Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem heutigen Liebfrauenkirchhof: Als „Metallspende“ eingeschmolzen
Vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal hielt Alfred Faust nicht sonderlich viel. Der spätere Pressechef von Bürgermeister Wilhelm Kaisen wetterte 1919, dieses „scheußliche und kitschige Denkmal“ sei jeder Fischfrau im Wege und jedem Betrunkenen, der aus dem Ratskeller torkele. Die Schimpfkanonade hatte Folgen, im Januar 1920 stand das Denkmal im Mittelpunkt einer hitzigen Bürgerschaftsdebatte. Nun brachte die Partei des Denkmalgegners, die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), ganz offiziell den Antrag ein, sämtliche Obrigkeitsdenkmäler rigoros zu entfernen. Allerdings stieß die USPD damit auf keinerlei Gegenliebe bei der SPD, die eine Beseitigung von Bildern oder Denkmälern noch lebender Hohenzollern für ausreichend hielt. Ähnlich äußerten sich auch die bürgerlichen Parteien, so dass keine Maßnahmen gegen die monumentalen Repräsentanten des untergegangenen Kaiserreichs beschlossen wurden.
Das neo-barocke Reiterstandbild Kaiser Wilhelm I. auf dem heutigen Liebfrauenkirchhof hat eine wechselvolle Geschichte. Nicht nur Linkspolitiker fanden wenig Gefallen an dem Reiterstandbild, auch unter den Nazis gab es kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sehr konkrete Überlegungen, sich des Denkmals zu entledigen. Von Einschmelzen wie ein paar Jahre später war zwar noch keine Rede, das Reiterstandbild sollte aber an einen weniger repräsentativen Standort abgeschoben werden. Sozusagen an einen Exilstandort am Rande der Altstadt. Wie gut, dass der Dichter und Maler Arthur Fitger nichts davon wusste. Hatte der einflussreiche Kunstkritiker doch ein ganz entscheidendes Wörtchen mitgeredet im Vorfeld der Denkmalsetzung, ja sogar den Wettbewerb mit höchst unlauteren Mitteln in seinem Sinne beeinflusst.
Doch wie kam es überhaupt zur Errichtung des später so ungeliebten Kaiser Wilhelm-Denkmals? Unmittelbarer Anlass war der Tod des greisen Kaiser Wilhelm I. am 9. März 1888. Der 91-Jährige stand damals in hohem Ansehen, neben Kanzler Otto von Bismarck galt er als entscheidende Figur bei der Reichsgründung von 1871, bisweilen sprach man von ihm sogar als „Wilhelm der Große“. Mit seinem Ableben rollte in Deutschland eine zweite „Denkmalwelle“ heran, nachdem bis Ende der 1880er Jahre allerorten Reichsgründungs-, Sieges-, Gefallenen- und Friedensdenkmäler errichtet worden waren.
Die Kaufmannschaft gab den Anstoß
In Bremen ging der Anstoß von führenden Vertretern der Kaufmannschaft aus, die sich bereits wenige Wochen nach dem Tod des Kaisers im Schütting versammelten, um die Idee eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals organisatorisch umzusetzen. Ergebnis war die Gründung eines Denkmalkomitees, womit das Denkmalprojekt im vornherein als reine Privatinitiative gekennzeichnet war.
Solche Komitees waren eingetragene Vereine, die sich nach Fertigstellung des Denkmals wieder auflösten. Sie agierten mit gewähltem Vorsitzenden, Stellvertreter, Rechnungs- und Schriftführer und waren zuständig für die gesamte Organisation, vom Spendenaufruf bis zur Ausschreibung eines Künstlerwettbewerbs.
Eine staatliche Initiative oder gar Finanzierung widersprach der bremischen Tradition und kam offenbar zu keinem Zeitpunkt in Betracht. Bis Ende des Zweiten Weltkrieges engagierte sich der Staat nur in Ausnahmefällen für Denkmalprojekte, so etwa 1846 beim Senatsauftrag für die Errichtung eines Johann-Smidt-Standbildes. Gleichwohl waren auch Senatsmitglieder als Privatpersonen im Denkmalkomitee vertreten, so dass durchaus von einer inoffiziellen Beteiligung des Senats gesprochen werden kann. Die Einbindung lokaler Prominenz sicherte dem Denkmalprojekt ein Prestige, das vor allem wegen der Finanzierung durch Spenden von großer Bedeutung war. Das illustrieren auch die beiden wichtigsten Personalentscheidungen, die Wahl des Vorsitzenden und des Schriftführers.
Den Vorsitz übernahm der Bürgerschaftspräsident
Zum Vorsitzenden des Kaiser-Wilhelm-Denkmalkomitees wurde Bürgerschaftspräsident Heinrich Claußen gewählt, zugleich leitendes Mitglied mehrerer überregionaler Organisationen (u.a. der Kaiser-Wilhelm-Stiftung) sowie Mitbegründer und Vorsitzender des nationalliberalen Reichsvereins. Claußen verkörperte somit sowohl hanseatische Eigenständigkeit als auch nationalen Integrationswillen Bremens, was ihn für das Amt des Komiteevorsitzenden geradezu prädestinierte.
Der Posten des Schriftführers ging an den Dichter, Maler und Kunstkritiker Arthur Fitger, damals wie Claußen Mitarbeiter des in Bremen dominierenden Presseorgans, der Weser-Zeitung. Regelmäßige Beiträge in ihrem Feuilleton verschafften Fitger eine so starke Medienpräsenz, dass er in Kunstfragen eine nahezu sakrosankte Stellung einnahm. Als Experte allgemein anerkannt, war er in fast jede bremische Denkmalangelegenheit involviert, so auch später bei den kontroversen Debatten um das Bismarck-Denkmal.
Auch die Frage nach der äußeren Form des Denkmals wurde bereits während der konstituierenden Sitzung des Denkmalkomitees entschieden, in den Augen des Kunstkritikers Otto Kuntzemüller übrigens zum Nachteil von Qualität und künstlerischer Freiheit. Die Teilnehmer verständigten sich auf die gängigste Form der Kaiserverehrung, ein Reiterstandbild, dessen Kosten mit 200.000 RM veranschlagt wurden. Da diese Summe durch freiwillige Beiträge aufgebracht werden musste, hatte das Denkmalkomitee zunächst einmal die Aufgabe, das Denkmalprojekt durch eine PR-Kampagne überhaupt publik zu machen. Eine erste Bekanntmachung am 14. April 1888 erfolgte in Kombination mit einem Spendenaufruf an die Bremer Bevölkerung.
An der Standortdiskussion wurde die Öffentlichkeit jedoch nicht beteiligt. Die Klärung dieser Frage war Angelegenheit einer durch das Denkmalkomitee eingerichteten Sachverständigenkommission unter Leitung Fitgers. Nachdem die Sachverständigen bestimmte, vornehmlich repräsentative Kriterien als entscheidend festgelegt hatten, wurde ursprünglich der Marktplatz favorisiert, vor allem wegen der Konkurrenzsituation zum Roland aber bald wieder verworfen. Als Alternativstandorte waren Domshof, Domsheide und Bürgerpark im Gespräch, wohingegen Bahnhofsplatz und Kaiserbrücke aufgrund ihres als würdelos empfundenen, „rein geschäftsmäßigen Charakters“ von Anfang an nicht in Frage kamen.
Fitger empfahl den Standort neben dem Rathaus
Um dem Denkmal einen repräsentativen Standort mit monumentaler, jedoch nicht geschäftlicher Hintergrundarchitektur zu sichern, empfahlen die Sachverständigen in einem von Fitger verfassten Gutachten im Juli 1888 das Gelände direkt neben dem Rathaus als Aufstellungsort, wo die ohnehin zum Abriss vorgesehene Brandruine der Alten Börse stand. Das Denkmalkomitee folgte dem Gutachten und trat mit einer entsprechenden Mitteilung an die Öffentlichkeit.
Zugleich kündigte es die Ausschreibung eines beschränkten Wettbewerbs für neun bis zehn Künstler an, der im Februar des folgenden Jahres durch eine Jury (wiederum unter Beteiligung Fitgers) entschieden werden sollte. Ein solcher Wettbewerb kränkte jedoch die Eitelkeit der bedeutendsten Bildhauer, die sich nur im Falle eines Direktauftrags zur Verfügung stellen wollten. Die Resonanz war enttäuschend: Gerade einmal sieben Entwürfe gingen ein, durchgehend von weniger renommierten Künstlern.
Die Jury erkannte im Februar 1889 schließlich Robert Bärwald den ersten Preis zu. Der 30-Jährige stand damals noch am Anfang seiner Karriere, schon bald produzierte er Kaiser Wilhelm-Standbilder in Serie. Allerdings verlief die Preisverleihung unter so dubiosen Umständen, dass von einem fairen Wettbewerb kaum die Rede sein kann.
Zwar stellte Fitger in einem Beitrag für die Weser-Zeitung die Entscheidung zugunsten Bärwalds als Ergebnis einer objektiven Prüfung der einzelnen Bewerber dar. Doch die Recherchen von Beate Mielsch weisen darauf hin, dass eine inoffizielle Absprache zwischen Fitger und Bärwald der Konkurrenz im vornherein keine Chance ließ und mehr noch: Fitger am Entwurf Bärwalds maßgeblich beteiligt war. Im Nachlass Fitgers fand sich eine vertrauliche Anfrage Bärwalds vom 10. Januar 1889 bezüglich der Detailfragen. Fitger nutzte offenbar die Gelegenheit, Bärwald seine eigenen Vorstellungen in extenso mitzuteilen und winkte vielleicht sogar mit einem Sieg im Preisausschreiben. Aus diesem Grunde, so Mielschs Vermutung, fühlte sich Fitger vollkommen berechtigt, „bis wenige Monate vor der Fertigstellung immer erneute Veränderungen und Detailverbesserungen zu verlangen“.
Indes deutete sich die Zustimmung des Senats für den vorgesehenen Standort bereits durch den Umstand an, dass nach Abriss der Alten Börse der freigewordene Platz den Namen Kaiser-Wilhelm-Platz erhalten hatte. Pro forma wurde die Standortwahl nach Aufstellung eines Gipsmodells durch eine offizielle Senatsmitteilung im Juni 1889 bestätigt.
Wider Erwarten war die Standortdebatte damit jedoch keineswegs abgeschlossen.
Anfang 1890 war sie noch einmal Gegenstand diesmal öffentlicher Diskussionen, vermutlich gerade weil der Öffentlichkeit bei der Standortwahl kein Mitspracherecht eingeräumt worden war. In Opposition zum Denkmalkomitee sprachen sich die vereinigten Bürgervereine in einer Petition an den Senat am 27. Januar 1890 für den ihrer Meinung nach nicht nur moderneren, sondern auch populäreren Bahnhofsplatz als Standort des Kaiserdenkmals aus. Diese Initiative wurde zwei Tage später in der Bürgerschaft mit nur knapper Mehrheit (54 gegen 48 Stimmen) abgelehnt, wobei einzelne Sozialdemokraten dadurch aufhorchen ließen, dass sie prinzipiell nichts gegen ein Kaiserdenkmal einzuwenden hatten.
Kaiser Wilhelm II. kam zur Grundsteinlegung
Der für seine effektive Öffentlichkeitsarbeit bekannte Wilhelm II. nutzte die Grundsteinlegung am 21. April 1890 für einen ersten Besuch in Bremen. Auch anlässlich der Enthüllung am 18. Oktober 1893, zugleich Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig und Geburtstag seines ebenfalls 1888 verstorbenen Vaters Friedrich III., war er wieder zugegen. Am Abend der Einweihungsfeierlichkeiten wurde in der Oberen Rathaushalle ein Festbankett veranstaltet, bei dem Bürgermeister Alfred Pauli erklärte, mit diesem Standbild habe „das Reich Wohnung genommen in dieser freien Stadt, um sie zu schirmen und zu schützen“ aber nicht, wie es ursprünglich im Redemanuskript hieß, „um sie zu unterdrücken“. Obwohl dieser Teilsatz wegen seiner Brisanz gestrichen wurde, spiegelte er doch die Zwistigkeiten um den erst 1888 erfolgten Beitritt zum Zollverein wider; wohl weniger ging es um das Bekenntnis zum Reich an sich, denn Bremen war stolz auf seine Reichs- und Kaisertreue.
Das Bremer Kaiser-Wilhelm-Denkmal war ein Musterbeispiel für den pompösen, neobarocken Kunstgeschmack der wilhelminischen Epoche. Als monumentales Reiterstandbild stand es in einer Traditionslinie, die bis in die Antike zurückreichte und in der Renaissance wiederaufgenommen wurde. Über vier Meter hoch, präsentierte die Reiterstatue den Kaiser als siegreich einreitenden Feldherrn, idealisiert durch Hermelinmantel und Lorbeerkranz, womit ganz bewusst an einen antiken Triumphator erinnert werden sollte. Genauso wie beim später errichteten Kaiser-Friedrich-Denkmal.
Zwar war dieses Denkmal, wie Mielsch betont, „das erste, mit dem Bremen ein volles Bekenntnis zur Reichseinheit ablegte“. Dennoch diente es zugleich der territorialen Selbstdarstellung durch lokal bezogene Assistenzfiguren. So vermittelten am drei Meter hohen Granitsockel Brema und Neptun die Verbindung Bremens mit der Seefahrt.
Auf seiner letzten Sitzung im April 1894 legte das Denkmalkomitee seine Schlussabrechnung vor. Abzüglich aller Unkosten blieb ein Restbetrag von 17.500 RM, der umgehend dem Fonds für den Teichmann-Brunnen überwiesen wurde. Doch bei der Wertschätzung für das Kaiser Wilhelm-Denkmal blieb es nicht, erst recht nicht nach dem Untergang des Kaiserreichs. Die neobarocke Ausstattung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals entsprach ohnehin nicht mehr dem Zeitgeschmack. Schon 1939 gab es Überlegungen, das Reiterstandbild von dem zentralen, innerstädtischen Platz etwas weiter an die Peripherie zu verlegen. Um einen plastischen Eindruck zu gewinnen, stellte man zu diesem Zweck eine Attrappe auf der Kaiserbrücke aus.
Nachdem der Kriegsausbruch den Umzug unterbunden hatte, wurden 1940 zunächst die Sockelfiguren entfernt. Der Plan, ihre Bronze zur Reparatur des Rosselenkers zu verwenden, kam jedoch nicht mehr zustande. Wie andere Denkmäler auch, wurde das Kaiser-Wilhelm-Denkmal 1942 demontiert und eingeschmolzen, in der NS-Terminologie euphemistisch „Metallspende“ genannt.
von Frank Hethey