Zweiter Stolpersteine-Band befasst sich mit der Spurensuche in Bremen-Mitte
Gunter Demnig und sein Projekt „Stolpersteine“ sind mittlerweile ein weit bekanntes Programm gegen das Vergessen. Es handelt sich um kleine Mahnmale, inzwischen über 56.000 europaweit, die eingelassen in Gehwege, an diejenigen erinnern sollen, die in der NS-Zeit verfolgt, deportiert und ermordert worden sind.
In Bremen wurden im August 2004 die ersten Stolpersteine von Gunter Demnig verlegt. Heute sind es 652 kleine Denkmäler über die wir in Bremen „stolpern“ und die uns erinnern an das, was nicht vergessen werden darf.
Dazu sind im Bremer Sujet-Verlag bislang drei Bücher erschienen: 2013 ein erster Band zu Bremen-Nord (Burglesum, Vegesack, Blumenthal, Ritterhude), 2015 ein weiterer zu Bremen-Mitte (Altstadt und Bahnhofsvorstadt) und erst in diesem Jahr ein dritter zu Ostertor und Östlicher Vorstadt.
Diese Bücher der Landeszentrale für politische Bildung Bremen, erschienen jeweils unter dem Titel „Stolpersteine in Bremen – Biografische Spurensuche“, machen es sich zur Aufgabe, über die Steine hinaus zu informieren. Sie gehen den Fragen nach: Was war das für ein Mensch, der hier gelebt hat? Warum wurde er aus seinem Leben und seiner Wohnung gerissen und was geschah mit ihm? Denn auf den Steinen selbst ist nur Platz für einen Namen, ein Geburtsdatum und ein (sofern bekannt) Sterbedatum.
Die vorliegende Rezension befasst sich mit dem zweiten Band über Bremen-Mitte. Umfassend und aufwendig recherchierte Biografien zeigen, wie das Leben dieser Menschen ausgesehen hat, bevor die NS-Herrschaft ihren schrecklichen Höhepunkt erreicht hat.
Ein Überblick
Auf den ersten 70 Seiten wird dem interessierten Leser das Projekt Stolpersteine näher gebracht und Fragen beantwortet wie: Wer ist der Künstler und ist das Kunst, was uns die Steine sagen und zeigen wollen? Was bedeutet die Arbeit damit? Wie werden die Biografien recherchiert und wie beginnt man mit solch einer großen Aufgabe, wo doch zunächst nur ein Name vorhanden ist.
Der nächste Teil des Buches lautet „Geschichte und ihre Spuren“. Neben der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bremen (Peter Maier-Hüsing) erhält der Leser einen Überblick zu judenfeindlichen Aktionen in Bremen während der Weimarer Republik (Dieter Fricke), zur nationalsozialistischen Machtübernahme in Bremen (Barbara Johr) sowie zur Arisierung des jüdischen Grundbesitzes in Bremen (Hanno Balz).
Dieser zweite Teil des Buches endet mit einem Artikel von Peter Christoffersen zu den jüdischen Geschäften, Ärzten und Rechtsanwälten in Bremen-Mitte und einer Übersicht, welche Orte in Bremen auch heute noch die Spuren der Opfer und Täter tragen. Barbara Ebeling informiert darüber, wo wir sie finden können und was sie bedeuten.
Der Fokus der Arbeit liegt natürlich auf dem dritten Teil des Buches, den einzelnen Biografien. Mithilfe eines engagierten, ehrenamtlich arbeitenden Team sind diese entstanden, die auf über 120 Seiten vorgestellt werden. Ein besonderes Detail bildet hier der beigefügte Stadtplan, mit dem sich ein Bild zur letzten frei gewählten Wohnstätte der jeweiligen Person machen lässt.
Vom Namen zur Biografie – die Schwierigkeit des Recherchierens
Im Vordergrund der Arbeit stehen die einzelnen Biografien und das Bemühen, den Opfern zu gedenken und ihnen mehr Beachtung zu geben als die paar Zeichen, die auf einen Stolperstein passen. Sie laden ein, sich in diese Leben einzulesen und sogar anhand des Stadtplans ein Stück Lebensweg nachzuzeichnen. Für Angehörige, interessierte Bremer oder diejenigen, die solch einen Stein vor ihrer Tür liegen haben, eine tolle Möglichkeit, mehr über diejenigen zu erfahren, die in Geschichtsbüchern häufig nur in inmitten großer Opferzahlen Beachtung finden.
Die einleitenden Artikel im ersten und zweiten Teil „Projekt Stolpersteine“ sowie „Geschichte und ihre Spuren“ tauchen passend in das Thema ein und bereiten detailliert darauf vor, was den Leser in den folgenden Kapiteln erwartet.
Ganz besonders der Artikel von Peter Christoffersen „Biografische Spurensuche“ ist hier hervorzuheben. Am konkreten Beispiel des Juden Herbert Sprei wird verdeutlicht, was das Projekt Stolpersteine und seine ehrenamtlichen Redakteure für das Projekt leisten. Der beschriebene Aufwand, von einem Namen zu seiner Geschichte zu kommen, liest sich flüssig und verständlich. Schnell wird klar, wo die Probleme bei dieser Arbeit liegen und welche Möglichkeiten sich bieten, der Aufgabe gerecht zu werden. Auf der einen Seite hilft dieser Artikel, das Recherchieren nachzuvollziehen und auf der anderen Seite macht er Mut, sich selbst an so ein Projekt zu wagen und gibt hilfreiche Tipps für die ersten Schritte.
Ebenfalls sehr positiv sind für mich neben dem Stadtplan der ausführlich gearbeitete Anhang, der neben Literatur- und Abbildungsnachweisen eine Zeitleiste von 1933 bis 1945 und ein Glossar enthält, in dem man Erläuterungen der einzelnen Ghettos und Konzentrationslager findet und auch nachlesen kann, was in der Pogromnacht in Bremen geschah und was das Euthanasie-Programm beinhaltet hat.
Damit können aufkommende Fragen direkt beantwortet werden und der nicht aus dem Fach kommende Leser stolpert nicht über unbekannte oder halb bekannte Begriffe in den Biografien. Ebenso sinnvoll wie interessant sind auch die anderen Beiträge zur Bremer Geschichte, dem Nationalsozialismus in Bremen oder auch die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bremen. Sie bereiten hervorragend auf die einzelnen Biografien und den möglichen Stadtrundgang vor und bieten unaufdringlich die Möglichkeit, sich in das Fachwissen einzulesen.
Weniger ist mehr
Insgesamt sind es mir aber persönlich zu viele einleitende Beiträge. Im Zentrum der Arbeit stehen die verlegten Stolpersteine in Bremen-Mitte und die dazugehörigen Lebenswege. Es wirkt etwas überladen, wenn hier neun Beiträge einleiten sollen. Neben den für mich sinnvollen und schlüssigen Artikeln wie „Biografische Spurensuche“ von Peter Christoffersen wirken einige auf mich fast deplatziert.
Der Aufsatz „Judenfeindlichkeit in Bremen“ von Dieter Fricke zum Beispiel beinhaltet im Original 15 Seiten. Hier werden drei Seiten abgedruckt. Drei Seiten zum Thema Judenfeindlichkeit in Bremen? In Anbetracht der über 120 Seiten Biografien, die folgen, wirkt es irgendwie verharmlosend. Zudem endet der Beitrag mit dem Jahr 1929. Ich hätte mir an dieser Stelle einen deutlich umfänglicheren Aufsatz gewünscht, der zumindest im Ansatz die Judenfeindlichkeit in Bremen darstellen kann und das auch über die Weimarer Zeit hinaus. So fehlt mir zeitlich die Verbindung.
Ebenso der Beitrag von Kim Böse „Das Projekt Stolpersteine und die Soziale Plastik“ . Das Projekt Stolpersteine galt für mich bisher als Projekt für das Aufrechterhalten der Erinnerung, Pflastersteine, die uns im Alltag immer wieder sagen sollen, was passiert ist. Unaufdringlich und doch da. Das Projekt als Kunst zu verstehen war für mich so gesehen neu. Wenn ich mich auf den Gedanken einlassen soll, hätte ich mir mehr als zwei Seiten gewünscht, um mich damit auseinander setzen zu können. Einige dieser Themen könnten für sich allein schon mehrere 100 Seiten füllen und werden hier stark verkürzt dazu genutzt, dem Leser einen Überblick zu geben.
Dieses funktioniert mal mehr, mal weniger gut. Das vorliegende Buch kann es sich nicht zur Aufgabe machen, alles umfassend zu erläutern, dafür sind die Themen zu weitläufig. Das jedoch, was es leisten will, nämlich die Stolpersteine in Bremen-Mitte und die dazugehörigen Biografien darstellen, ist mehr als gelungen. Es lädt ein, sich mit der Bremer Geschichte und ihren damaligen Mitbürgern zu beschäftigen und macht Lust auf die nächsten erscheinenden Bände der anderen Stadtteile.
von Anna Häfermann