Kürzlich verstorbener US-Pilot Chuck Yeager soll sich 1944 an der Weser ausgezeichnet haben – eine Legende

Der Amerikaner Charles E. Yeager, genannt Chuck, ist in seiner Heimat berühmt, er war der erste Testpilot, der die Schallmauer durchbrach. Er starb hochbetagt im Dezember 2020. Was kaum bekannt ist: Es gibt eine Verbindung zu Bremen, denn etliche Nachrufe erwähnten seinerzeit die Geschichte, dass er an einem einzigen Tag, nämlich am 12. Oktober 1944 beim Luftangriff auf Hastedt und Sebaldsbrück, fünf Messerschmidt 109-Jagdbomber abgeschossen habe. Daraufhin verlieh man ihm den Titel „Ace in a Day“. So stand es in der Süddeutschen Zeitung vom 9. Dezember 2020. Doch hält die Legende einer Überprüfung stand? War der Piloten-Star in der fraglichen Nacht wirklich über Bremen?

Ein erfolgreicher Jagdflieger: der US-Kampfpilot Charles („Chuck“) Yeager. Im Oktober 1944 erzielte er seine Erfolge aber nicht über Bremen.
Quelle: US Air Force/Wikimedia Commons

Yeager war auf dem Flughafen von Leiston an der Küste im Südosten Englands stationiert. Das American Air Museum in England führt unter dem 12. Oktober 1944 als Ziel von Luftangriffen von diesem Flughafen die „Aircraft Factories“, also die Flugzeugindustrie in Bremen auf, die von der 3rd Bomb Division angegriffen wurden. In der Chronik der Luftkampfeinsätze der US Aemy Air Forces wird ergänzt, dass 210 Mustang P 51 Jagdbomber als Eskorte beigestellt waren. Chuck Yeager flog eine solche Mustang. Als Mitglied eines Jagdgeschwaders war es seine Aufgabe, die Bomberverbände vor feindlichen Jägern abzusichern. Das American Air Museum stellt die Karte eines Navigators des Bombergeschwaders nach Norddeutschland zur Verfügung, auf der man am rechten Rand des Einsatzgebietes Bremen erkennt.

Am 12. Oktober 1944 attackierten rund 250 Bomber zwischen 11 und 12 Uhr die Industriegebiete in Hastedt und Sebaldsbrück mit 588 Spreng- und 110.150 Brandbomben, 82 Menschen starben, 8000 wurden obdachlos. Der Angriff galt vor allem dem 1938 eröffneten Borgward-Stammwerk in Sebaldsbrück; im benachbarten Hastedt wurde das ebenfalls zu Borgward gehörende Goliath-Werk völlig zerstört. Herbert Schwarzwälder resümiert in seiner Geschichte der Freien Hansestadt Bremen: „Erst der große amerikanische Tagangriff vom 12. Oktober 1944, der auch dem Werk Hastedt der Focke-Wulf-Werke schwere Schäden brachte, zerstörte die Borgward-Werke in Hastedt und Sebaldsbrück fast vollständig.“

Bremen war ein bevorzugtes Ziel der alliierten Bomberverbände, strategisch leicht zu erreichen und Standort wichtiger Unternehmen der Militärindustrie und kriegswichtiger Produktionsanlagen. Dazu gehörten beispielsweise die Werftindustrie (Kriegsschiff- und U-Boot Bau auf der AG Weser und beim Vulkan in Vegesack), der Flugzeugbau (Focke Wulf, u.a in Hastedt), die Fertigung von Ketten- und Transportfahrzeugen (Borgward in Hastedt und Sebaldsbrück), die Herstellung von Munition (unter anderem Bohm & Kruse, Donar Apparatebau).

Hinzu kamen weitere kriegswichtige Infrastruktur wie Kasernenanlagen, Häfen, Flugplätze, Eisenbahnstrecken, etwa das Reparaturwerk der Reichsbahn in Sebaldsbrück, die Raffinerie in Oslebshausen, das Kraftwerk Unterweser in Blumenthal und das Kraftwerk Hastedt samt Weserwehr sowie Zulieferindustrie für die Deutsche Wehrmacht. Insgesamt flogen die Alliierten in etwas mehr als fünf Jahren 173 Luftangriffe auf Bremen und warfen dabei 5513 Tonnen an Sprengkörpern ab. Das sind fast 900.000 Bomben, wobei mehr als 4000 Einwohner starben. Ungefähr 65.000 Wohnungen wurden zerstört, was damals etwa 62 Prozent des Wohnraumes entsprach.

Chuck Yeager gehörte zur 8th US Air Force, genannt Mighty Eight, und dort zur 357th Fighter Group. In den Dokumenten wird er als eines der Flieger-Asse aufgeführt. Yeagers Einheit wurde als Eskorte für Bombengeschwader auf Langstreckenflügen eingesetzt. Die Jäger flogen den Bombern voraus, um die Abwehr der deutschen Luftwaffe auszuschalten. Der englische Wikipedia-Eintrag zur 357th Fighter Group erzählt auch, wie es dazu kam, dass Yeager fünf deutsche Abfangjäger über Bremen abschoss.

Luftaufnahmen von den Zerstörungen in Hastedt und Sebaldsbrück vom 12. Oktober 44, rechts im Bild der große Weserbogen hinter dem Hastedter Industriegebiet.
Quelle: 100th Bomb Group

“One notable combat occurred during an escort mission to Bremen on 12 October 1944, when 1st Lt. Chuck Yeager claimed five German fighters to become an Ace in a Day.“ Yeager also beanspruchte für sich, fünf Jäger über Bremen am 12. Oktober 1944 abgeschossen zu haben. Belegt wird das mit einem Buch von Merle C. Olmsted, „The 357th Over Europe: the 357th Fighter Group in World War II“, das 1994 erschienen ist. Vermutlich stützen die Verfasser der Nachrufe, die diese Geschichte wiedergeben, sich auf diesen Eintrag. Doch stimmt er auch? Olmsted ist durchaus ein glaubwürdiger Zeitzeuge. Er diente als Master Sergeant, so etwas wie ein Stabsfeldwebel, in derselben Einheit wie Yeager, der 357th Fighter Group, die in der Tat an diesem Tag auch über Norddeutschland im Einsatz war.

Weitere Recherchen, etwa bei der Arbeitsgruppe Luftfahrtarchäologie Niedersachsen, fördern ein anderes Ergebnis zutage. Zwar verzeichnen Unterlagen der amerikanischen Luftwaffe am fraglichen Tag etliche Abschüsse in einem Radius von 5 bis 30 Meilen um Bremen. Darunter sind auch Messerschmitt 109, vor allem aber Jagdflugzeuge FW 190 von Focke-Wulf.

Kein Abschuss wird jedoch Chuck Yeager zugeordnet. Auf der anderen Seite bestätigt die Historische Studie No. 85 der US-Luftwaffe unter der Seriennummer AC 0-887005 zweimal den Abschuss von fünf deutschen Flugzeugen am 12. Oktober 1944 durch Charles E. Yeager. Es wird aber nicht vermerkt, wo das war. Unter derselben Seriennummer findet sich ein „Encounter Report“, also ein Einsatzbericht von Yeager selber, der für das in Frage stehende Datum festhält: „Five Me. 109 destroyed“, also fünf Messerschmitt 109 zerstört, und zwar am Steinhuder Lake in der Nähe von Hanover, Germany. Wörtlich: „I was over Steinhuder Lake when 22 Me. 109s crossed in front of my Squadron from 11:00 o’clock to 1:00 o’clock.”

Detaillierte Schilderung: Einsatzbericht von Chuck Yeager vom 12. Oktober 1944 über dem Steinhuder Meer.
Quelle: Sammlung Diethelm Knauf

Und dann beschreibt er im Detail, wie er die einzelnen Messerschmitt abgeschossen hat und endet: „Ammunition expended: 587 round .50 cal MG“, also 500 Ladungen MG-Munition hat er verbraucht. Olmsted, der Verfasser des Buches über die 357th Fighter Group, hat vielleicht in seiner Fighter Group von Yeagers Abschüssen gehört, möglicherweise aber die Geografie in Norddeutschland durcheinandergebracht, immerhin hat er das Buch 50 Jahre nach den Ereignissen geschrieben. Die Begebenheit an sich ist also nicht erfunden, aber der Ort des Geschehens falsch überliefert.

Während des Krieges sollen Mustang Piloten insgesamt fast 5000 feindliche Flugzeuge zerstört haben. Die 8th Air Force setzte bei ihren Angriffen teilweise 40 Bomber-Gruppen und 15 Fighter Groups ein, 1944 dienten in dieser Truppe mehr als 200.000 Soldaten. In seinen Memoiren, die 1986 erschienen, erinnert sich Yeager mit einiger Abscheu an die Gräueltaten, die beide Seiten begingen, vor allen Dingen daran, auf Zivilisten zu schießen, alles unter Feuer zu nehmen, was sich bewege („strafe anything that moved.“) Während eines Briefings soll er zu einem Major gesagt haben: „If we are going to do things like this, we sure as hell better make sure we are on the winning side.“ Wir sollten wohl besser auf der Gewinnerseite sein, wenn wir solche Dinge tun.

Immerhin hatte Yeager später also durchaus Bedenken ob seines Tuns im Krieg. Fragwürdig bleibt, ob einen die Tatsache, dass man fünf Flugzeuge inklusive Piloten an einem Tag, abgeschossen hat, zu einem „Ass“ macht, offensichtlich gilt das im historischen Kontext des Krieges als herausragende Fliegerkunst. Unabhängig davon, sollte sich Geschichtsschreibung, gerade wenn es um Konstruktion von Helden geht, um penible Genauigkeit bemühen und scheinbar etablierte Fakten anhand der Quellen überprüfen.

Ein Mann mit Sinn für Romantik: Chuck Yeager nannte sein Flugzeug nach seiner Frau.
Quelle: US Air Force/Wikimedia Commons

200 Jahre Bremer Stadmusikanten

200 Jahre Bremer Stadtmusikanten

Das schönste Märchen über die Freundschaft

1819 haben die Brüder Grimm die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten veröffentlicht. Unser Magazin zu diesem Geburtstag ist voller Geschichten rund um die berühmten Aussteiger – etwa eine Reportage über das Grimm-Museum in Kassel, über die Bedeutung des Märchens in Japan und vieles anderes mehr.

Jetzt bestellen