Mit ihm befasste sich Karl Holl intensiv: der Bremer Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde, gemalt von Hans Lehmkuhl.

Trauerrede für Karl Holl in Bremen am 4. Mai 2017

Mit Karl Holl (1931 bis 2017) ist der Gründungsvater der deutschen Historischen Friedensforschung von uns gegangen. Sein Name ist untrennbar mit diesem Wissenschaftszweig verbunden.

Schon als junger Wissenschaftler interessierte er sich für die Geschichte des Liberalismus und die verschüttete Geschichte der deutschen Friedensbewegung. Einen Ansporn, sich diesen Forschungsthemen noch intensiver zu widmen, gab ihm die Politik, genauer gesagt, die politische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland in den ausgehenden 1960er Jahren. Der neu gewählte Bundespräsident Gustav W. Heinemann (SPD) sprach am 1. Juli 1969 in seiner legendären Antrittsrede vom „Ernstfall Frieden“, in dem wir alle uns zu bewähren hätten.

Wenige Monate später gewannen SPD und FDP erstmals in der Geschichte unseres Landes die Bundestagswahlen. Die Regierung Willy Brandt/Walter Scheel setzte in der Folgezeit ihre Entspannungs- und Ostpolitik ins Werk. Karl Holl, damals FDP-Mitglied und ein Anhänger der sozialliberalen Koalition, hat diese Politik aus Überzeugung unterstützt. Im Deutschen Bundestag war sie allerdings heftig umstritten. Jedenfalls: Die neue Bundesregierung erfüllte das Diktum Heinemanns vom „Frieden als Ernstfall“ auf dem Felde der Außenpolitik mit Leben, und sie gewann damit die Zustimmung einer Mehrheit der Wählerinnen und Wähler unseres Landes.

Bundespräsident Heinemann war es auch, der erstmals eine staatliche Förderung der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland anregte. Bei der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK) in Bonn am 28. Oktober 1970 hielt er die Eröffnungsrede. Heinemann wandte sich auch ganz direkt an die Historiker, indem er Folgendes deutlich macht: Er sei weniger an theoretischen Begriffsbestimmungen interessiert, sagte er, sondern an „nüchterner, auf die Praxis bezogener Arbeit“. Die Einseitigkeit der traditionellen Geschichtswissenschaft kritisierte er mit den folgenden Worten: „Unendlicher Fleiß ist seit erdenklichen Zeiten von Geschichtsschreibern darauf verwandt worden, den Verlauf von Schlachten und Kriegen darzustellen. Auch den vordergründigen Ursachen von Kriegen wurde nachgespürt. Aber nur wenig Kraft, Energie und Mühe wurden in aller Regel darauf verwandt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man sie hätte vermeiden können.“

Mal ganz anders: Karl Holl auf dem Fahrrad im Viertel.
Foto: Normann, Stenschke, Bremen

Wichtiger Impulsgeber für die Friedensforschung 

Durch diese Worte fühlten sich Karl Holl und andere Historikerinnen und Historiker ganz persönlich angesprochen. Sie taten sich im Lauf der 1970er Jahre in einem lockeren Verbund zusammen und gründeten – formell im Jahre 1984, und zwar in Fischerhude – einen „Arbeitskreis Historische Friedensforschung“ (AHF), der von Beginn an von der Bremer „Stiftung die schwelle – Beiträge zum Frieden“ finanziell gefördert wurde. Als eine Gruppierung von Forschern traten die sogenannten „Friedenshistoriker“ erstmals 1981 mit einem Band über den „Pazifismus in der Weimarer Republik“ hervor. Karl Holl hatte dieses Thema angeregt.

1983 veröffentlichten Karl Holl und Helmut Donat das viel gelobte „Lexikon zur Friedensbewegung in Deutschland, Österreich und in der Schweiz“, das bis heute ein konkurrenzloses Standardwerk darstellt. Karl Holls Buch „Pazifismus in Deutschland“, das 1988 bei Suhrkamp erschien, war ein Fanal gegen das Vergessen. Hatten doch die Nazis versucht, mit dem Verbrennen pazifistischer Literatur auch die Erinnerung an die Tatsache zu vernichten, dass es in der Zeit des ersten deutschen Nationalstaates nicht nur den dominierenden Militarismus gegeben hatte, sondern auch eine organisierte Friedensbewegung. Das war im Bewusstsein der Nachkriegsdeutschen nicht mehr präsent. Es musste durch historische Forschung aus der Versenkung geholt werden – durch Kollegen wie Karl Holl, Dieter Riesenberger, Helmut Donat und andere.

Ein Mann mit trockenem Humor: Karl Holl.
Foto: Ingrid Holl

Breites Quellenstudium in vielen Archiven im In- und Ausland zeichnen Karl Holl ebenso aus wie die Fähigkeit, historische Erkenntnisse gut lesbar, mitunter gar spannend und für ein breiteres historisch interessiertes Publikum zugänglich zu machen. Mit seinem suhrkamp-Band „Pazifismus in Deutschland“ öffnete Karl Holl seinerzeit den neuen Friedensbewegungen der Gegenwart die Augen. Sie begannen zu begreifen, dass nicht sie es waren, die das Eintreten für den Frieden erfunden hatten, sondern dass sie in einer ansehnlichen Tradition standen. Für seine Geschichte des Pazifismus wurde Holl 1988 zu Recht mit dem Carl von Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg geehrt.

Seit 1971 als Professor an der Universität Bremen

Karl Holl war seit 1971 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bremen. Die wachsende Schar der „Friedenshistoriker“ nahm ihn wahr als den Senior, den Sprecher und Organisator des Vereins, den er mit ruhiger Hand zusammenhielt und immer wieder mit Impulsen versorgte. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war es, dass er bestrebt war, die Historische Friedensforschung international zu vernetzen. So organisierte er in den 1980er Jahren ein Treffen von Friedenshistorikerinnen und Friedenshistorikern aus fast allen Ländern Europas. Die unter seiner Leitung durchgeführte Tagung fand wiederum in Fischerhude statt. Sie bildete den Startschuss zu einem inspirierenden und nachhaltigen Erfahrungsaustausch mit Wissenschaftlern aus Westeuropa und Nordamerika. Selbstverständlich waren für ihn ebenso – und zwar noch vor der deutschen Wiedervereinigung – Kontakte zu Wissenschaftlern aus den sozialistischen Ländern.

Schon früh hatte Karl Holl über einen der wichtigsten Protagonisten des organisierten Pazifismus geforscht, den aus Bremen stammenden Historiker und linksliberalen Politiker Ludwig Quidde. Er wird heute zu den großen Persönlichkeiten der Stadt gerechnet. Quidde führte in den stabilen Jahren der Weimarer Republik die „Deutsche Friedensgesellschaft (DFG)“. Holls langjährige Forschungen mündeten viele Jahre später in eine große Biographie Ludwig Quiddes. Sie wurde 2007 in der renommierten Schriftenreihe des Bundesarchivs publiziert.

Bis zuletzt wissenschaftlich aktiv: Karl Holl.
Quelle: Privat

Bundespräsident Gauck hielt die Quidde-Biografie Holls in seinen Händen

Bekanntlich gibt es bislang vier deutsche Träger des Friedensnobelpreises: erstens Gustav Stresemann, den Außenminister der Weimarer Zeit, zweitens Ludwig Quidde, den führenden Kopf des organisierten Pazifismus, drittens Carl von Ossietzky, den publizistischen Kritiker des Militarismus, und schließlich viertens Willy Brandt, den sozialdemokratischen Bundeskanzler der frühen 1970er Jahre. Zweifellos ist Quidde unter diesen vier Persönlichkeiten die am wenigsten bekannte. Es muss für Karl Holl daher eine große Genugtuung gewesen sein zu erleben, wie Bundespräsident Joachim Gauck am 25. Februar 2013 anlässlich einer Menschenrechtstagung in Genf das dortige Grab von Ludwig Quidde besuchte und bei dieser Gelegenheit seine – Holls – Quidde-Biographie in Händen hielt, wie Fotos belegen. Das war eine späte Würdigung eines fast Vergessenen!

Als Mensch war Karl Holl ein freundlicher, ein besonnener, offener, verlässlicher Kollege, dem auch ein trockener Humor eigen war. Er vermochte andere Menschen zusammenzuführen und manche Wogen zu glätten. Politisch war er ein Liberaler, und diese Überzeugung praktizierte er, indem er Toleranz vorlebte. In den Jahren seines tätigen Ruhestandes hat es ihn gefreut und beruhigt, dass die Wissenschaftsdisziplin, die er selbst mit aus der Taufe gehoben hatte, kein Ein-Generations-Projekt geblieben ist, sondern dass sie längst von jüngeren Kolleginnen und Kollegen tatkräftig weiterentwickelt wurde und wird.

Karl Holl wird uns in Erinnerung bleiben als ein gelehrter Kollege, der wichtige Forschungsleistungen auf dem großen Feld „Frieden und Geschichte“ erbrachte und der den Jüngeren viele Anstöße gab. Für nicht wenige von uns war er zugleich ein Freund. So werden wir ihn in unserem Gedächtnis bewahren.

von Wolfram Wette

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

„Erst der Hafen, dann ist die Stadt“

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