Vor 70 Jahren beging NS-Kreisleiter Max Schümann Selbstmord / Der Arbeitersohn aus Kiel machte Karriere als Parteisoldat
Als fanatischer Durchhaltepolitiker ist NS-Kreisleiter Max Schümann gegen Kriegsende zu zweifelhaftem Ruhm gelangt. Doch wer war dieser Mann – was machte ihn zum glühenden Hitler-Verehrer? Ein Blick auf Kindheit und Jugend könnte erklären, was ihn bereits mit 18 Jahren in die Arme der Partei trieb. Und warum er sich das Leben nahm, als das „Dritte Reich“ der Vergangenheit angehörte.
Gauleiter Paul Wegener hatte lange nach Wegen gesucht, den unliebsamen Kreisleiter Blanke loszuwerden. Durch sein eigenmächtiges und schroffes Auftreten hatte der 57-jährige Blanke den Bremer Senat sowie Polizeipräsident Johannes Schroers mehr als einmal verärgert. „Gleichermaßen wurde er von Freund und Feind als beschränkt und aufgeblasen charakterisiert“, lässt es sich über ihn bei Schwarzwälder lesen. Eine passende Gelegenheit für einen geräuschlosen Amtswechsel ergab sich, als durch den Tod des Gauobmanns des NSKOV (NS-Kriegsopferversorgung), Aloys Kröger, für Blanke eine adäquate Stelle frei wurde.
Mit Blankes Fortgang bestieg dann ein Mann die Bühne der Bremer Politik, der bislang im ostfriesischen Raum aktiv gewesen war – der 33-jährige Kieler Max Fritz Otto Schümann.
Durch seine engagierte Arbeit hatte Schümann die Aufmerksamkeit Wegeners auf sich gezogen. Zudem waren beide in etwa gleich alt und zeigten auch sonst so manche Übereinstimmung in ihrem Wesen. Von ihrer Herkunft her hätten die Unterschiede allerdings nicht deutlicher sein können. Denn anders als der privilegierte Arztsohn Wegener wuchs der am 26. Dezember 1909 in Kiel geborene Schüman in eher einfachen Verhältnissen auf.
Seine Eltern, Gustav Klaus Friedrich und Maria Katharina Schümann, geborene Mohr, zählten zur Arbeiterschicht. Doch bestimmte ein kräftiger Aufstiegswille das Wesen der Familie. Und so verließ denn auch bald die junge Familie die Stadt an der Förde und zog nach Wilhelmshaven, da Gustav Schümann dort als Deckoffizier einen neuen Posten gefunden hatte.
Ein Halbwaise mit neun Jahren
Im Frühjahr 1919, der Erste Weltkrieg war gerade vorbei, starb Schümanns Mutter. Ist dieser Schicksalsschlag für einen jungen Menschen allein schon furchtbar, so verschlimmerte sich Schümanns Los zusätzlich, indem er von seinem Vater, der sich außer Stande sah, sich um seinen Sohn zu kümmern, für zwei Jahre zu seinem Onkel nach Oldenburg geschickt wurde.
Im Anschluss an seine Schulzeit begann Schümann bei der eisenverarbeitenden Firma „Hayen“ in Wilhelmshaven eine Schlosserlehre. Diese beendete er im April 1928 mit solch guten Ergebnissen, dass er von der Stadt Wilhelmshaven mit der silbernen Medaille ausgezeichnet wurde.
Eigentlich hatte er den Wunsch gehabt, im Anschluss an seine Ausbildung ein Ingenieursstudium aufzunehmen, der Tod seiner Stiefmutter ließ diesen aber zerplatzen. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau hatte Schümanns Vater ein kleineres Geschäft geführt. Nunmehr auf sich allein gestellt, sah er sich gezwungen, dieses zu verkaufen, wodurch er aber auch nicht mehr in der Lage war, seinen Sohn finanziell zu unterstützen. Ab 1928 begann Schümann daher bei der Reichsbahn zu arbeiten.
Ab 1928 Mitglied der NSDAP
Was mag es in einem jungen Menschen hervorrufen, der immer wieder das Gefühl erhält, seine in ihm bestehenden Möglichkeiten nicht zur Entfaltung bringen zu können? So mancher wird resignieren, andere suchen aber in ihrer Wut nicht selten nach Alternativen. Für Schümann galt unzweifelhaft das Letztere.
Bereits mit 17 Jahren war er der SA in Wilhelmshaven beigetreten, zu deren Mitbegründern er auch zählte und am 1. Januar 1928 wurde er unter der Nummer 74.339 Mitglied der NSDAP.
Sein Ehrgeiz, der im Berufsleben keine Chance erhalten hatte, fand in der Parteiarbeit ausreichend Möglichkeiten zu Entfaltung. 1930 wurde er Bezirkspropagandaleiter in Weener, 1933 Beauftragter der NSBO (National-sozialistische Betriebszellenorganisation), später Kreisobmann der DAF und am 19. Juli 1933 übernahm er für knapp ein Jahr auf Initiative der Partei kommissarisch die Leitung der AOK in Weener.
Nachdem er sich auch in dieser Funktion wieder als äußerst tüchtig erwiesen hatte und sein Fortgang mit lobenden Worten bedacht wurde, muss in ihm der Wunsch herangereift sein, sich ganz auf die Parteiarbeit zu konzentrieren. Am 1. April 1934 gab er daher seine Anstellung bei der Reichsbahn auf. Für das folgende Jahr war er nun hauptamtlich Kreisobmann bei der DAF in Leer, bis ihm schließlich Gauleiter Röver am 1. Mai 1935 das Amt des Kreisleiters in Leer übertrug.
Klassischer Vertreter der Führungselite
Leer entwickelte sich aber auch aus privater Sicht zum Mittelpunkt seines Lebens. Lernte er doch dort seine spätere Frau, Elskea Katharina Heikamp, kennen, mit der er am 14. April 1934 den Bund fürs Leben einging. Im Laufe der folgenden Jahre gingen aus der gemeinsamen Bindung vier Kinder hervor.
Von seinem biographischen Hintergrund her ist Schümann ein klassischer Vertreter der nationalsozialistischen Führungselite. Ganz überwiegend waren diese jung und durch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs geprägt. Dabei war eine direkte Teilnahme als Soldat nicht einmal entscheidend. Häufig waren gerade jene, die keine Kriegserfahrungen gesammelt hatten, in ihrem Denken weitaus radikaler, da sie durch Erzählungen im Elternhaus oder der Schule nationalistisch indoktriniert wurden und sie zugleich das Gesagte nicht durch eigene Kriegserfahrungen abgleichen bzw. relativieren konnten. Mangelnde berufliche Perspektiven in der Weimarer Republik radikalisierten sie dann zusätzlich in ihrem Denken.
Nach Ausbruch des Krieges nahm Schümann ab 1941 auch verschiedene Aufgaben in den eroberten Gebieten Westeuropas wahr. So in den Niederlanden, Belgien und im Norden Frankreichs. Als Kompanieführer in einem Infanterie-Regiment wurde er 1942 bei einem Angriff auf die Hafenfestung Sewastopol schwer verwundet, so dass er aus dem militärischen Dienst ausscheiden musste.
Ab Juli 1943 Kreisleiter in Bremen
Am 1. Juli 1943 trat Schümann in Bremen sein neues Amt als Kreisleiter an. Da er bislang aber nur in kleinen Gemeinden tätig war, war er mit den Aufgaben, die eine Großstadt stellte, noch dazu in Kriegszeiten, deutlich überfordert. Seine ambivalenten Charakterzüge erschwerten die Situation zusätzlich. Laut Auskunft seiner Mitmenschen war Schümann ein überzeugter Nationalsozialist, der durchaus andere Ansichten zulassen konnte. Allerdings nur bis zu einer gewissen Grenze. Wurde dieser überschritten, schreckte er auch nicht vor Drohungen zurück. Unweigerlich musste er daher mit den politischen Spitzen der Stadt, zu nennen sei dabei in erster Linie Bürgermeister Dr. Duckwitz, aneinandergeraten.
Und so groß sein Engagement letztlich auch war, mit dem herannahenden Zusammenbruch ging sein Einfluss doch erheblich zurück, da das Militär nun die wesentlichen Entscheidungen traf.
„Vom Kreisleiter Max Schümann heißt es, dass er täglich von morgens um 8 Uhr bis tief in die Nacht tätig war. Er führte Besprechungen mit Behörden, Betriebsführern, Ortsgruppenleitern, Dienststellen der Wehrmacht, der Gauleitung usw. Täglich wurde eine Unzahl von Fragen auch persönlich an ihn herangetragen“, heißt es hierzu bei Schwarzwälder.
Mit radikalen Ansprachen an die Bremer Bevölkerung glaubte er, wie so viele Vertreter des Systems, die drohende Niederlage abwenden zu können. Anlässlich des „Tags der Machtergreifung“ verkündete er am 28. Januar 1945 den versammelten Volkssturmmännern: „Deutschland ist das einzige und letzte Bollwerk gegen den Kommunismus. Deshalb ist es auch einerlei, wo nun die letzte Schlacht geschlagen wird, aber sie muss uns gehören! In der ernsten Stunde unseres Volkes reichen wir uns sinnbildlich die Hand in dem Gelöbnis, bereitzustehen, wie wir es in Stunden der Gefahr allzeit getan haben. Der Sieg ist nicht nur in unseren Herzen, sondern wir werden auch beweisen, daß aus unserem Wollen die Tat wird.“
Zuletzt im Bunker an er Parkallee
Und am 4. April gab er den Bremern in einer Rundfunkansprache unmissverständlich zu verstehen: „Wer die weiße Fahne zeigt, hat den Tod zu erwarten.“
Zuletzt befand sich Schümanns Büro im 2. Stock des Bunkers B 32 an der Parkallee gegenüber der Bulthauptstraße. Ebenso wie Gauleiter Wegener zählte Schümann in der Schlussphase, trotz aller öffentlichen Äußerungen, wohl nicht zu den Fanatikern, die für einen Kampf bis in den Untergang eintraten. Aus Furcht vor falschen Schritten verharrte er jedoch in Passivität und ließ die Dinge geschehen.
Als Bremen unmittelbar davor stand, von den alliierten Truppen eingenommen zu werden, setzte er sich am Nachmittag des 26. Aprils 1945 ab. Um seine Flucht zu verschleiern, erklärte er, dass er in Kürze wieder zurück sei, woran er aber nicht im Geringsten dachte. Zunächst floh er nach Bremen-Nord, ging dann aber nach Weener, wo er als Landarbeiter untertauchte.
Mit der Niederlage Hitlerdeutschlands und dem damit verbundenen Zusammenbruch der nationalsozialistischen Werte und Ideale verlor Schümann, der einen Großteil seines Lebens dieser Ideologie geopfert hatte, ganz offensichtlich den Lebenssinn.
Vor 70 Jahren, am 26. Juni 1945, entzog er sich darum durch Selbstmord im Julianenpark in Loga / Leer der Verantwortung.
von Sönke Ehmen