Die Legende vom Hitler-Gruß auf dem „Lichtbringer“-Relief am Eingang zur Böttcherstraße
Sich für Geschichte zu interessieren heißt auch, Geschichte kritisch zu hinterfragen. Nicht einfach alles als gegeben hinzunehmen, was man sicher zu wissen meint. Eine liebgewonnene Überlieferung als Legende zu entlarven, ist für einen Historiker immer eine besondere Genugtuung. Doch bisweilen kann solch ein Unterfangen auch gründlich nach hinten losgehen. Kann der Versuch, eine Legende aus der Welt zu schaffen, ins genaue Gegenteil umschlagen und den Weg bereiten für eine neuerliche Legendenbildung.
So geschehen im Fall der kleinen Figuren im „Lichtbringer“-Relief am Eingang zur Böttcherstraße. Hartnäckig hält sich das Gerücht, die Miniaturmenschen würden den rechten Arm zum deutschen Gruß heben. Das bekam auch Bremen History-Autor Peter Strotmann bei einem Vortrag von Heinz-Gerd Hofschen zu hören. Völlig aus der Luft gegriffen ist das nicht, Ludwig Roselius als Erbauer der Böttcherstraße war ein glühender Hitler-Verehrer. Ebenso der Bildhauer Bernhard Hoetger, der das vergoldete Relief des Drachentöters anfertigte.
Doch siehe da, bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass allenfalls einige der Figuren den rechten Arm heben. Mindestens ebenso viele heben aber auch den linken Arm, etliche Figuren recken sogar beide Arme in die Höhe. Durchaus denkbar also, dass es für den vermeintlichen Hitler-Gruß eine harmlose Erklärung gibt.
Roselius hat eine andere Erklärung
Roselius jedenfalls verlor darüber kein Wort, als er im August 1936 eine „Erklärung“ für das neue Relief zu Papier brachte. Seine schlichte Erläuterung: „Die Menschen heben glücklich bewegt ihre Hände.“ Die Hitler-Komponente steuerte er erst im Oktober 1936 in einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Otto Heider bei, nachdem sein Lebenswerk durch des „Führers“ Schimpfkanonade auf die „Böttcherstraßen-Kultur“ erheblich unter Druck geraten war.
Woher aber die Legende vom Hitler-Gruß der Miniaturfiguren im „Lichtbringer“-Relief? Maßgeblichen Anteil daran hat der frühere Leiter der Kunstsammlungen Böttcherstraße, Frank Laukötter. Im Vorfeld einer von ihm initiierten Sonderausstellung mit dem Titel „Die Böttcherstraße als Idee“ im Paula-Modersohn-Becker-Haus brachte er die Mär im März 2012 in Umlauf. Für ihre weitere Verbreitung sorgte der Sozialhistoriker und Linken-Politiker Christoph Spehr kurz nach Ende der Ausstellung im November 2013. Damals schrieb er: „Die kleinen Figuren im Hintergrund heben die Hand zum Hitler-Gruß.“
Dass es damit nicht seine Richtigkeit hat, war wenig später in der taz nachzulesen. „Nein, ein beidseitiger Hitlergruß geht gar nicht“, räumte Spehr ein, als ihn sein früherer Parteifreund Manfred Steglich auf die Ungereimtheiten aufmerksam machte.
von Frank Hethey