?
Man hatte den Rahmen, innerhalb dieses Freiraums konnten wir machen, was wir wollten. Wir konnten hingehen, wo wir wollten, wir mussten nur ganz pünktlich zurück sein.
Und wehe, die Rückkehr erfolgte nicht pünktlich?
Das ist ja ganz logisch, wenn Sie so ein Leben haben, dann muss pünktlich gegessen werden. Wenn Sie Wert darauf legen, dass ein Familienleben stattfindet, dann muss man pünktlich essen. Das war ihm ganz wichtig, gemeinsame Mahlzeiten hat’s immer gegeben, mittags und abends.
Das heißt, er ist aus dem Werk dann auch mittags nach Hause gekommen.
Ja, um punkt halb zwei war er da, punkt halb zwei stand das Essen auf dem Tisch. Um zehn vor zwei ging er nach oben und machte einen kurzen Mittagsschlaf und dann war er wieder weg. Es war eben alles exakt durchgetaktet, wie man heute sagt.
Aber dann war er doch eigentlich relativ präsent im Familienleben? Trotz seiner vielen Verpflichtungen?
Wenn er zu Hause war, war er zu Hause. Im Regelfall war das Elternhaus Horn geschäftsfrei. Da gab’s keinen Schreibtisch, keine Bastelwerkstatt, keinen Keller, gar nichts. Wenn er da war und Zeit hatte für uns, dann waren auch unsere Themen wichtig.
Er hat sich also Zeit genommen?
Auf jeden Fall. Dabei müssen Sie bedenken, dass mein Vater bei meiner Geburt schon 50 Jahre alt war. Wenn ein Vater über 50 ist, dann ist er kein Spielgefährte mehr, kein Kumpeltyp. Für ein Mädchen sowieso nicht. Aber er war auch für meine Brüder eine Autoritätsperson, schon per Alter. Und trotzdem haben wir viel, sehr viel zusammen gespielt. Von Crocket im Garten über Skat bis zu seinem Lieblingsspiel Roulette. Beim Roulette kriegten alle Kinder fünf Mark. Und was sie gewonnen hatten, durften sie behalten und was weg war, war weg. Gewonnen hat immer mein Vater, komischerweise.
Das spricht für eine gewisse Routine im Roulettespiel.
Nein, nein, überhaupt nicht, er hat immer nur auf Zero gesetzt. Immer!
Und dann seine langen Spaziergänge – daran muss ihm sehr gelegen haben.
Aber hallo! Jeden Morgen ist er vom Osterdeich bis zum Goliath-Werk zu Fuß gegangen, mit meiner Mutter und zwei Hunden. Ein Hund kam mit ins Werk, der andere ging mit meiner Mutter zurück. Und später von Horn aus bis zur Kirchbachstraße, wo dann der Fahrer wartete. Zu Fuß ist das etwa eine dreiviertel Stunde gewesen. In Hellwege, wo unser Wochenendhaus stand, waren zwei Stunden am Sonntag normal.
Hat er das auch aus Gründen der Fitness gemacht?
Er hat sonst außer Schwimmen keinen Sport gemacht.
Sie sprachen von Hunden. Was für Hunde hatten Sie denn?
Mein Vater hatte Airedale-Terrier und meine Mutter Kerry Blues, das ist auch ein Terrier. Die sind etwas aus der Mode gekommen. Und dann hatten wir, als ich Kind war, einen Fox-Terrier.
Hunde waren auf jeden Fall immer dabei?
Immer! Ohne Hunde ging es nicht. Und zum 65. Geburtstag bekam er dann von dem bayrischen Vertreter zwei Dackel.
Dann hatten Sie wie viele Hunde?
Vier Hunde.
Ihr Vater: ein Hundefreund. Woran hatte er noch Freude?
Er hat gerne eingekauft. Was nicht schwer nachzuvollziehen ist, wenn man den Ersten und Zweiten Weltkrieg durchgemacht hat.
Lebensmittel eingekauft?
Er hat Lebensmittel eingekauft. Und zwar Mengen, die meine Mutter zur Verzweiflung getrieben haben vor Erfindung der Tiefkühltruhe. Er hat Vorratshaltung betrieben. Ich glaube, in den sechziger Jahren haben wir noch das Fass Butter entsorgt mit dem Rohkaffee aus dem Zweiten Weltkrieg. Er wollte autark sein, sicher sein, alles vorrätig haben von Rasierpinseln bis zum Eintopf. Jahrelang haben meine Hunde von den Eintöpfen meines Vaters gelebt. Die irgendwann ja überaltert waren, aber für die Hunde durchaus noch tauglich. Die Hunde haben es prima überlebt: Bohneneintöpfe und Königsberger Klöpse.
Würden Sie ihn als Feinschmecker bezeichnen?
Er konnte genießen. Aber nicht nach Art des Perfekten Dinners im Fernsehen, darüber hätte er schallend gelacht. Er hat gerne gelebt. Er hat gerne gegessen, er hat gerne getrunken, er ist gerne spazieren gegangen, er hat gekegelt.
Auch vereinsmäßig?
Nein, er war nicht der große Vereinsmeier. Er war Mitglied im Club zur Vahr, aber das war man halt damals. Er wusste das Gute zu schätzen. Und freute sich auch, dass er es sich leisten konnte. Natürlich wird es jeder übertrieben finden, dass er seinem zweijährigen Sohn im Bremer Ratskeller eine Auster zu essen gab.
Ihr Vater war ungeheuer populär bei seiner Belegschaft…
Der konnte gut mit Menschen, auch mit den berühmten einfachen Menschen. Da hat er immer einen Draht gehabt und den richtigen Ton getroffen… was ja auch nicht jedem gegeben ist.
Sein Gesicht war ja bekannt, gab’s da einen Prominentenstatus?
Ja. Er benahm sich aber auch so. Mein Vater hat furchtbar gerne Trinkgelder gegeben. Und auch Überraschungstrinkgeld, er hatte immer in seiner Kleingeldtasche ein oder zwei Goldstücke. Und wenn er wirklich mal zufrieden war, dann hat er auch so eins untergemischt.
Er war ein humorvoller Mensch?
Ein Witzeerzähler war er sicherlich nicht, er hatte es eher mit diesen feinen, kleinen Anmerkungen, um nicht zu sagen: Spitzen. Obwohl: Spitzen ist das falsche Wort, das hört sich zu aggressiv an. Und verletzend auch. Obwohl es immer kolportiert wird, dass er arrogant und verletzend war – das lag nicht in seiner Natur. Aber Sie merken auch, ich verkläre ihn etwas.
Aber er lachte gerne?
Er lachte gerne. Und er konnte lachen. Wenn Sie die Bilder ansehen, dann sind die staatstragenden in der Minderheit, meistens lacht er.
Wie war’s um seine Gesundheit bestellt? Es heißt, er sei an einem Herzleiden gestorben.
Meinen Vater habe ich in meinem Leben drei Tage krank im Bett gesehen. Er war kerngesund.
Tatsächlich? „Herzleiden“ klingt so, als habe er unter einem langjährigen Herzleiden gelitten.
Er hat aufgehört zu leben. Er hat aufgehört, am Leben aktiv teilzunehmen. Er hat funktioniert, er hat gegessen, er hat getrunken, er ist spazieren gegangen, er hat noch sein erstes Enkelkind gesehen… aber es hat ihn nichts interessiert. Wofür sollte er leben?
Sie meinen, nach der verhängnisvollen Senatssitzung vom 4. Februar 1961, als er vor die Alternative gestellt wurde, seine Unternehmen entweder dem Land Bremen zu übereignen oder in Konkurs zu gehen?
Ja. Na ja, korrekter gesagt: nach dem Konkurs. Er hat das doch alles nur gemacht, um sein Werk zu erhalten. Damit die Arbeiter weiter Arbeit hatten und seine Autos weitergebaut wurden. Nachdem das kaputt war, weswegen sollte er da noch… wozu?
Es war ja auch sein Lebenswerk.
Sie wissen, dass Menschen einfach aufhören können zu leben. Wenn sie noch weiter essen und trinken, dauert es etwas länger und bei den anderen geht es eben etwas schneller.
Aber vorher ein kerngesunder Mann? Er war ja schon nicht mehr ganz jung in den fünfziger Jahren. War es nach dem Krieg von vornherein klar, dass er das zerstörte Werk wiederaufbauen würde?
Ich weiß es nicht, ich war nicht dabei. Aber Sie sprechen das Alter an: 1948 war er 58 Jahre alt.
Eben deshalb. Da geht so mancher in Vorruhestand.
Da denkt man schon dran. Ich würde es nicht ausschließen, dass er darüber nachgedacht hat, ob es zu schaffen ist. Es gab ja keine Erfolgsgarantie, manche andere haben versucht, ihre Firmen wiederaufzubauen und es ist nicht gelungen.
Und Ihre Mutter hat ihn dazu ermutigt?
Ja, ich glaube, da hat meine Mutter maßgeblichen Anteil gehabt. Sie soll gesagt haben: Du kannst die Arbeiter jetzt nicht im Stich lassen. Die haben ja durchgehalten bis er aus der Internierung zurückkam und wieder ins Werk zurück durfte. Die haben das ja weiter getragen und mit den Reparaturen schon angefangen… da kannst du jetzt nicht aufhören.
Ihre Mutter als Antreiberin.
Ihr Anteil an seinem Leben ist bisher – glaube ich – ziemlich unterschätzt worden. Es gibt kaum ein Foto, wo sie nicht dabei ist. Sei es bei der Frankfurter Messe, bei den Autorennen oder sonst einem offiziellen Termin: Sie ist immer dabei, und sie ist nicht dabei als so ein hübsches, nettes, modisches Püppchen, sondern engagiert dabei, sie redet, sie spricht, sie agiert.
War sie auch eine, die die Fäden zusammengehalten hat?
Also, ich habe meine Mutter und die einzige, langjährige Sekretärin meines Vaters in hohem Alter noch mal zusammengebracht. Da hatte ich den Eindruck, die beiden alten Damen, die haben das Ganze gemanagt, der hatte überhaupt nichts zu sagen. Verstehen Sie mich richtig: Meine Mutter hätte das Werk nicht übernehmen können, aber ich will sagen, dass die Frauen dieser Generation ein wichtiger Partner oder wichtiger Bestandteil des Erfolgs der Männer waren.
Inwiefern?
Die beiden haben die Dinge im Kleinen geregelt, für das Öl des Alltags gesorgt. Also zum Beispiel dafür, dass mein Vater nicht vergisst, dem Meister zum Geburtstag zu gratulieren. Und ich glaube, das ist auch etwas, was sehr wichtig ist als Baustein des Erfolgs. Gerade wenn es so sehr auf persönliche Verbindungen ankommt.
Wann haben die beiden eigentlich geheiratet?
Am 5. Dezember 1935. Kennengelernt haben sie sich während des Freimarkts, Sie können sich ausrechnen, dass mein Vater ein Mann der schnellen Entschlüsse war.
Sie meinen, sie haben sich zwei Monate vorher kennengelernt?
Ja.
1937 und 1938 wurden Ihre Brüder geboren, Sie dann als Nachzüglerin 1941. Männer in führenden Stellungen schmücken sich gern mit Frauen, die aber eigentlich wenig Bedeutung haben in ihrem Leben. Aber das war offenbar anders bei ihren Eltern.
Das war ganz anders. Obwohl er schon dafür sorgte, dass seine Frau schmückt.
Für Ihren Vater war das die zweite Ehe, Ihre Mutter war 19 Jahre jünger als er. War sie auch der Grund für die Scheidung?
O nein, auf keinen Fall. Der Grund – würde ich sagen – war der Fehler, den mein Vater gemacht hat, vielleicht machen musste in der Aufbauphase, als er seine Frau und seine Familie vernachlässigt hat. Und den Fehler hat er eben in seiner zweiten Ehe nicht mehr gemacht. Deswegen war er so sehr bedacht auf ein gutes und enges Familienleben.
Also deutlich anders als vorher?
Mein Halbbruder musste seinem Vater das Essen in die Firma bringen. Da war nichts mit nach Hause kommen.
Sie sprechen von Kurt.
Richtig: Kurt Borgward, der sich im Gegensatz zu allen anderen mit k schrieb und nicht mit c.
Ihr Vater hat also seine Lehren gezogen aus der ersten gescheiterten Ehe.
Ja. Das schaffen auch nicht alle, aus Fehlern zu lernen. Das war eine ganz andere Aufbauzeit von 1919 bis 1935. Und das geht natürlich nicht mit dem Familienleben wie ich’s Ihnen geschildert habe aus unserer Zeit. Wo er’s ja „geschafft“ hatte. Damals musste er ja wirklich alles noch selber machen. Mit dem Dreirad, mit diesem Blitzkarren ist er selber über Land gefahren und hat versucht, ein Händlernetz aufzubauen, weil keiner das Teil verkaufen wollte.
Ein langer Weg von den Anfängen der Firma in Neustadt bis zum gigantischen Werk in Sebaldsbrück. Das spiegelte sich auch in den privaten Unterkünften wider: die erste Wohnung noch in der Neustadt, dann Hermann-Allmers-Straße, das Haus Osterdeich 59a und ab 1953 die Villa in Horn, die berühmte Borgward-Villa an der Horner Heerstraße.
Er hat sich sozusagen von der Neustadt hochgearbeitet mit seinen Wohnungen und seinen Häusern.
Und zuletzt noch als Refugium das Wochenendhaus in Hellwege, einem kleinen Dorf bei Rotenburg. Seit wann gab es das?
Ich glaube, er hat es 47 gekauft und 49 war es dann frei. Es war vorher belegt mit Flüchtlingen und er musste ein Haus für diese Flüchtlingsfamilien in Hellwege errichten, bevor er das Haus beziehen konnte.
Kann man sagen, die Familie war so gut wie jedes Wochenende dort?
Ja, das kann man sagen. Im Sommer natürlich, im Winter nicht ganz so regelmäßig. In Hellwege hat mein Vater diesen Messingtisch gebaut. Und ich habe mir sagen lassen, dass es eine große Leistung sei, so eine Platte aus Kupfer so zu bearbeiten.
Wann hat er den gebaut?
Da steht kein Datum dran. Auf jeden Fall vor 61 und nach 49, also zwischen 49 und 61 – in seiner Werkstatt in Hellwege.
Carl F.W. Borgward als begeisterter Hobbytischler! Eine eher unbekannte Seite Ihres Vaters.
Er hat Kupferarbeiten gemacht und viele Möbel. In der Werkstatt wurden also nicht Autos designt, sondern Möbel gebaut.
War das so eine Art Kontrastprogramm zur Arbeit für ihn, Möbel zu entwerfen?
Ich glaube, das Entwerfen war gar nicht das Entscheidende, sondern das Bauen. Die handwerkliche Arbeit, die Arbeit mit dem Holz. Oder mit dem Metall.
Kann man das denn das als so eine Art Ausgleich sehen?
Sicherlich. Es war übrigens auch keine Bastelkammer, das ist ein völlig verkehrtes Wort. Es war eine sehr große, perfekt mit allen Maschinen und sämtlichem Werkzeug eingerichtete Tischlerwerkstatt.
Mit „allen Maschinen“? Was muss man sich darunter vorstellen?
Es war einfach alles da: Sägen, Kreissäge, Bandsäge, zwei oder drei Hobelbänke, ein Riesenarsenal mit diesen Glasschiebern, die früher in den Küchen waren. Eine ganze Wand voll, mit allen Nägeln, Schrauben und Unterlegscheiben und ähnlichem. Ordentlichst sortiert! Und oben auf dem Boden war ein Holzlager von erstaunlicher Qualität. Ein gewaltiges Lager von Hölzern, die ja – wenn man als Tischler arbeiten will – abgelagert sein müssen. Von Mahagoni über Teak, Rosenholz, Lerche und Kiefer.
Noch mal zum Geschäftlichen: Als ungewöhnlich gilt das Zahlungsmodell Ihres Vaters – also sich von den Händlern für die Produktion Geld zu leihen und es später zurückzuzahlen – „Borgen und warten“ hieß es damals in Anspielung auf seinen Namen. Hat er das von Anfang an so gehalten?
Ich glaube ja. Über die ersten Jahre wird ja immer geschrieben, dass er das Geld immer ausgegeben hat, bevor er es hatte. Dass eigentlich nie Geld da gewesen sei, und immer zu wenig. Das wird ihm ja auch vorgeworfen, dass die Finanzierungsdecke zu dünn war…
Er hat also eigentlich immer gleich wieder investiert?
Bitte bedenken Sie: Alles, was ich erzähle, ist nachträglich von mir angelesen. Glauben Sie denn, dass ein Mädchen von zwölf bis 19 Jahren sich für das interessiert, was der Vater im Werk macht?
Aber Sie haben doch einiges miterlebt?
Na ja, auf den Reisen durfte ich ja auch mit. Und als meine Brüder dann aus dem Haus waren, auch alleine mit. Sonst waren das Familienreisen. Aber trotzdem habe ich mich doch nicht dafür interessiert, was der Vater mit dem Vertreter in Madrid aushandelt, wo wir wunderbar gewohnt haben und der Pferde hatte, und ich durfte nie auf denen reiten, weil das Polopferde waren…
… das hat Sie beschäftigt als Jugendliche, die Pferde!
Das hat mich beschäftigt. Ich glaube auch nicht, dass meine Brüder von Anfang an so maßlos interessiert waren am Autobau.
Noch einmal zur dramatischen Senatssitzung vom Februar 1961. Der Flugzeugkonstrukteur Henrich Focke hat in seinen Lebenserinnerungen geschrieben, man hätte Borgward übel mitgespielt. Das hat Ihr Vater vermutlich genauso empfunden?
Ja, natürlich. Was machen Sie denn, wenn Sie die Pistole auf der Brust haben?
So hat er das empfunden?
So war es. Das ist nun wirklich unumstritten.
Mich interessiert, mit welcher Erwartungshaltung er dahingegangen ist, welche Optionen es überhaupt zu diesem Zeitpunkt noch gab. Aber es war von ihm ja offenbar nicht voraussehbar an diesem Tag? Dass es so enden würde?
Nein. Er hatte die Hoffnung, dass er den Senat überzeugen könnte, noch einmal Geld zu geben.
Kaisen selbst hat das so dargestellt, als wären weitere Finanzspritzen sinnlos gewesen: ein Fass ohne Boden…
Kaisen selbst hat nicht an die Zukunft des Autos geglaubt. Überlegen sie doch mal – das war der erste flugtaugliche – im freien Flug taugliche, habe ich jetzt gerade gelernt – Hubschrauber der Welt! Eine Entwicklung von Focke, ein deutscher Hubschrauber. Der Amerikaner, der Sikorski, ist nur in der Halle geflogen. Der Kolibri ist von Bremen nach Hamburg geflogen, zu meinen Lebzeiten um die Wette mit einer Isabella. Und das Werk ist da, die Pläne sind da, das Teil fliegt, und ein halbes Jahr danach machen die das Werk kaputt! Das kann doch kein Mensch verstehen! Kaisen hatte aber eben auch keinen Verteidigungsminister von seiner Partei. Wenn da ein Verteidigungsminister von der SPD gesessen hätte, wäre das anders gelaufen.
Das wird dem Senat auch vorgeworfen – dass nicht genug getan worden sei, um Borgward zu retten.
Das sehe ich natürlich auch so. Oder ich bin nicht die einzige, die das so sieht. Es gibt ja auch nachträgliche Berechnungen, wie Borgward hätte gerettet werden können. Sicherlich nicht unter dem Modus: alles so weiter wie bisher, aber es gab durchaus Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Wenn Sie nur überlegen, dass alle Grundstücke von allen Werken unbelastet waren, da kann man doch nicht sagen: Das ist ein Fass ohne Boden!
Kaisen war ein strenger Haushaltspolitiker. Vielleicht hat ihn das maßgeblich beeinflusst. Bremen hatte schon investiert, nun wollte er einen Schlussstrich ziehen. Oder zumindest keine Landesmittel mehr beisteuern. Umstritten ist ja auch die Rolle des Konkursverwalters Johannes Semler, seines Zeichens bei BMW…
Das wird nun immer umstritten sein. Aber ziemlich eindeutig ist, dass er sich nicht sehr engagiert und sehr bemüht hat, hier in Bremen was zu retten. Da sind sich alle Beobachter ziemlich einig. Aber böse Absicht?
Eher Unvermögen?
Ja, Desinteresse und Unvermögen. Das ist auch die Haltung, die man dem Senat vorwerfen kann.
Was halten Sie eigentlich von dem Revival, von der Produktion des neuen SUV-Borgward unter Leitung von Christian Borgward?
Ich wünsche meinem Neffen alles Gute. Mein Vater hat erleben müssen und weitergegeben, Autos, die da alle 1960/61 auf der Halde standen, haben Werte dargestellt, nur waren sie zu dem Zeitpunkt nicht zu verkaufen. Dies neue Auto sieht toll aus, aber nun müssen auf der ganzen Welt viele Menschen es auch kaufen wollen. Und es gibt ja schon ein paar Autos, die auch nicht schlecht sein sollen. Ich finde es großartig, dass es mein Neffe geschafft hat, einen neuen Borgward auf die IAA zu stellen. Aber es wird sich jetzt zeigen, ob es sich auch verkauft. Das hängt ja nicht nur von der Qualität des Autos ab, sondern von tausenderlei Sachen: Weltwirtschaftslage, Marketing, länderspezifische Entwicklungen.
Er gibt sich zumindest ganz optimistisch.
Wenn ich selber nicht dran glaube, dann kann ich auch keinen anderen überzeugen. Auf jeden Fall hat das Comeback in ganz starkem Maße die Aufmerksamkeit wieder auf Borgward gelenkt und auch die Oldtimer-Liebhaber bewegt und motiviert, weiter zu machen und ihre Leidenschaft neu anzugehen. Von daher kann es nur nutzen.
von Frank Hethey