Vor 100 Jahren wurde Mario Puzo geboren, Autor von „Der Pate“  – sein Debütroman spielt in Bremen

Wer als „deutsches Fräulein“ mit einem Amerikaner anbandeln will, hat vor der „Glocke“ die besten Chancen. In seinem Roman „Die dunkle Arena“ von 1955 beschreibt US-Bestsellerautor Mario Puzo ein skurril anmutendes „Fräulein-Karussell“ rund um das Konzerthaus, vormals als amerikanischer Klub ein beliebter Treffpunkt für Angehörige der Besatzungsmacht. „Die GIs lungerten herum und beäugten die Frauen und die ‚Fräuleins‘, die langsam vorbeidefilierten und eine kleine Weile später, nachdem sie die Runde um das Haus gemacht hatten, abermals vorbeikamen.“

Berühmt geworden ist Puzo allerdings nicht wegen seines in Bremen spielenden Erstlingswerks. Sondern als Autor des Mafia-Epos „Der Pate“. Die Verfilmung des Gangsterstoffs mit Marlon Brando und dem jungen Al Pacino in den Hauptrollen gilt als cineastischer Meilenstein, im italienischen Mafiamilieu soll sich der Film bis heute ausgesprochener Beliebtheit erfreuen. Der Schriftsteller, dessen besondere Beziehung zu Bremen in Presseberichten meist nur beiläufig Erwähnung findet, wäre in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden: Am 15. Oktober 1920 wurde Mario Puzo in New York geboren.

Durchs fenster ein Blick auf Trümmer: Cover von „The Dark Arena“ (1955).
Quelle: Frei

Sonderlich schwer zu erklären ist die Wahl Bremens als Schauplatz seines Debütwerks nicht. In der Hansestadt war Puzo kurz nach Kriegsende als amerikanischer Soldat stationiert. Darauf weist bereits Johann-Günther König in „Bremen im Spiegel der Literatur“ (1991) hin.

Die Einberufung beschreibt Puzo als „Erlösung“, erst in der Army fühlte er sich befreit von familiären Zwängen. „Ich fuhr einen Jeep, durchreiste Europa, hatte Liebesaffären, fand eine Frau und erlebte den Stoff für meinen ersten Roman“, schwärmt Puzo über seine Soldatenjahre im autobiografischen Rückblick „Die Welt des Paten“.

Das zerstörte Bremen nutzt Puzo als Kulisse für einen düsteren, existenzialistisch angehauchten Entwicklungsroman. Sein alter ego Walter Mosca ist als klassischer Antiheld kein Sympathieträger, sondern ein mürrischer Misanthrop. Ein gründlich desillusionierter, zynischer junger Mann ohne moralische Maßstäbe. In seiner Unterkunft an der Metzer Straße in Schwachhausen geht es hoch her. Puzo berichtet von Jeeps, die jeden Abend „mit kreischenden Bremsen und viel Geschrei“ vor dem Haus halten. Eine Party jagt die andere, in lauen Sommernächten plärrt das Radio.

Die amerikanischen GIs sind nicht die einzigen, die gründlich über die Stränge schlagen. Auf Anstand und Sitte pfeifen bei Puzo auch die „Fräuleins“, die dem trostlosen Alltag entfliehen. Oft genug, um ihre Familien zu ernähren, besonders im „Hungerwinter“ 1946/47. Wie Statistiken der Militärregierung zeigen, wurden von November bis Februar so viele Frauen wegen Prostitution verhaftet wie niemals zuvor.

Ein moralisches Trümmerfeld

Die gesamte deutsche Nachkriegsgesellschaft erscheint in Puzos Roman als moralisches Trümmerfeld. Nichts gilt mehr, nichts hat mehr Bestand, jeder ist sich selbst der Nächste. Der Krieg hat nicht nur die Häuser zerstört, sondern auch den Moralkodex. Puzo nutzt das zerbombte Bremen als Gleichnis für seelische Abgründe. Und zwar auf beiden Seiten, darin sind sich Sieger und Besiegte gleich. Bei Puzo kennt der Krieg nur Verlierer, die gescheiten Typen sind gescheiterte Existenzen.

Mit kalter Präzision entlarvt Puzo die spießbürgerliche Scheinwelt. Bei ihren traditionellen Nachmittagsspaziergängen im Bürgerpark schreiten die Männer „mit der ihnen als Familienoberhaupt angemessenen Würde dahin, einige mit ungestopften Pfeifen im Mund“. Die ungestopften Pfeifen als verräterisches Kainsmal – der Schein bleibt gewahrt, doch die würdigen Herren sind in Wahrheit nur Witzfiguren.

Schmunzeln muss der Ortskundige über irreführende Straßen- , Gebäude- und Landschaftsbeschreibungen. Das Polizeihaus am Wall ist bei Puzo ein dunkelgrünes und quadratisches Gemäuer. Weitaus kurioser wirken indes die Höhenangaben, die so gar nicht ins topografische Profil der norddeutschen Tiefebene passen. Vom Polizeipräsidium geht es „steil abwärts“, weshalb die Straßenbahn den Anstieg nur langsam bewältigen kann. Darf man überhaupt von einem Bremen-Roman sprechen? Eigentlich nicht. Auf realitätsgetreue Schilderungen der lokaler Örtlichkeiten legt Puzo keinen Wert. „Die dunkle Arena könnte in jeder beliebigen deutschen (Ruinen-)Stadt in den ersten Nachkriegsjahren spielen“, stellt Johann-Günther König denn auch ganz richtig fest.

So langsam blühte das Leben wieder auf: der Herdentorsteinweg in den frühen Nachkriegsjahren.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Puzo heiratet eine Deutsche

Mit dem bedrückenden Sujet will Puzo den Durchbruch als Schriftsteller schaffen. Fürs Erste muss er aber einen ungeliebten Job im öffentlichen Dienst annehmen. Der Grund: Aus Deutschland bringt er nicht nur den Stoff für seinen ersten Roman mit, sondern auch ein „Fräulein“. Noch in der alten Welt heiratet er 1946 seine erste Frau Erika Lina Bröske, aus der Ehe gehen fünf Kinder hervor. Erst knapp drei Jahre nach seiner Heimkehr macht er sich in mühsam abgerungenen Mußestunden ans Werk. Doch die Fortschritte sind kümmerlich, nach zweijähriger Arbeit zieht der 30-Jährige im Dezember 1950 eine ernüchternde Bilanz. Sein unbarmherziges Verdikt über das 150-seitige Fragment: „Vielleicht einer der schlechtesten Romane, die je geschrieben worden sind.“

Wirklich ernst meint Puzo das natürlich nicht. Verbissen schreibt er weiter und kommt schon bald zu einem milderen Urteil. „Liest sich nicht übel“, frohlockt er am 28. Januar 1951 in seinem Tagebuch. Im April 1951 wagt er sich aus der Deckung und legt das fertige Manuskript seinem Verleger vor. Doch der lässt monatelang nichts von sich hören, erst im Dezember 1951 flattert ihm „wie erwartet“ die Absage ins Haus. Ein herber Dämpfer, von dem sich Puzo aber nicht entmutigen lassen will. „Muss es eben nochmal überarbeiten“, notiert er trotzig im Tagebuch.

Eine nackte Schöne auf dem Coverin lasziver Pose: Umschlag von „The Dark Arena“ (1956).
Quelle: Frei

Doch das ist leichter gesagt als getan. Um endlich freie Bahn zu haben, gibt Puzo seinen Job als freier Mitarbeiter eines Abenteuermagazins auf und nimmt sich ein möbliertes Zimmer. „Ich kann es drei Monate durchhalten, das Buch vollenden, dieses miese, beschissene Buch“, schreibt er im November 1952. Ohne seine Familie hält er es allerdings nicht lange aus und kehrt wenig später nach Hause zurück. Einiges Kopfzerbrechen bereitet ihm das Finale seines Debütromans. „Da hänge ich einen guten Job an den Nagel, um Schriftsteller zu werden“, klagt er am 14. Dezember 1952, „und in diesen paar Wochen wird mir klar, dass ich ein hoffnungsloses Buch geschrieben habe.“

Einfach aufgeben will Puzo jedoch nicht. Drei schlechte Schlüsse hat er nach eigenem Empfinden schon fabriziert, als das überarbeitete Werk am 17. Januar 1953 erneut zum Verleger abgeht. Und zwar ohne Happy End, obgleich der Verleger ihm dafür 500 Dollar bietet. Puzo streicht das Geld auch ein, beharrt aber auf seiner eigenen Schlussversion, dem „schlimmstmöglichen Schluss, Mord und Selbstmord“, wie es im Tagebuch heißt.

Dieser Schluss wird es denn auch tatsächlich bis in die Endfassung schaffen, ein Showdown ohne den geringsten Hoffnungsschimmer: Erst schießt der Protagonist in seiner Unterkunft an der Metzer Straße den Mann über den Haufen, der ihm angeblich Penicillin, in Wahrheit aber nur ein Placebo verschafft und dadurch seine Frau auf dem Gewissen hat. Dann lässt sich der gerade mal 23-Jährige von einer Straßenbahn überrollen. Ein brutales Ende.

Lange Suche nach einem Verleger

Der Streit um den Schluss verzögert die Publikation um drei Jahre, sein Verleger lehnt das Manuskript im April 1953 endgültig ab. Puzo ist am Boden zerstört, zutiefst deprimiert spielt er mit dem Gedanken, die Schriftstellerei aufzugeben. Doch er lässt nicht locker, die Suche nach einem geeigneten Verleger geht von vorn los. Und führt letztlich doch noch zum Erfolg: Im Februar 1955 erscheint das Buch bei Random House.

Nun allerdings unter einem geänderten Titel, es heißt nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen „The Enemy“, sondern mystisch und mystifizierend „The Dark Arena“. Was es damit auf sich hat, enthüllt sich nur ganz beiläufig. Einem Kommunisten legt Puzo die Worte in den Mund, es sei mitnichten ein Ausdruck des freien Willens, wenn jeder in seiner „kleinen persönlichen Arena“ kämpfe.

Von der Kritik wird „Die dunkle Arena“ überwiegend günstig aufgenommen, auch Puzo selbst schätzt seinen Debütroman höher ein als man nach seinen eigenen, zumeist abfälligen Kommentaren erwarten könnte. Weitaus höher sogar als sein Mafia-Epos „Der Pate“, der für ihn nichts weiter ist als der letzte Versuch, endlich den Durchbruch zu schaffen. Wenn nicht mit niveauvollem Stoff, dann eben mit Gangsterfiguren. „Unter allen meinen Romanen liebe ich den Paten am wenigsten“, bekennt Puzo nach dem Welterfolg des Kinofilms. Und doch macht ihn dieses Buch reich. Für „Die dunkle Arena“ kassiert er nur 3500 Dollar. Puzo stirbt am 2. Juli 1999 im Alter von 78 Jahren.

Mit kreischenden Bremsen hielten Jeeps vor Puzos Unterkunft an der Metzer Straße, hier: eine Militärpolizei auf Streife.
Foto: Georg Schmidt

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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