Vor 75 Jahren gründete sich der Bremer DGB – abweichende Vorstellungen zur Einheitsgewerkschaft

Ein exaktes Gründungsdatum für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Bremen zu ermitteln, ist gar nicht so einfach. „Das hat selbst Peter Brandt nicht herausgefunden“, sagt Karl Bronke, Mitautor eines Jubiläumsbuchs, das der regionale DGB zur Feier seines 75-jährigen Bestehens herausgegeben hat. Der älteste Sohn von Kanzler Willy Brandt ist ein bekannter Historiker, in seiner Doktorarbeit von 1973 befasste er sich mit dem Aufbau der deutschen Arbeiterbewegung am Beispiel Bremens.

Wie verzwickt die Sache mit dem Gründungsdatum ist, zeigt sich auch in dem Buch selbst. In seinem Grußwort lässt Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) wissen, in Bremen sei der DGB im September 1946 gegründet worden. Anders sieht es Bronke, der sich zwar nicht auf einen genauen Tag festlegen will, aber immerhin auf eine Woche. So viel könne man sagen: „Die formale Gründung ist in der ersten Oktoberwoche erfolgt.“

Auf zu neuen Ufern: Demonstrationszug zum Tag der Arbeit am 1. Mai 1947.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Schwierige Spurensuche

Tatsächlich entpuppt sich die Spurensuche als schwieriges Unterfangen. In der Presse wurde nichts berichtet, es gibt keine Unterlagen zur Wahl von Oskar Schulze zum ersten Nachkriegsvorsitzenden des Bremer DGB. Gleichwohl stellte Radio Bremen ihn schon im August 1946 als „Leiter der freien Gewerkschaften“ vor. Erst am 4. Oktober 1946 erhielten die Gewerkschaften aber die Erlaubnis, Ortsgruppen zu größeren Verbänden zu fusionieren. „Daraufhin gründet sich der Deutsche Gewerkschaftsbund für die britische Zone und der DGB Bremen“, schreibt Bronke.

Wäre es nach ihren Vorkämpfern gegangen, hätte die Gewerkschaftsgründung deutlich früher über die Bühne gehen können. Die Kapitulation Bremens lag gerade einmal zwei Tage zurück, als am 29. April 1945 zwei Herren bei den englischen Besatzungstruppen im Polizeigebäude am Wall erschienen: Adolf („Adje“) Ehlers und Hermann Wolters, die beiden späteren SPD-Senatoren waren damals noch Kommunisten. Im Namen der „antifaschistischen Arbeiterschaft“ forderten sie die Wiederherstellung des Bremer Gewerkschaftsbundes. Ein paar Tage später zählten Ehlers und Wolters zu den Mitbegründern der „Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“ (KGF), die als überparteiliches Sammelbecken fortschrittlicher Kräfte agierte.

Alles andere als untätig waren auch die früheren Funktionäre des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) um den Sozialdemokraten Oskar Schulze. „Auch sie hatten Kontakt zur Militärregierung aufgenommen und die Erlaubnis bekommen, mit dem Aufbau der Gewerkschaft zu beginnen“, schreibt Bronke. Weil die formale Genehmigung auf sich warten ließ, preschte man schon mal illegal voran. „Es wurden Mitglieder aufgenommen, Beiträge kassiert.“

Parallel formierte sich eine dritte Kraft, die sich die Gründung freier Gewerkschaften auf die Fahne schrieb. Bereits ab Mai 1945 nahmen die Arbeiter in den Großbetrieben das Heft in die Hand. Sie organisierten sich in gewählten Betriebsvertretungen, bevor es dafür überhaupt grünes Licht gab. Was lag da näher, als praktisch im gleichen Atemzug auch die Zulassung freier Gewerkschaften zu fordern?

Gab den Ton an: Gewerkschaftschef Oskar Schulze.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Unterdessen mühten sich die KGF und die alte Gewerkschaftsgarde um eine gemeinsame Linie. Am 18. Mai 1945 trafen sich die Frontmänner der rivalisierenden Gruppen. Schulze bekräftigte, man suche die Zusammenarbeit „ohne Hintergedanken“. Dazu Bronke: „Beide Gruppen stimmten darin überein, eine Einheitsgewerkschaft schaffen zu wollen.“ Die alten Richtungsgewerkschaften aus der Weimarer Republik sollten der Vergangenheit angehören. Im Klartext hieß das: keine parteigebundenen Gewerkschaften, keine Trennung nach unterschiedlichen Berufen oder dem Arbeiter- und Angestelltenstatus.

Uneins über Einheitsgewerkschaft

Allerdings herrschte keine Einigkeit darüber, wie die ersehnte Einheitsgewerkschaft aussehen sollte. Die KGF strebte eine in sich geschlossene Einheitsgewerkschaft mit Unterabteilungen an, die früheren ADGB-Funktionäre konnten sich auch mit einem Dachverband für autonome Einzelgewerkschaften anfreunden. Einen gemeinsamen Antrag auf Zulassung eines Bremer Gewerkschaftsbundes brachten die beiden Gruppen nicht zustande: Die Schulze-Fraktion wandte sich am 8. Juni 1945 an die US-Militärregierung, die KGF am 17. Juni.

Die Reaktion war ernüchternd. Im Juli 1945 teilte Militärgouverneur Bion C. Welker mit, die Zulassung von Gewerkschaften sei noch gar nicht erwünscht. Ein strenger Aufbauplan in drei Phasen sollte ihre Wiedergründung in geregelte Bahnen lenken. Erhebliche Bedenken hatte die Militärregierung gegen die Einheitsgewerkschaft – laut Bronke befürchtete man, die Kommunisten könnten die Oberhand gewinnen.

Argwöhnisch betrachtete die Militärregierung alle Bestrebungen zur Schaffung eines Gewerkschaftsbundes, der dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft huldigte. Weshalb in Bremen ab Herbst 1945 zwar erste Einzelgewerkschaften als Einheitsgewerkschaften entstanden, aber nicht die angestrebte übergeordnete Organisation. „Damit fiel eine faktische Vorentscheidung zugunsten der autonomen Gewerkschaften“, so Bronke – bis heute fungiert der DGB als Dachverband von acht Mitgliedsgewerkschaften.

Zu diesen Einzelgewerkschaften gehörte im April 1946 auch der Ableger des Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV) unter Führung von Oskar Schulze (mehr dazu hier). Mit mehr als 10.000 Mitgliedern war der Vorläufer der IG Metall die größte Einzelgewerkschaft in Bremen. Der omnipräsente Schulze war damit prädestiniert, im Oktober 1946 auch den Vorsitz des Bremer DGB zu übernehmen. Bis zur bundesweiten Gründung des DGB sollten indes noch drei Jahre verstreichen: Dazu kam es erst im Oktober 1949, ein halbes Jahr nach Gründung der Bundesrepublik.

Ein gut lesbares Buch im Sinn

Zu seinem Jubiläum hat der DGB, Region Bremen-Elbe-Weser, ein Buch mit dem Titel „75 Jahre DGB Bremen. Seit 1946 für den sozialen Fortschritt in Bremen und Bremerhaven. 75 Geschichten aus 75 Jahren“ herausgebracht. Die Beiträge stammen von Heike Blanck, Karl Bronke und Beenhard Oldigs. Das 176-Seiten-Werk sollte „keine langweilige Organisationsgeschichte“ sein, wie die Autoren schreiben, sondern ein reich bebildertes, gut lesbares Werk. Ein besonderes Augenmerk gilt der Rolle der Frauen. In mehreren Interviews kommen frühere Funktionäre und Wegbegleiter zu Wort. Das Jubiläumsbuch kann im Gewerkschaftshaus am Bahnhofsplatz abgeholt oder bestellt werden.

Massenhafter Zulauf: die Kundgebung des DGB am 1. Mai 1953 vor dem Parkhaus im Bürgerpark.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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