Seit über 50 Jahren verschollen: das Kapff-Denkmal. Die Inschrift auf der Vorderseite des Sockels lautete: Das Leben ist der Güter Höchstes nicht. Auf der Rückseite stand: Ihrem Lieblinge errichtet die Freundschaft dieses Denkmal.
Quelle: Kunst im öffentlichen Raum/Senat Bremen

Zum 200. Jahrestag der Schlacht von Waterloo: Hermann von Kapff als einziger Bremer unter den Toten / Denkmal verschollen

Hermann von Kapff war erst 21 Jahre alt, als eine feindliche Kugel sein Leben beendete. Zwei Tage vor der Schlacht von Waterloo war das, bei einem blutigen Gemetzel zwischen französischen und preußischen Truppen am Abend des 16. Juni 1815 nahe Ligny. Was leicht übersehen wird: Als „Büchsen-Jäger“ war der designierte Erbe der bekannten Bremer Weinhandelsfirma selbst ein Scharfschütze. Das ihm zu Ehren errichtete Denkmal ist seit über 50 Jahren verschollen.

Die tödliche Kugel traf Hermann von Kapff, als er sich gerade über einen Verwundeten beugte. Er sei „blutend auf den Blutenden“ gesunken, heißt es im zeittypischen Pathos in einer Erinnerungsschrift von 1816. Lange leiden musste der 21-jährige Sprössling aus der bekannten Bremer Weinhändlerfamilie nicht: „Schnell und leicht war sein Tod“, lautet die tröstliche Botschaft der Erinnerungsschrift.

Eine 23-seitige Erinnerungsschrift begleitete die Errichtung eines Denkmals für Hermann von Kapff. Auf dem Titelbild zu sehen: der ursprüngliche Standort in Rockwinkel.
Quelle: Googlebooks

Das kurze Leben des jungen Kapff endete vor 200 Jahren am 16. Juni 1815 in der Schlacht von Ligny, einem verlustreichen Vorgeplänkel zwischen preußischen und französischen Truppen zwei Tage vor der berühmten Schlacht von Waterloo. Mit diesem sprichwörtlich gewordenen Debakel war das 100-Tage-Comeback Napoleons endgültig gescheitert, fürs erste herrschte Ruhe in Europa.

Doch 48 Stunden zuvor bei Ligny sah die Sache noch anders aus, die preußischen Truppen als Teil der internationalen Allianz gegen Frankreich mussten das Feld räumen, am Abend drohte der geregelte Rückzug sogar in wilder Flucht zu münden. Berühmt geworden ist der Sturz des Generalfeldmarschalls Gebhard von Blücher vom Pferd. Beinahe wäre er in die Hände der Franzosen gefallen, eine ganze Weile galt er als vermisst. In diesen Stunden, als französische Einheiten dem weichenden Feind nachsetzten, besiegelte sich das Schicksal des designierten Firmenerben.

Ein kunstsinniger Jüngling

Hermann von Kapff ist der einzige Bremer, der beim Kampf gegen den zurückgekehrten Napoleon im Sommer 1815 ums Leben kam. Das geht aus der Erinnerungsschrift hervor, mit der seine Freunde die Errichtung eines Denkmals zu seinen Ehren begleiteten. Freilich wirkt die gestelzte Wortwahl heute mitunter unfreiwillig komisch: Nur einen einzigen Kämpfer aus der Weserstadt habe sich „der Würgeengel ausersehen auf dem eisernen Felde“.

Ein wilder Draufgänger war Hermann von Kapff sicher nicht. Folgt man der Erinnerungsschrift, war der am 1. Mai 1794 in Bremen geborene Kaufmannssohn ein kunstsinniger Jüngling mit besonderer Vorliebe für die Musik. Die Schilderung seines Charakters zeigt schon fast Züge einer romantischen Idealgestalt: Alles Unschöne sei ihm gehasst gewesen, ein „glühender Enthusiasmus für Wahrheit und Recht“ habe ihn beseelt. Seine Freunde attestieren ihm charismatische Züge, er sei allmählich zum Mittelpunkt eines Kreises von Auserwählten geworden.

Die Schlacht von Ligny war ein beliebter Gegenstand heroisierender Darstellungen. Berühmt geworden: der einsame Kampf des Leutnants von Schmeling bei Ligny.
Quelle: Bildersaal der deutschen Geschichte

Als ältester Sohn war Hermann von Kapff prädestinierter Firmenerbe. Doch anscheinend waren seine Eltern so liberal, ihm die Nachfolge nicht aufzuzwingen. „Aus freier Wahl widmete er sich dem Handelsstande“, betonen seine Freunde.

Laut Erinnerungsschrift wäre Hermann von Kapff am liebsten schon bei Ausbruch der anti-napoleonischen „Befreiungskriege“ 1813 zu den Fahnen geeilt. Doch daraus wurde nichts, „heiligere Pflichten“ hätten ihn abgehalten. Vielleicht blieb er aus Rücksicht auf die Familie, man weiß es nicht. Wohl aber, dass ihm das anhaltende Zivilleben einiges abverlangte – nach Auskunft seiner Freunde erfüllte ihn der Verzicht mit „herbem Verdruss“. Als Napoleon dann plötzlich seinen Verbannungsort verließ und abermals zur Macht gelangte, gab es für den jungen Mann kein Halten mehr. Als Kriegsfreiwilliger schloss er sich mit Einwilligung seiner Eltern einen Tag vor seinem Geburtstag am 30. April 1815 der Hanseatischen Legion an.

Auszug aus dem Stammblatt der Familie von Kapff: Hermann von Kapff als ältestes Kind ganz oben, darunter seine Geschwister.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Kein Freikorps-Kämpfer

Anders als gelegentlich behauptet gehörte von Kapff niemals dem legendären Lützowschen Freikorps an. Vielmehr wurde er als einer von 150 Freiwilligen aus Bremen einem preußischen Linienregiment zugewiesen, das aus dem Freikorps hervorgegangen war. Berühmte „Lützower“ waren die Dichter Theodor Körner und Joseph von Eichendorff sowie „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn. Der Gründer des Freikorps, Freiherr von Lützow, geriet bei der Schlacht von Ligny verwundet in französische Gefangenschaft.

Auf eigenen Wunsch wurden die Bremer Freiwilligen als „Büchsen-Jäger“ aufgenommen. Als solche waren sie nichts anderes als Scharfschützen. In Reih und Glied eine Salve abzufeuern – das war eigentlich nicht ihr Geschäft. Die Jäger-Einheiten waren dazu bestimmt, weitgehend selbstständig zu operieren, ihre Ziele suchten sie nach eigenem Gutdünken aus. Doch agierten die Bremer „Büchsen-Jäger“ auch wirklich so wie „Büchsen-Jäger“? Am Todestag des jungen Kapff jedenfalls nicht, denn am 16. Juni 1815 stand er zusammen mit seinen Mitstreitern auf dem rechten Flügel des preußischen Heeres „in der Linie der Schützen“. Das geht aus einem zeitgenössischen Bericht von 1817 hervor. Und auch, wo die Kugel ihn traf: Ein Kopfschuss beendete sein Leben.

Tief gefallen: Das Pferd des Generalfeldmarschalls Gebhard von Blücher wurde im Kampf getötet, er selbst wäre beinahe in Gefangenschaft geraten.
Quelle: Bildersaal der deutschen Geschichte

Nach der Schlacht wurde der Leichnam Hermann von Kapffs gesucht, aber nicht gefunden. Vermutlich ist er in einem Massengrab beigesetzt worden. Wenn schon keine Überführung und kein eigenes Grabmal, dann wenigstens eine würdige Erinnerungsstätte: Das war der Grundgedanke seiner Freunde, die ihm zu Ehren ein relativ aufwändiges Denkmal errichten ließen, ein Eisernes Kreuz auf einem Sandsteinsockel im gotischen Stil.

Das überhaupt erste Gefallenendenkmal im Bremer Raum fand seinen Platz in Rockwinkel, damals noch ein kleines Bauerndorf vor den Toren der Stadt. Und zwar auf dem Grundstück des heutigen Klatte-Hofs an der Rockwinkeler Heerstraße 123. Natürlich nicht zufällig, sondern weil von Kapff eine persönliche Beziehung zu dem idyllisch gelegenen Flecken Erde gehabt hatte. Laut Erinnerungsschrift pflegte sich dort ein romantisch gesinnter Freundeskreis zu treffen, in ländlicher Umgebung stimmte man patriotische Lieder an.

Den „Herrmannstag“ nicht mehr erlebt

Den Entwurf für das Denkmal lieferte der damals 28-jährige Jacob Ephraim Polzin, nachmals ein bekannter Bremer Architekt des Klassizismus. Aufgestellt wurde das Denkmal auf einer kleinen Insel, rundherum plätscherte ein Bachlauf, ein paar mächtige Eichen spendeten Schatten.

Allein die Eiche als vielbeschworener „deutscher Baum“ war schon ein starkes nationales Symbol. Damit nicht genug, sollte die Gedenkstätte aber noch zusätzlich den Namen „Herrmannsstein“ tragen. An sich klingt das nach nichts Besonderem: der Vorname Kapffs als Bezeichnung für das Denkmal – nichts natürlicher als das.

Doch tatsächlich war der Name „Hermann“ in den Jahren der „Befreiungskriege“ extrem nationalistisch aufgeladen. In Erinnerung an Hermann den Cherusker als vermeintlichen Vorkämpfer gegen „fremdländische Unterdrückung“ wurde der Name fast wie ein Codewort für nationale Botschaften gebraucht. Ein Phänomen, das auch in der Erinnerungsschrift an Kapff deutliche Spuren hinterlassen hat: Der Kampf gegen Napoleon ist „die Herrmannsschlacht zu Deutschlands Rettung“, sie ergriff das „Herrmannsherz“ des jungen Kapff, dem es aber leider nicht mehr vergönnt war, den „Herrmannstag“ des endgültigen Sieges noch zu erleben.

In einem zeitgenössischen Werk zur Bremer Beteiligung an den „Befreiungskriegen“ taucht Hermann von Kapff als „Jäger zu Fuß“ auf.
Quelle: Googlebooks/Geschichte der freiwilligen Bewaffnung der freien Hansestadt in dem deutschen Freiheitskriege, 1817

Freilich konnte sich die Bezeichnung als „Herrmannsstein“ nicht durchsetzen, bis zuletzt war zumeist vom „Kapff-Stein“ oder „Kapff-Denkmal“ die Rede.

Streit um das Denkmal

Der einmal gewählte Standort sollte indes nicht von Dauer sein. Rund 40 Jahre später kam es zum Streit um das Denkmal, weil der Hoferbe es auf seinem Grund und Boden nicht mehr dulden wollte. Um Schlimmeres zu verhüten, ließ die Familie von Kapff das Denkmal abtragen und in Abstimmung mit der Friedhofsverwaltung auf eigene Kosten im Mai 1860 in der Südostecke des Vorplatzes des Herdentorsfriedhofs wieder aufstellen. Das Denkmal befand sich erneut unter hohen Bäumen an der Straße An der Viehweide (heute: An der Weide), ungefähr in der Mitte der Längsseite des Postamt 5-Gebäudes.

Doch als wirklich gute Wahl erwies sich der neue Standort nicht. Obgleich zur besseren Erreichbarkeit 1864/65 eine seitliche Öffnung geschaffen wurde, kam das Denkmal kaum zur Geltung. Da half es auch nichts, am Todestag des gefallenen Kämpfers einen frischen Kranz zu spendieren – das Denkmal fristete im wahrsten Wortsinne ein Schattendasein. Es sei „ziemlich versteckt“ gewesen, schreibt der Historiker Harry Schwarzwälder.

Die Folge: Kaum verlegt, zerbrach man sich schon wieder den Kopf über einen alternativen Standort. Bereits 1868 brachte Bürgerpark-Direktor Wilhelm Benque einen Platz am Hollersee ins Gespräch, wenige Jahre später wurden noch andere Optionen im Bürgerpark diskutiert. Eine zusätzliche Brisanz bekam die Standortdiskussion durch die Tatsache, dass der 1812 angelegte Herdentorsfriedhof schon damals keine Zukunft mehr hatte. Weil er der Erweiterung der Stadt im Wege stand, wurde der Gottesacker mit Eröffnung des Riensberger und Waller Friedhofs 1875 geschlossen und stückchenweise neu genutzt.

Karte des Vorplatzes des Herdentorfriedhofs mit dem Standort des Kapff-Denkmals (rot markiert). Links durchschneidet die Bahnlinie das Friedhofsareal, rechts verläuft die Straße An der Weide. Heute befindet sich auf diesem Terrain das Postamt 5.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Das Denkmal wurde 1923 erneut verlegt

Für das Kapff-Denkmal blieb das zunächst ohne Folgen. Gleichwohl war absehbar, dass es früher oder später würde weichen müssen, weshalb die Stadt sich bereits 1871 verpflichtete, im Falle des Falles für einen geeigneten Ersatzstandort zu sorgen.

Dieser Ernstfall trat 1923 mit dem projizierten Bau des Postamts 5 ein. Die elegante Lösung: Das Denkmal wurde in den rückwärtigen Teil des früheren Friedhofgeländes verlegt. Und zwar an eine Stelle nahe der Gustav-Deetjen-Allee, wo es bereits eine Erinnerungsstätte für im Lazarett gestorbene deutsche Soldaten aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 gab.

An diesem Standort blieb das Denkmal vier Jahrzehnte. Bis es in den frühen 1960er Jahren spurlos verschwand. In den städtischen Akten hat sich kein Hinweis erhalten, das Denkmal oder Teile davon befinden sich weder in Gewahrsam des Focke-Museums noch in einem städtischen Depot.

Muss es deshalb ein- für allemal als verloren gelten? Vermutlich ja. Der einzige Hoffnungsschimmer ist, dass das Denkmal in Privatbesitz übergegangen sein könnte – so wie sich Fragmente des Lloyd-Gebäudes im Schnoor und in Gröpelingen erhalten haben.

von Frank Hethey

Zur Suche nach dem verschollenen Kapff-Denkmal siehe auch den Artikel von Frank Hethey im Weser-Kurier, erschienen am 15. Juni 2015

Das heute verschollene Kapff-Denkmal stand zunächst in Rockwinkel und von 1860 bis 1923 auf dem Vorplatz des Herdentorsfriedhofs, hier rot markiert auf einem Stadtplan von 1881.
Quelle: Peter Strotmann

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
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50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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