Bremen war einmal ein führendes Zentrum der Elektromobilität

Im „Koalitionsvertrag 2021 – 2025“ der Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen heißt es: „Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität …“ In der Zielsetzung fehlt lediglich das Wort „wieder“, denn ein Leitmarkt für Elektromobilität war unser Land schon einmal – vor gut hundert Jahren, um genau zu sein. Die Freie Hansestadt Bremen gehörte damals zu den führenden deutschen Zentren der Elektromobilitätsentwicklung und des Elektrofahrzeugbaus und in Bremen-Hastedt gingen in den Hansa-Lloyd Werken die Ingenieure von einer großen Zukunft insbesondere der Elektronutzfahrzeuge aus. Nicht zuletzt von Trolley- bzw. O-Bussen. Wie wäre es mit einem Blick zurück?

Frühe Elektromobilität in Bremen: die Parkbahn im Jahre 1911.
Quelle: Archiv

1890 fuhr in Bremen anlässlich der Gewerbe- und Industrieausstellung auf dem Bürgerparkgelände die erste Straßenbahnlinie Europas mit Oberleitungsbetrieb (nach dem amerikanischen Thomson-Houston-System). Da sie sich bewährte, beschloss die damalige Bremer Pferdebahn AG 1891 die Gesamtelektrifizierung ihres Netzes und tauschte im Firmennamen den Begriff Pferdebahn gegen Straßenbahn. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erfolgte die Erweiterung der Bremer Straßenbahn zu einem flächendeckenden Netzbetrieb – zu gleicher Zeit wuchs in der prosperierenden Wesermetropole die Bevölkerungszahl auf knapp 245.000 im Jahre 1910 an.

1906 wurde in Bremen die Norddeutsche Automobil- und Motorenfabrik AG, die NAMAG aktiv. Sie war eine Gründung der Norddeutschen Maschinen- und Armaturenfabrik (Tochtergesellschaft des Norddeutschen Lloyd), der Compagnie Parisienne des Voitures Électriques und einem Bankenkonsortium. Die NAMAG erhielt die Lizenzrechte des französischen „Système Kriéger“ und begann in den Werksanlagen an der Hastedter Föhrenstraße mit der Entwicklung und dem Bau von Lieferwagen und Taxis, die unter dem Namen Lloyd vertrieben wurden. Als sich nach erfolgreichen Tests die Reichspost in Berlin 1908 zur Anschaffung einer größeren Zahl der Lloyd-Elektrolieferwagen entschied, hofften Vorstand und Mitarbeiter auf erfolgreiche Zeiten. Zudem gewann die NAMAG die Bremer Droschken-AG zum Betrieb der von ihr gebauten Elektrotaxen. Nachdem der Senat Ende 1909 ein Verbot für Taxen mit Ottomotoren verhängt hatte, fuhren die Bremerinnen und Bremer – wenn nicht in der Kutsche – elektrisch. 1911 waren 15 E-Taxen in Betrieb, die mit 28 Batteriesets der Firma Afa betrieben wurden.

„Gleislose Bahnen“ auf dem Vormarsch

Im Hastedter Werk entstanden ab 1910 auch Wagen, die als „Gleislose Bahnen“ in die Geschichte eingegangen sind. Zum Hintergrund. Im November 1909 war in Bremen Köhlers Bahn-Patente-Gesellschaft m.b.H. etabliert worden, die sich auf den Bau von Oberleitungsfahrzeug-Linien sozusagen mit den Schienen im Himmel spezialisierte. Die Gesellschaft beantragte umgehend den Bau von zwei „Gleislosen Bahnen“ – und zwar vom Arsterdamm nach Arsten mit einer Länge von 3,2 Kilometer und vom Bischofstor zum Stadtwald mit einer Länge von 3,1 Kilometer.

Die Arstener O-Buslinie fuhr ab dem August 1909 mit zwei Wagen, die jeweils Platz für 24 Personen boten. Die Reisezeit zwischen dem Arsterdamm und der Post in Arsten betrug zwölf Minuten. Die Parkbahn-Linie nahm im September 1910 den Regelbetrieb auf. Sie hatte sieben Haltestellen: Bischofstor, Rembertikirchhof, An der Weide, Hollerallee, Franziusstraße, Schwachhauser Ring und Busestraße. Die O-Busse pendelten zwischen 7 Uhr morgens und 8 Uhr abends viertelstündlich; der letzte Wagen fuhr nach Theaterschluss ab. Das Depot für die vier Elektrofahrzeuge lag vor dem Bahnübergang an der Parkallee. Es hatte eine überdachte Terrasse für wartende Fahrgäste. Auch die 6,70 Meter langen NAMAG-Busse der Parkbahn verfügten über 20 Sitzplätze sowie einige Stehplätze auf dem offenen Rückperron. Angetrieben wurden sie von zwei Motoren mit je 6 PS.

Die Reichspost setzte auf Elektromobilität: hier eine Aufnahme von 1927.
Quelle: Privat

Technisch waren die O-Busse durch das patentierte Köhler-Lloyd-Stromabnehmersystem durchaus speziell. So waren die Fahrdrähte nicht nebeneinander, sondern senkrecht übereinander angebracht; der positive unter dem negativen. Als Stromabnehmer dienten zwei Rollen (oben) und ein Schleifkontakt (unten). Die Fahrzeuge konnten etwa 10 Meter weit nach rechts und links von der Oberleitung ausschwenken. Da die beiden Bremer Linien nur über eine Oberleitung für beide Richtungen verfügten, mussten sie bei Begegnung anhalten, damit die Stromabnehmer gewechselt werden konnten. Kein Problem für die Fahrer: Sie zogen einen Stecker, tauschten die Kabel und fuhren weiter.

Obwohl die Parkbahn GmbH zwischen dem 1.9.1910 und 1.9.1911 knapp 216.000 Fahrgäste und 9.700 Schüler befördert hatte, schlugen nach wie vor die Anlaufverluste zu Buche. Da der Senat im September 1911 die Bitte der GmbH zur Deckung der Verluste ablehnte, beendeten die Gesellschafter den Betrieb der O-Buslinie am Silvestertag 1911. Zwischen Bremen und Arsten wurde der Dienst bis zum Juni 1916 aufrechterhalten, dann war kriegsbedingt Schluss. Bis dahin hatten die beiden Fahrzeuge auch aufgrund zu geringer Auslastung mehrmals den Besitzer gewechselt, bevor sie in die Hände einer Tochtergesellschaft der Bremer Straßenbahn gekommen waren.

Bei Elektrofahrzeugen war Bremen mit Hansa-Lloyd ganz vorn dabei.
Quelle: Privat

Die bremische Köhlers Bahn-Patente-Gesellschaft brachte mit ihrem System insgesamt fünf Betriebe ins Rollen. Neben den beiden in der Hansestadt waren das die Gleislose Lloyd-Bahn Brockau (bis 1914), die „trackless cars“ im englischen Stockport (bis 1920) und die Ludwigsburger Oberleitungs-Bahnen. Sie existierten von 1910 bis 1926 und hatten eine Streckenlänge von rund 15 Kilometer. Es war die umfangreichste Anlage einer „Gleislosen Bahn“ mit dem Köhler-Lloyd-Stromabnehmersystem zu jener Zeit.

Durchaus erfolgreicher entwickelten sich die Elektrofahrzeugaktivitäten der NAMAG, die gleichwohl seit ihrer Gründung noch keinen Gewinn erwirtschaftet hatte. Die Aktionäre handelten. Im Mai 1914 fusionierten sie das bremische Unternehmen mit der profitablen niedersächsischen Hansa-Automobilgesellschaft zur Hansa-Lloyd-Werke AG mit Sitz in Bremen. Zwar nahm fortan die Produktion von Pkws und Lkws mit Verbrennungsmotoren massiv zu, Hansa-Lloyd wurde auch deshalb zum größten Lastwagenlieferanten des Heeres.

Aber insbesondere ein Ingenieur und zugleich Vorstandsmitglied des Unternehmens trieb weiterhin die E-Fahrzeugentwicklung an: Sigmund Meyer (1873-1935). Er hatte nach dem Studium von Maschinenbau und Elektrotechnik drei Jahre lang bei General Electric in den USA die ersten Erfahrungen gesammelt, dann bei der Union Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin und anschließend bei der British Thomson-Houston Comp. im englischen Rugby als Chefingenieur gearbeitet. 1905 engagierte ihn der Norddeutsche Lloyd und übertrug ihm 1906 die Leitung der NAMAG.

In Bremen trieb Sigmund Meyer fortan maßgeblich die Elektromobilentwicklung voran. 1908 etwa entstand der erste Elektro-Lkw (1½ Tonnen), ab 1909 konzipierte er elektrische Vorspann- und Müllwagen und andere Nutzfahrzeugarten mehr, die bei zahlreichen Stadtverwaltungen als Ersatz für die herkömmliche Pferdebespannung auf Interesse stießen. Nach der Fusion zur Hansa-Lloyd-Werke AG wurde Meyer eines der drei Vorstandsmitglieder und betreute weiterhin die Elektrofahrzeugsparte. Der kriegsbedingte Mangel an Pferden kurbelte deren Bau durchaus an (Markenname: „Hansa-Lloyd-Elektro“). Auf Wunsch der Heeresleitung konstruierten die Bremer 4- und 5t-Elektro-Lastwagen (Typ CL 5) und 5 bis 10-t-Elektroschlepper (Typ DL 5) mit starken Hauptstrommotoren. Allerdings beendete der Erste Weltkrieg mit seinen Mangelerscheinungen wie fehlendem Gummi sowie der zugleich beschleunigten Entwicklung der Verbrennungsmotoren die Zeit der Pkw. So fuhr ab 1917 keine Elektrodroschke mehr in Bremen.

Qualität aus Bremen: der Elektro-Müllwagen von Hansa-Lloyd.
Quelle: Privat

Während die Nachkriegswirren und der Materialmangel die deutsche Automobilindustrie und damit auch Hansa-Lloyd in Bedrängnis brachten, engagierte sich Sigmund Meyer als Abgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei in der Bremer Nationalversammlung. 1920 wurde er in die Bremische Bürgerschaft gewählt und zum Senator für Wirtschaft und Verkehr berufen. Bis 1928 wirkte er als der erste Industrielle im Senat.

Nun verhalf der um 1920 erreichte Entwicklungsstand in der Elektromobiltechnik diversen Unternehmen wie etwa AEG und Siemens aber eben auch Hansa-Lloyd zu neuen Absatzchancen, zumal das Benzin noch knapp war. Auf der Deutschen Automobil-Ausstellung erregte das Bremer Unternehmen 1923 einiges Aufsehen mit den neuentwickelten Hansa-Lloyd-Elektro-Transportkarren bis 1,5 t Nutzlast. Sie fanden reißenden Absatz und kamen zu Tausenden auf Bahnhöfen, in Häfen und Unternehmen zum Einsatz. Ein Jahr später folgte mit dem Elektroschlepper EH 2 eine neue Zugmaschine, aus der dann der 2-t-Elektro-Pritschen-Lkw EH 2 und für die Reichspost der 2-t-Kastenwagen Typ EH 2-Post abgeleitet wurden.

„Fehlgriffe längst verschwunden“

1925 betonte Hansa-Lloyd-Vorstand Sigmund Meyer in einem Zeitschriftenartikel vorsichtshalber: „So wie über das Wesen des elektrischen Kraftwagens im allgemeinen eine oft erstaunliche Unkenntnis vorherrscht, so ist sie über die Batterie im besonderen Maße vertreten und hat leider viel dazu beigetragen, daß dem Elektrokraftwagen oft die ernstere Betrachtung und die ernstlich zu beachtende Wirtschaftlichkeit versagt wurde. […] Irrtümer oder Fehlgriffe wie sie zur Entstehungszeit des Elektromobils vorkamen, sind längst überwunden.“

Vor allem die Deutsche Reichspost, aber auch die Fischereihafenfirmen in Bremerhaven sowie Molkereien, Brauereien und Müllabfuhrbetreiber setzten auf die Hansa-Lloyd-Fahrzeuge aus Bremen. Von den 1200 zuverlässigen Elektrolastwagen, die 1928 im Postdienst eingesetzt waren, kamen gut die Hälfte aus Hastedt. Sie hatten eine Reichweite von 70 Kilometern und konnten eine Nutzlast von 4,6 Tonnen transportieren. Auch die erneute Entwicklung von Oberleitungsbussen schien den Ingenieuren von Hansa-Lloyd um 1926 einen neuen Versuch wert – immerhin forcierten damals viele Städte den Einsatz dieser Busse.

Handarbeit: der Wechsel der Stromabnehmer 1911.
Quelle: Privat

Als es aber an die Verwirklichung gehen sollte, setzte die Weltwirtschaftskrise ein und machte das Unternehmen Millionenverluste (auch durch am Markt vorbei entwickelte Achtzylinder-Pkw). Im August 1929 veräußerte das Bremer Bankhaus J.F. Schröder sein großes Aktienpaket an die Goliath-Werke Borgward & Co., die den Hansa-Lloyd-Werken direkt gegenüberlagen. Ein gewisser Carl F. Borgward (1890-1963) rückte daraufhin in den Vorstand ein und Sigmund Meyer verließ – mit einer Abfindung versehen – das Unternehmen. Borgward hielt nichts von Elektromobilität – er setzte auf Benzin- und Dieselantriebe. Damit endete Bremens Zeit als bedeutender Entwicklungs- und Produktionsort der Elektromobilität.

Trolleybusse – von nichtbremischen Herstellern – aber fuhren noch einmal in Bremen und Bremerhaven. In beiden Städten gab es jeweils eine Linie – in Bremerhaven von 1947 bis 1958 und in Bremen von 1949 bis 1961. In jenen Jahren stiegen die Fahrgäste, die von Bremen-Nord in die Innenstadt oder andersherum wollten am Wendeplatz in Burgdamm (Gummibahnhof) oder in Gröpelingen in die mit Anhängern fahrenden O-Busse der Linie 8. Als 1960 das Verbot der Personenbeförderung in Anhängern erfolgte und bald darauf die Dieselbusse von der Mineralölsteuer befreit und damit im Betrieb deutlich günstiger wurden, war bis auf wenige Ausnahmen das Fahren mit Schienen im Himmel vorbei. Übrigens werden seit 1962 in Deutschland keine serienmäßigen Trolleybusse mehr produziert.

 

Johann-Günther König (geb. 1952) ist Autor vieler Sachbücher und Bremensien – jüngst erschien bei Rowohlt „Gewinn ist nicht genug. 21 Mythen über die Wirtschaft“ (mit R. Hickel u. H. Pfeiffer).

Trolleybusse waren bis in die frühen 1960er-Jahre in Betrieb – hier der Gummibahnhof Burgdamm im April 1957.
Quelle: Archiv

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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