Friedrich Engels in Bremen (2): Eine Lustfahrt nach Bremerhaven im Jahre 1840 

„Um sechs Uhr morgens sollte der ‚Roland‘ abfahren. Ich stand an den Räderkasten angelehnt und sah unter der Menschenschar, die sich an Bord des Dampfschiffs drängte, nach Bekannten umher. Denn heute war eine sonntägliche Lustfahrt nach Bremerhafen veranstaltet und zwar zu herabgesetzten Preisen, wobei denn jeder die Gelegenheit benutzte, der See ein wenig näher zu kommen und einige große Schiffe zu sehen. Die Preiserniedrigung machte den Unbemittelten die Teilnahme möglich, und dazu war der Unterschied zwischen erster und zweiter Kajüte aufgehoben, was in Bremen, wo die ‚höheren Stände‘ nichts mehr scheuen als gemischte Gesellschaft, sehr viel sagen will. So wurde denn das Dampfschiff auch sehr voll.

Vegesack ist die Oase in der bremischen Wüste

Vegesack ist die Oase der bremischen Wüste, in Vegesack gibt’s Berge von sechzig Fuß Höhe, und der Bremer spricht wohl von der ‚Vegesacker Schweiz‘. Vegesack liegt nun auch ganz hübsch oder wie man hier sagt, ‚niedlich‘ oder ‚süß‘. Der Flecken selbst bietet der Weser eine anmutige Front dar; ehe man hinkommt, sieht man eine Menge Schiffsrümpfe in der Weser liegen, teils ausgediente, teils hier neugebaute. Die Lesum fließt hier in die Weser und bildet mit ihren Hügeln ebenfalls ganz ‚niedliche‘ Ufer, die sogar romantisch sein sollen, wie mich der Schulmeister von Grohn, einem Dorf bei Vegesack, auf Ehre versicherte.

Gleich hinter Vegesack versucht das Sandmeer wirklich, bedeutende Wellen zu schlagen, und senkt sich ziemlich steil in die Weser hinein. Hier liegen die Villen der Bremer Aristokraten, deren Anlagen das Weserufer eine kleine Strecke hin wirklich sehr verschönern. Dann freilich kommt wieder die alte Langeweile. Die alte Langeweile wie sie schon in der bremischen Wüste war, rechts und links Weidengebüsch, sumpfige Wiesen. Kartoffelpflanzungen und Braunkohlfelder für Braunkohl, dem Lieblingsgericht der Bremer, waren hier – im Gegensatz zum Bremer Bereich – nicht auszumachen.

Berichtete seiner Schwester aus Bremen: der junge Friedrich Engels.
Quelle: WikicommonsLand Hann

Brake ist eine erfreuliche Abwechslung

Endlich, nach verschiedenen uninteressanten hannöverschen und oldenburgischen Dörfern, wieder eine erfreuliche Abwechslung, der Freihafen Brake, dessen Häuser und Bäume einen effektvollen Hintergrund zu den auf der Weser liegenden Schiffen bilden. Bis hierher kommen schon größere Seeschiffe, und von hier abwärts hat die Weser, wenn nicht durch Inseln zerrissen, schon eine ansehnliche Breite.

Nach kurzem Aufenthalt fuhr das Dampfschiff weiter, und in anderthalb Stunden waren wir nach beinahe sechsstündiger Fahrt am Ziele. Mit einem prächtigen Bogen fuhr das Dampfboot in die Geest, einen kleinen Fluss, der sich bei Bremerhaven in die Weser ergießt. Aber die Passagiere drängten sich, trotz der Ermahnungen des Kapitäns, nach dem Vorderteil des Schiffs, die Ebbe hatte den niedrigsten Stand erreicht, und mit einem Ruck war Roland, der Repräsentant bremischer Unabhängigkeit, auf den Sand geraten. Die Passagiere zerstreuten sich, die Maschine arbeitete rückwärts, und Roland kam glücklich von der Sandbank.

Nach sechs Stunden Fahrt wird Bremerhaven erreicht

Bremerhafen ist ein junger Ort. 1827 kaufte Bremen von Hannover einen kleinen Strich Landes und ließ den Hafen mit ungeheuren Kosten dort erbauen. Allmählich zog eine ganze bremische Kolonie hinüber, und noch immer nimmt der Ort an Bevölkerung zu. Darum ist hier alles bremisch, von der Bauart der Häuser bis zu der plattdeutschen Sprache der Einwohner, und der Bremer von altem Schlage, der sich vielleicht über die außerordentliche Steuer geärgert hat, mit deren Ertrag das Stückchen Land gekauft wurde, kann doch jetzt seine Freude nicht verhehlen, wenn er sieht, wie hier alles so schön, so zweckmäßig, so bremisch ist.

Von der Anfahrt der Dampfschiffe aus hat man gleich den besten Überblick über das Ganze. Ein schöner, breiter Quai, in dessen Mitte das kolossale Hafenhaus in misslungenem antikem Stil hervorragt; der Hafen in seiner ganzen Länge, mit allen seinen Schiffen; links und jenseits desselben das von hannöverschen Soldaten besetzte kleine Fort, dessen Backsteinmauern nur zu deutlich zeigen, dass es nur pro forma dasteht. Es ist daher auch ganz konsequent, dass man niemand ins Innere des Forts lässt, eine Erlaubnis, die bei jeder preußischen Festung leicht zu erlangen ist.“

Friedrich Engels als Kaufmannsgehilfe in Bremen

Friedrich Engels (1820 bis 1895) war ein deutscher Philosoph und zusammen mit Karl Marx Theoretiker des Sozialismus. Engels verbrachte eine dreijährige Lehrzeit (1838 bis 1841) zum Kaufmannsgehilfen in Bremen. Seine Schilderung der Reise von Bremen nach Bremerhaven erschien anonym 1841 im Stuttgarter „Morgenblatt für gebildete Leser“.

Friedrich Engels in Bremen, Teil 1

Brake im Jahre 1839.
Links Werft von Behrens, in der Mitte Stammhaus Familie Gross, rechts Helgen der Werft Oltmanns. Im Vordergrund nimmt der Weserdampfer „Bremen“ Passagiere auf. So ähnlich wird auch ausgesehen haben, als Friedrich Engels 1840 mit der „Roland“ von Bremen nach Bremerhaven fuhr.
Quelle: Gemälde von Carl Justus Harmen Fedeler, 1839
Von der Weser an die Welt, Peter-Michael Pawlik, Hauschild, 2003

75 Jahre Kriegsende

Neuanfang nach der Diktatur

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