Bade-Lexikon: Zwei kolorierte Ansichtskarten zeigen Osterdeich im Jahre 1910
Ja, was machte man im Jahre 1910 an einem schönen Sommersonnensonntagnachmittag?
Nun, viele suchten die Nähe des Wassers auf. Allerdings gab es zu der Zeit kaum Badeseen und die wenigen Badeschiffe hatten geschlossen. Kaum einer hatte ein Auto und nur wenige ein Fahrrad. Da blieb einzig und allein, die Nähe eines Flusses aufzusuchen. Und Bremen hatte vom Altenwall bis hinter die Lüneburger Straße den prächtig angelegten Osterdeich. Der war schnell erreichbar und kostete keinen Eintritt. Deshalb ist der Osterdeich auch heute noch ein beliebter Platz für Erholungssuchende und das nicht nur an schönen Sommersonnensonntagnachmittagen.
Der Zufall wollte es, dass mir zwei im Jahre 1910 abgestempelte Ansichtskarten „Strandleben am Osterdeich“ auf den Schreibtisch flatterten. Das Besondere an diesen Karten ist, dass beide Ansichten koloriert sind. Dazu nahm der Fotograf ein Foto auf und machte es anschließend farbig. Da konnte er der Fantasie in gewissen Grenzen freien Lauf lassen, aber auch farbige Akzente setzen, um das Bild attraktiver zu gestalten.
Hier sind einige Gedanken zu den beiden Bildern.
Die Ansichtskarte ist recht frei koloriert. Das Bild erinnert beinahe an ein Gemälde.
Der Hintergrund ist verfremdet. Bei genauerer Betrachtung ist das Bild mit einer Fluchtpunktperspektive aufgebaut. Am Horizont sehen wir einen Turm in die Wolken hineinragen. Das ist der Fluchtpunkt. Im Vordergrund ist der Standort vermutlich kurz hinter der Sielwallfähranleger. Die Personen stehen an einen Sandstrand. Einige der Kinder sind ins Wasser gegangen. Die Mädchen nur bis zu Wade, während die Jungen die Hosenbeine der kurzen Hosen hochgezogen haben und bis zu den Oberschenkeln in den Fluten stehen.
Die Personen scheinen sich zu bewegen
Die Farben der Kleidung mögen frei erfunden sein. Dieses Dieses Bild 1 ist lebendiger als Bild 2. Die Personen sehen nicht alle in die Kamera und scheinen sich während der Aufnahme zu bewegen. Ob das mit den damals üblichen Plattenkameras möglich war, um so eine gute Aufnahme zu machen, das mag bezweifelt werden. Vielleicht ist es ja doch ein Gemälde.
Diese kolorierte Ansicht entspricht schon eher der Wirklichkeit. Hier hat man nicht mit der Farbigkeit übertrieben, obwohl man auch einige Akzente gesetzt hat. Hier ist keiner im Wasser. Es spielt sich alles auf dem Streifen zwischen dem Weserufer mit seiner Promenade und dem Deichfuß ab.
Aus welchen Gründen auch immer sind einige Zelte aufgebaut. Die Zelte haben unterschiedliche Größen und Formen. Es ist aber ebenfalls ein „Sonntagsbild“, d.h. am Sonntagnachmittag strömte man aus den Straßen des Ostertors, des Steintors oder der Altstadt um hier die frische Luft zu genießen. Natürlich haben alle ihr Sonntagszeug an. Die Jungen tragen Matrosenanzüge, die Mädchen weiße Kleider. Im Hintergrund sehen wir Segelschiffe und einen Segelschiffhafen.
Fast in Bildmitte möchte man einen Sportplatz mit Holztribüne ausmachen, der 1909 vom Allgemeinen Bremer Turn- und Sportverein erbaut wurde und heute Standort des Weserstadions ist. Und dann sehen wir den großen Weserbogen. Das zeigt auch ungefähr der Standort des Fotografen. Er ist mittig zwischen Sielwall und Lüneburger Straße. Die Personen stehen alle zum Fotografen gerichtet und mussten während der Aufnahme auch ruhig stehen bleiben. Das war wegen der langen Belichtungszeit der Plattenkameras auch nötig. Es ist ein Bild, das Ruhe ausstrahlt.
von Peter Strotmann