200 Jahre Bremer Stadtmusikanten
Das schönste Märchen über die Freundschaft
1819 haben die Brüder Grimm die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten veröffentlicht. Unser Magazin zu diesem Geburtstag ist voller Geschichten rund um die berühmten Aussteiger – etwa eine Reportage über das Grimm-Museum in Kassel, über die Bedeutung des Märchens in Japan und vieles anderes mehr.
Vor 50 Jahren
Mit einem eindringlichen Appell, an der zuletzt im Bürgerschaftswahlkampf 1971 geübten Solidarität festzuhalten und sich nicht von der CDU wegen angeblicher „prinzipieller Gegnerschaft zwischen Jung und Alt auseinandertreiben“ zu lassen, führte sich gestern der 33jährige Jungsozialist Dr. Henning Scherf vor über 100 Delegierten des Landesparteitages als neuer SPD-Landesvorsitzender ein. (WESER-KURIER, 13. März 1972)
Hintergrund
Der junge Staatsanwalt war ein echter Senkrechtstarter: Erst im Oktober 1971 war der noch ziemlich unbekannte Jungsozialist Henning Scherf in die Bürgerschaft eingezogen, kein halbes Jahr später wurde er an die Spitze des SPD-Landesverbands Bremen gewählt. Sein Biograf Volker Mauersberger findet das „überraschend“. Doch das trifft es nicht so ganz – immerhin war Scherf der einzige Kandidat. Überraschend war eigentlich etwas anderes: nämlich der Rückzieher von Bürgermeister Hans Koschnick eine Woche zuvor.
Nach dem überwältigenden Wahlsieg der SPD wollte Koschnick die Ämter des Regierungschefs und Parteivorsitzenden in seiner Person vereinigen. Zehn Jahre lang hatte Bildungssenator Moritz Thape die Partei geführt, nach dessen Verzicht warf Koschnick im Januar 1972 seinen Hut in den Ring. Seine Wahl galt als abgemachte Sache. Daran hätte auch das Votum des SPD-Unterbezirks Bremen am 5. März 1972, die Ämter des Landesvorsitzenden und Bürgermeisters möglichst zu trennen, nicht unbedingt etwas ändern müssen.
Wollte keine Revolutionäre in Staatsdiensten: Bürgermeister Hans Koschnick (SPD).
Foto: Jochen Stoss
Aber Koschnick erklärte, er wolle den Beschluss seines eigenen Unterbezirks nicht ignorieren. Mauersberger sieht darin einen geschickten Schachzug, um den Parteinachwuchs in die Führungsarbeit einzubinden. Statt Koschnick traten denn auch zwei Vertreter der jüngeren Generation gegeneinander an: Juso-Kandidat Scherf und der damals 36-jährige Bundestagsabgeordnete Claus Grobecker, ein Mann der Gewerkschaften. Die Delegierten waren gespalten. Nur äußerst knapp setzte sich Scherf mit 223 gegen 218 Stimmen durch.
Alles andere als ein rückhaltloser Vertrauensbeweis auch sein Ergebnis beim Landesparteitag eine Woche später. Obwohl ohne Gegenkandidat, erhielt Scherf nur 62 von 102 Stimmen. Bei den Delegierten, die nicht für ihn gestimmt hatten, handelte es sich laut Mauersberger um „schwer einschätzbare, grummelnde Gegner“ vor allem aus dem Bremer Westen und Bremerhaven. Fast scheint es, als habe Scherf nach seiner Wahl ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen. Er sei „immer noch erschrocken“, teilte er Altbürgermeister Wilhelm Kaisen mit und bat Kanzler Willy Brandt um „Hilfe und Rat“.
Der Bremer CDU-Landesvorsitzende Ernst Müller-Hermann sah in seinem neuen Kollegen die „Rache der Jusos“ – und zwar dafür, dass sie bei der Bildung des Senats im Herbst 1971 leer ausgegangen seien. Doch das war stark überzogen, zumal Scherf sich keineswegs dem radikalen Flügel zurechnete. Nicht zu leugnen ist freilich, dass seine Wahl ein Zeichen für den Generationenwechsel in der Bremer SPD war. Bei der Bürgerschaftswahl 1971 waren dank ihres starken Abschneidens 13 Neulinge im Juso-Alter ins Landesparlament gelangt. Nun schickten sie sich an, wichtige Parteiämter zu besetzen.
Wenig begeistert zeigte sich der Bonner Fraktionschef Herbert Wehner über die Personalie. Nach der Nominierung Scherfs grantelte er, die Bremer demontierten ihren eigenen Wahlerfolg. Doch die Vorbehalte waren nicht von Dauer, dreimal wurde Scherf im Amt des Parteichefs bestätigt. Zuletzt im April 1978 allerdings nur noch mit 65 Prozent statt mit 77 Prozent wie zwei Jahre zuvor.
Gemäß den Bestimmungen seiner Partei gab Scherf den Landesvorsitz ab, als er im September 1978 das Finanzressort im Senat übernahm. Sein Nachfolger wurde der 38-jährige Konrad Kunick.