Vor 50 Jahren: Am 26. Juni 1967 fiel die Entscheidung im Wettbewerb um die neue Sögestraße
Im Mittelalter war es ein wenig bedeutendes Sträßchen im Bremer Handwerkerquartier zwischen Katharinenkloster und St. Ansgarii. Vor allem Bäcker und Bierbrauer hatten sich hier angesiedelt. Zur Verwertung ihrer Abfälle hielten sie Schweine, die sich vor den Häusern suhlten. Ihnen verdankt die kleine Straße ihren Namen: Sögestraße (hochdeutsch: Sauenstraße). Erst durch den Bau des Bahnhofs wandelte sich ihr Charakter. Wer mit der Bahn Bremen erreichte, gelangte über die Bahnhofstraße und das Herdentor durch die Sögestraße in die Stadtmitte. Das Straßenprofil wurde verbreitert und neue Geschäftshäuser gebaut. Die Straße entwickelte sich zur wichtigsten Ladenstraße neben der Obernstraße. Außer den historistischen Neubauten besaß die Straße aber noch einige bauliche Kleinodien, wie die Sonnenapotheke in Stil der Weserrenaissance.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Randbebauung weitgehend zerstört. Bereits im Januar 1946 schloss sich eine Gruppe ansässiger Kaufleute zur Wiederaufbau-Gemeinschaft Sögestraße zusammen. Treibende Kraft war der Kaufmann Gerhard Iversen. Der Vereinigung ging es darum, möglichst rasch unter Wahrung des historischen Stadtbildes den Wiederaufbau der Häuser zu organisieren. In der Initiative machte sich auch ein gewisses Misstrauen gegenüber der offiziellen Stadtplanung deutlich, verführte doch der Kahlschlag in vielen Städten die Stadtplaner dazu, einen radikalen Umbau der historischen Altstädte nach den Prämissen des modernen Städtebaus einzuleiten. Zumindest die Sögestraße sollte aber wieder in ihrer alten Gestalt erstehen.
„Gebietsarchitekt“ schlägt 1946 Fußgängerstraße vor
Das Beispiel der Anliegerinitiative machte rasch Schule. Überall in den zerstörten Quartieren und Straßenzügen Bremens bildeten sich Aufbaugemeinschaften. Mit der „Aufbaugemeinschaft Bremen“ wurde wenig später eine Dachorganisation gegründet, der ebenfalls Iversen vorstand. Die Aufbaugemeinschaft Bremen ist auch heute noch ein aktiver Teil der bremischen Baukultur.
Damit es in der ersten Jahren nach Kriegsende zu keinem Streit um die noch raren Bauaufträge unter den Architekten kommen sollte, hatte die Aufbaugemeinschaft den einzelnen Orten zukünftigen Aufbaus sogenannten Gebietsarchitekten zugeteilt – und zwar ganz bewusst Architekten, von denen man die „rechte Baugesinnung“ erwartete, was so viel hieß wie: dem traditionellen „bremischen“ Stil zugewandt. Der Gebietsarchitekt für die Sögestraße und Umgebung war Kurt Haering. Es legte im Sommer 1946 erste Planungen vor. Diese wurden in der Öffentlichkeit lebhaft diskutiert und von verschiedenen Gutachtern (unter ihnen der prominente Städtebauer Fritz Schumacher) positiv bewertet.
Haering schlug vor, den Abschnitt zwischen Großer Hundestraße und Schüsselkorb als Fußgängerstraße auszubilden. Die schmale Fortsetzung weiter südlich bis zur Obernstraße war schon seit der Jahrhundertwende für Fahrzeuge gesperrt. Lediglich das kurze Straßenstück zum Wall sollte Fahrstraße bleiben und den Autoverkehr über den Schüsselkorb und die Knochenhauerstraße zu zwei neu geschaffenen Plätzen führen, die an den beiden Rückseiten der Sögestraße lagen. (1)
Von dort aus sollte die Belieferung erfolgen, und dort sollten die Kunden parken. Der Vorschlag bildete die Grundlage für den 1952 beschlossenen Bebauungsplan. Lediglich auf den von Haering gezeichneten dreibogigen Torbau hatte man verzichtet. Erste Neubauten waren aber schon Ende der vierziger Jahre an der Westseite neu errichtet worden, darunter das Ronning-Haus, das wegen seines Giebelmotivs kurzzeitig einen heftigen Streit auslöste. Eigentlich sollten alle Neubauten traufständig angeordnet sein. Wie im Plan von Haering vorgesehen wurden die einzelnen Häuser von verschiedenen Architekten gestaltet. Bis Mitte der fünfziger Jahre standen die meisten. (2)
Nur die Umwandlung zur Fußgängerstraße ließ auf sich warten. Grund: Die gesamte Verkehrsplanung in der Innenstadt verlief schleppend und wurde in ihrer ursprünglich Ausrichtung aufgrund des stetig wachsenden Verkehrsaufkommens umgeändert: von der Idee einer inneren Ringstraße zum sogenannten Verkehrszellenplan. Außerdem machte die zunehmende Zahl von Kaufhäusern den Einzelhändlern Sorgen. Derweil wurde die Verkehrslage in der Sögestraße immer schwieriger. Eine Verkehrszählung hatte im September 1963 ergeben, dass pro Tag fast 30.000 Fußgänger die Straße passierten – und das ausschließlich auf den beiden zwei Meter breiten Bürgersteigen. In der Straßenmitte lag die Fahrbahn mit Parkstreifen, auch die Bus-Linie 25 verkehrte hier. Kein Wunder, dass auf den gedrängt vollen Bürgersteigen keine rechte Lust auf einen Schaufensterbummel aufkommen wollte. (3)
Vorbild aus Rotterdam
Kaufleute und Behördenvertreter schlossen sich schließlich zu der „Arbeitsgemeinschaft Sögestraße“ zusammen, die im Januar 1967 einen Ideenwettbewerb zur Neugestaltung der Sögestraße als Fußgängerstraße ausschrieb. Eingeladen waren 14 Architekten, von denen bis auf zwei alle aus Bremen kamen. Am 26. Juni, fast auf den Tag vor fünfzig Jahren, wurde der Wettbewerb entschieden. Und wie es so oft ist, wenn sich Juroren nicht einigen können oder unschlüssig sind, welche Lösung die angemessene ist, gab es auch hier keinen eindeutigen Gewinner, sondern zwei gleichwertige erste Preise. Der eine ausgezeichnete Entwurf stammt von den Bremer Architekten Siegfried Köhl und Karl-Heinz Stelling von der Planungsgruppe Nord. (4)
Er stellt eine eher konventionelle Lösung dar. Vorausgeschickt werden muss, dass seinerzeit als Nonplusultra aller Fußgängerstraßen die „Lijnbaan“ in Rotterdam galt. Sie besaß an ihren Seiten zwei Wetterschutzdächer (gewissermaßen eine moderne Entsprechung von Arkadengängen), die ungefähr alle vierzig Meter mit quer dazu verlaufenden Dächern verbunden waren. So gliederte sich die Lijnbaan in überschaubare Abschnitte. Auch in Bremen waren in der Ausschreibung Regenschutzdächer gefordert. Und es verwundert nicht, dass fast alle Entwürfe sich mehr oder weniger an dem niederländischen Vorbild orientierten, so auch Köhl und Stelling. Was sie von den anderen Entwürfen unterschied: Ihre Überdeckungen bestanden aus zahlreichen rautenförmigen Einzelelementen.
Der Nachteil solcher Dachlösungen war, dass damit die Sicht auf die Fassaden und auf den gesamten Straßenraum stark eingeschränkt wurde. Insofern fand der andere prämierte Entwurf schon bald die größere Zustimmung. Er war zudem wesentlich unkonventioneller. Sein Verfasser Rolf Störmer hatte in der Sögestraße in der fünfziger Jahren bereits zwei Häuser entworfen, darunter das für das Bremer Bratwurstkönig Martin Kiefert. Störmer hatte die Idee, sich mit dem jungen Berliner Architekten Frei Otto zusammenzutun. Otto beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit der Entwicklung leichter Flächentragwerke und hatte mit seinem Zeltdach für den deutschen Pavillon in Montreal auch international erstmals großes Aufsehen erregt. Für die Sögestraße schlugen Störmer und Otto eine Zeltbedachung der Straße oberhalb der Trauflinie vor. (5)
Das hatte den Vorteil, dass der Straßenraum nicht optisch zerstückelt würde. Das leichte Dach versprach atmosphärisch Anklänge an einen orientalischen Basar. Für die Bodengestaltung schlug Störmer ein wabenförmiges Muster aus Ziegelpflastersteinen vor, das sich wahlweise mit Pflanztrögen, Ruhebänken oder Vitrinen bestücken ließ.
Zu viele Dinge im Raum
Vor allem das Zeltdach wurde bald als „Attraktion für die Gesamtcity“ bewertet. Noch im Dezember 1969 – die Straße war inzwischen bereits für den Verkehr gesperrt – stellte die Stadt in Aussicht, die Mehrkosten für ein Realisierungs-Gutachten zu übernehmen. (6) Letztendlich scheiterte das kühne Projekt an der Uneinigkeit der Anrainer der Straße bezüglich der Unterhaltungskosten. So hatte Bremen wieder einmal eine architektonische Chance verpasst.
Was dann 1973 schließlich gebaut wurde, hatte nur noch entfernt mit der Frische des ursprünglichen Entwurfs zu tun. Das Wabenmotiv fand sich noch in einem rot gefärbten Betonpflasterstein als Grundelement und in der Form der Straßenmöblierung wider. (7) Insgesamt wirkte Bremens neue Fußgängerstraße aber eher bieder und auf alle Fälle „übermöbliert“, d.h. mit zu vielen Objekten zugestellt. (8) Erst nach ihrer Neugestaltung im Jahr 2002 ist der Straßenraum wieder luftiger geworden.
von Prof. Dr. Eberhard Syring
Bremer Wettbewerb (und was daraus wurde)
Immer wieder faszinieren Wettbewerbe für Gebäude oder Stadträume nicht nur die Fachwelt, sondern auch eine breite Öffentlichkeit. Und nicht selten lösten sie erhebliche Diskussionen aus – wie etwa der Wettbewerb für das Haus der Bürgerschaft. Bremen History stellt in lockerer Folge einige der interessantesten Bremer Wettbewerbe vor und zeigt auf, was daraus wurde (oft etwas ganz anderes, als ursprünglich geplant, und manchmal auch gar nichts), und erläutert wie es dazu kam.