Vor 70 Jahren: Kein erster Preis beim städtebaulichen Ideenwettbewerb für das Börsengrundstück
Mit Architektur- und städtebaulichen Wettbewerben ist das so eine Sache. Mal muss man sich ärgern, dass sich ein Bauherr weigert, ein solches Verfahren durchführen zu lassen. Oder dass er das Ergebnis eines Wettbewerbs nicht anerkennt, weil es ihm nicht zusagt. Mal ist es aber auch andersherum so, dass kein Entwurf die Jury und das Publikum so richtig überzeugen kann. Bekanntestes Bremer Beispiel: der Wettbewerb für das Neue Rathaus 1903. Unter den 105 eingereichten Arbeiten bot sich keine überzeugende Lösung an. Erst ein zweiter beschränkter Wettbewerb 1908, an dem auch Gabriel von Seidl, 1903 noch Juryvorsitzender, teilnahm, und den er gewann, brachte eine solche hervor.
Ähnliches ereignete sich rund 50 Jahre später. Als am frühen Abend des 29. Februar 1952 nach dreitägiger Jurysitzung die Ergebnisse des deutschlandweit ausgeschriebenen städtebaulichen Ideenwettbewerbs für das Börsengrundstück am Markt mit 130 teilnehmenden Büros bekannt gegeben wurde, konnte Bausenator Emil Theil seine Enttäuschung nicht verbergen. Er empfand sich von den Beiträgen „unbefriedigt“ und meinte in Erinnerung an den Rathauswettbewerb: „Wir sollten aus dem Preisgericht jemanden bestimmen. Dann wird daraus etwas Ordentliches.“ Das Preisgericht unter dem Vorsitz des als konservativ geltenden Architekten Paul Bonatz formulierte es in einer Stellungnahme etwas moderater: „Obgleich keine überragenden Arbeiten eingereicht wurden, [wurde] die vom Auslober gestellte Aufgabe, nämlich eine Grundlage für weitere Entscheidungen über die künftige Bebauung zu schaffen, in vollem Umfange erfüllt.“
Die Schwierigkeit, zu überzeugenden baulichen Vorschlägen zu gelangen, resultierte vor allem aus dem historischen Bedeutungsgehalt des zu bearbeitenden Ortes. In unmittelbarer Nachbarschaft der Baudenkmale Rathaus, Schütting und Dom galt es, das richtige Maß, den angemessenen Ausdruck zu finden. Als warnende Beispiele, wie es nicht sein sollte, betrachtete man damals die Monumentalbauten des Historismus, wie die Börse, die 1860 von Heinrich Müller geschaffen, im Krieg zwar stark beschädigt wurde, aber in ihren Umrissen noch vorhanden war. Sie beeinträchtige durch ihre Masse das fein abgestimmte Verhältnis zwischen den älteren Monumenten, sie „brutalisiere“ geradezu den Mittelpunkt des Platzes, empfand Bonatz. Und auch die Baumwollbörse mit ihrem zum Platz gewandten Turm beeinträchtige dieses Gefüge. Den Wettbewerbsteilnehmern wurde empfohlen, den Blick auf den Turm möglichst baulich zu verstellen.
Dass die Bremische Bürgerschaft, die bis 1934 im Großen Bärensaal der Börse getagt hatte, an diesem Ort wieder ihren Platz finden sollte, war damals noch nicht entschieden und somit nicht Thema des Wettbewerbs. Neben dem Börsengrundstück diskutierte man über alternative Standorte wie etwa den Theaterberg in den Wallanlagen oder den Teerhof. So war die Nutzungsfrage ebenso offen wie die Formfrage. „Die Frage, ob eine ‚traditionelle‘ oder eine ‚moderne‘ Gestaltung am Marktplatz angebracht ist, ist in sich falsch gestellt“, formulierte das Preisgericht, denn es handele sich hier um eine maßstäbliche und nicht um eine formale Frage.
Betrachtet man die sieben ausgezeichneten Arbeiten – zwei zweite Preise, drei weitere Ränge und zwei Ankäufe – dann vermisst man allerdings eine wirklich moderne Interpretation der Aufgaben. Das beanstandete auch die Fachzeitschrift Neue Bauwelt und vermutete, dass moderne Architekten, wie der aus Bremen stammende Hans Scharoun, vielleicht aufgrund der eher traditionalistischen Ausrichtung des Preisgerichts auf eine Teilnahme verzichtet hätten. Bemerkenswert war auch, dass es kein Bremer Architekt in die vorderen Ränge geschafft hatte.
Von den beiden zweitplatzierten Entwürfen schlug der Berliner Architekt Kurt Dübbers eine dreiteilige Bauanlage vor, die einen Innenhof umschloss. Der Südflügel sollte die beiden dreigeschossigen zum Rathaus ausgerichteten Flügel um zwei Etagen überragen und damit den Blick auf den Baumwollbörsenturm verdecken. Der Architekt Aladar Rimner aus Salzgitter schlug eine Gebäudegruppe aus vier Häusern vor, die zum Markt hin mit Giebeln abschloss, deren Breite vom Preisgericht aber beanstandet wurde.
Den Entwurf von Dübbers nahm man schließlich zur Grundlage für die weitere bauliche Entwicklung. Und tatsächlich gebaut wurde 1956 der höhere Südflügel als Börsenhof C für die Handelskammer, der Besitzerin des Börsengrundstücks. Allerdings nicht von Dübbers. Den Architekturwettbewerb entschied der Bremer Architekt Bernhard Wessel für sich. Als 1958 der Wettbewerb für das Bürgerschaftsgebäude auf dem Restgrundstück ausgeschrieben wurde, sollte man diese vorgezogene Baumaßnahme bald bereuen, weil sich die verbleibende Fläche für das Bauprogramm des Parlamentsgebäudes als zu klein herausstellte, was die Aufgabe erschwerte.
Zwar war beim Wettbewerb von 1952 kein bremischer Architekt erfolgreich, der mit dem 3. Preis ausgezeichnete Entwurf stammte aber von Gerd Offenberg, einem Mann mit Bremer Vergangenheit. Offenberg war von 1934 bis 1942 Baudirektor in der Hansestadt. Unter den Preisträgern war er der einzige, der einen Saalbau vorgeschlagen hatte, als angedeutete Möglichkeit, hier die Bürgerschaft zu etablieren. Offenberg kannte sich in Bremen bestens aus. In seiner Zeit als Baudirektor war er verantwortlich für die „Große Planung“, eine zutreffende Umschreibung für ein Projekt der „Neugestaltung Bremens“ nach dem Krieg.
Die Hansestadt hatte sich erfolgreich um den Status einer „Aufbaustadt“ bemüht und strebte an, Oldenburg als Gauhauptstadt abzulösen. Nach dem Motto des amerikanischen Städtebauers Daniel Burnham „Mach keine kleinen Pläne, ihnen fehlt der Zauber“, erarbeite Offenberg mit einem Modell und zahlreichen anschaulichen Vogelschauzeichnungen die Vision eines radikalen Stadtumbaus mit einem Gauforum auf dem Stadtwerder, neuen Weserbrücken und, als Verkehrslösung, einem seit den frühen 1930er-Jahren diskutierten „Tangentenviereck“. Auch das Stadtzentrum wurde einer radikalen Umgestaltung unterzogen. Bereits in dieser Planung hatte er den Abriss des Börsengebäudes vorweggenommen und den Bereich um Markt und Domshof völlig neu gestaltet.
Die Große Planung spaltete seinerzeit die Fachöffentlichkeit und die politisch Verantwortlichen. Neben Zustimmung gab es kritische Gegenstimmen: zu gigantisch und „unbremisch“. Eine öffentliche Präsentation in der Kunsthalle wurde in letzter Minute verhindert. Offenberg sah sich zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt und verließ Bremen 1942. Vor allem durch seine 1976 erschienene Autobiografie wurden seine Planungen öffentlich bekannt. Als 1960 der Streit um das Haus der Bürgerschaft entbrannte, nahm Offenberg noch einmal zum Bremer Marktplatz Stellung, als er sich in einem Beitrag in den Bremer Nachrichten für den Entwurf von Gerhard Müller-Menckens einsetzte. Beide waren einst Assistenten am Lehrstuhl von Paul Schmitthenner in Stuttgart gewesen, der neben Bonatz zu den Leitfiguren der konservativen „Stuttgarter Schule“ zählte.