Ein weißes Hemd, eine abgeschnittene Hose und Schuhe, die der Schuster mit kleinen Klötzchen ausgestattet hatte – so sah sie aus, die Fußballausrüstung um 1900. So oder so ähnlich waren auch die Kicker gekleidet, die am 4. Februar 1899 eine Idee umsetzten. Es waren einige 16-jährige Schüler, die an diesem Tag kurzerhand einen Verein aus der Taufe hoben und damit den Grundstein zu einer Erfolgsgeschichte legten, die heute noch längst nicht vorbei ist. Ihr Verein hieß nicht Sportverein Werder, sie nannten ihn Fußball-Verein Werder. Erst 20 Jahre später erfolgte die Umbenennung in SV Werder.

Aber was waren das für Jungs, die dem Klub damals seinen Namen gaben? Auf jeden Fall bildeten sie einen interessanten Haufen, so viel ist sicher. Denn einerseits stammten die Gründungsmitglieder aus dem Bürgertum und besuchten eine angesehene Privatrealschule, die sich auf die Ausbildung von kaufmännischen Berufen spezialisiert hatte. Andererseits machten die Schüler und ihre sich bald anschließenden Teamkollegen durch ihr zweifelhaftes Betragen auf sich aufmerksam. Sie tranken mit Vergnügen, sangen laut und gern das Gründungslied „Unsere Farben – grün-weiß-grün“. Als besonders diszipliniert galten die Fußballer damals auch nicht.

Die wohl älteste Autogrammkarte von Werder vom 29. Oktober 1899. Sie entstand im Neuenlander Felde und wurde an einen der Gründer des Vereins geschickt, Henry Degenhardt, der sich zu dieser Zeit in London aufhielt. Der Vermerk „Spielplatz im Bürgerpark nicht zu haben“ weist darauf hin, dass man dringend einen neuen Platz suchte. (Rudolph Stickelmann/Staatsarchiv Bremen)

„Es waren Jugendliche, die gegen den erklärten Willen ihrer Eltern Fußball gespielt haben“, sagt Harald Klingebiel. Der Sozialwissenschaftler und Werder-Historiker hat zahlreiche Bücher und Artikel verfasst. Er gilt als schier unerschöpfliche Quelle für die Geschichten rund um den Verein. Die Aktivitäten der jungen Werderaner seien von einem gewissen Argwohn begleitet worden, wie bereits das Treiben des Bremer Sport-Clubs von 1890/91, dem Bremer Vorreiter in Sachen des runden Leders, erläutert Klingebiel. Fußball war zur Jahrhundertwende eben noch etwas recht Neues. Zuvor hatte sich lediglich das Turnen als Sportart etabliert. Nun kam eine neue Generation und wollte etwas komplett anderes machen; die strikte Ordnung des Turnens galt in den Augen dieser jungen Menschen als antiquiert. Sie wollten mehr Freiheit und unbekümmert ihren Sport betreiben.

Die erste Sportanlage des FV Werder lag deshalb wohl nicht zufällig auf der anderen Weserseite, damals Werder und heute Stadtwerder genannt. In diesem noch unbebauten Gebiet fühlten sich die jungen Fußballer unbeobachtet, mussten dafür aber regelmäßig einen weiten Weg zurücklegen, inklusive einer Fahrt mit der Sielwallfähre. „Es war auch viel wilder als heute, und es kam regelmäßig zu Verletzungen – in der sogenannten Grünen Bude wurde nach den Spielen aber immer gemeinsam gefeiert“, sagt Klingebiel.

Auf das Kopfspiel verzichtet

Werders Platz in Huckelriede durch das Eingangstor fotografiert im Jahr 1913. Dort spielte Werder von 1906 bis Anfang der 1930er-Jahre. Im Hintergrund ist die gerade fertiggestellte Tribüne zu sehen. Sie war in Erwartung einer erfolgreichen Zukunft errichtet worden. (Jochen Wallenhorst/Archiv SV „Werder“/Projekt Vereinsgeschichte des SV „Werder“ Bremen)

Doch so sehr sich die ersten Werderaner Kicker gegen die herrschenden Konventionen richteten – ihrem Stand blieben sie zunächst treu. In den ersten Jahren trat jedenfalls kein Spieler ohne die damals als Statussymbol geltende Schülermütze an. Auf das sogenannte Kopfspiel verzichteten sie deshalb erst einmal. Dem sportlichen Erfolg schadeten aber weder gewisse Freiheiten in der Lebensführung noch die Beschränkung auf bürgerliche Kreise. Bereits 1899 gewann der FV Werder die Bremer Meisterschaft.

Das lag naturgemäß auch an der überschaubaren Konkurrenz. Mochten die ersten Fußballer der Stadt mit viel Begeisterung dabei gewesen sein, galt ihr Sport lange nicht als etabliert und wurde deshalb nur von einer Minderheit ausgeübt. Immerhin: Die Freundschaftsspiele gegen ausländische Mannschaften sorgten ab 1902 regelmäßig für mehrere Hundert Zuschauer. Den Bremern fiel dabei schnell auf, dass gerade englische Mannschaften eine deutlich längere Entwicklung hinter sich hatten: Während der FV Werder stets auf Einzelaktionen setzte, kamen die Gäste mit Kombinationen vor das gegnerische Tor – das war schon damals der leichtere Weg zum Erfolg.

Trotz der taktischen Defizite dieser Zeit setzte der Klub seine Erfolgsgeschichte fort. Mit dem Mittelfeldstrategen Joseph Lutter, dem Torjäger Hermann Schlengemann sowie dem Abwehrass Adalbert Theilen verzeichnete Werder einige Spieler in überregionalen Auswahlteams. 1910 gewann die Mannschaft der Grün-Weißen den Titel in der Niedersachsen-Liga Bremen/Unterweser. Obwohl das sich anschließende Endspiel um die Norddeutsche Meisterschaft gegen Holstein Kiel verloren ging, hatte der FV Werder eine überregionale Bedeutung erlangt. „Norddeutscher Meister wurden sie in diesen Jahren aber nicht, das gelang meistens der Germania von 1887, dem späteren HSV“, sagt Klingebiel.

Die Werderaner qualifizierten sich allerdings als einziges Team aus Bremen für die 1913 eingeführte Norddeutsche Verbandsliga, gemeinsam mit Vereinen wie der Germania von 1887, Holstein Kiel, Altona 93, Eintracht Braunschweig oder Hannover 96. Die Teilnahme an dieser Spielklasse war jedoch nur von kurzer Dauer. Bereits 1914 folgte der Abstieg. Nur wenig später bereitete der Erste Weltkrieg der Liga das Aus und griff nachhaltig in das Bremer Vereinsleben ein. Gleich zwei seiner drei Spielfelder musste der FV Werder in den kommenden Jahren zum Gemüseanbau abgeben. „Man sprach von einem Steckrübenwinter“, erläutert Klingebiel. Aber so viele Fußballer gab es auch gar nicht mehr, ein Großteil wurde zum Militär eingezogen. Leid und Zerstörung standen am Ende des vierjährigen Krieges. Der Fußball sollte vom Weltkrieg aber profitieren, bestritten die Soldaten doch Turniere mit der vergleichsweise neuen Sportart. Trotzdem hatte sich der Fußball 1918 deutlich stärker etabliert als noch zu Beginn des Jahrhunderts.

Anpassung an den Zeitgeist der Weimarer Republik

Mit dem Ende des Kaiserreichs und der Gründung der Weimarer Republik 1919 änderte sich beim FV Werder einiges. Zunächst wurde die Umbenennung in Sportverein Werder vollzogen. Der Verein öffnete sich damit anderen Sportarten. Die neuen Abteilungen, etwa Leichtathletik, Handball, Tennis oder Rugby, brachten dem SVW allerdings nicht nur mehr Mitglieder ein, nämlich rund 1000 zu Beginn des Jahrzehntes. Die Vielfalt sorgte auch für lebhafte Diskussionen um die Ausrichtung. Zudem waren längst mehrere Generationen im Verein vertreten, es hatte sich eine Jugendfußballabteilung etabliert. Obwohl viel gestritten wurde in dieser Zeit, passte sich Werder dem Zeitgeist an: Von 1920 an durften Frauen Mitglied im SV Werder werden; Fußball spielen durften sie hingegen nicht. Zudem wurden die Aufnahmekriterien für Männer gelockert und sahen keine höhere Schulbildung mehr vor.

Sportlich ging es ebenfalls bergauf mit dem Verein, wenngleich eine Einschätzung der Erfolge angesichts einer ausgesprochen sprunghaften Einteilung der Liga nicht immer leicht fiel. Von 1921 an trat der SV Werder zunächst in der eingleisigen Westkreisliga an, die später in die Staffeln Jade und Weser aufgeteilt wurde. Die Grün-Weißen spielten mal in der einen, mal in der anderen Klasse. Sie belegten regelmäßig vordere Plätze und nahmen daher an überregionalen Runden teil. Sicher ist zudem, dass bereits damals nicht nur reine Amateure um Punkte kämpften. Die eine oder andere Zahlung war bereits im Spiel. Auch Arbeitsstellen, wie bei der Martin Brinkmann AG in Woltmershausen, galten bei so manchem Kicker als Gegenleistung für das Tragen des Vereinstrikots.

Dabei war der SV Werder in Bremen längst nicht mehr konkurrenzlos. In den 1920er-Jahren spielten auch der VfB Komet und der Bremer SV (BSV) auf dem Niveau der Grün-Weißen. Der BSV trat dabei seit 1920 auf der Bürgerweide an, hatte also eine deutlich zentralere Spielstätte als der nach wie vor auf dem Stadtwerder beheimatete SVW. Erst ab 1930 trug Werder seine Heimspiele im Weserstadion aus. Gebaut worden war es bereits 1926, vom Allgemeinen Bremer Turn- und Sportverein, als ABTS-Kampfbahn.

von Stefan Freye

Die Spieler der ersten Mannschaft des damaligen Fußball-Vereins Werder der Saison 1906/1907. Zu dieser Zeit trainierten und spielten die Kicker des heutigen Sportvereins Werder Bremen noch in Huckelriede. (Frank Thomas Koch/Werner Denkena)

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