Adolph Freiherr Knigge als satirischer Religionskritiker / Tod als Verwaltungsbeamter in Bremen
Für religiösen Fanatismus hatte Adolph Freiherr Knigge nur Hohn und Spott übrig. In seinen satirischen Schriften lästerte er nach Herzenslust über sektiererische Eiferer. Als aufgeklärter und aufklärerischer Geist war ihm jegliche Form von Intoleranz und Dummheit ein Dorn im Auge. Der Terroranschlag von Paris ist ein guter Grund, sich eines Mannes zu erinnern, der unerschrocken und unerbittlich für Meinungs- und Pressefreiheit kämpfte.
Für religiöse Eiferer hatte der Freiherr nur Hohn und Spott übrig. „Da wurde zum Beispiel die große, wichtige Frage unter ihnen aufgeworfen, wieviel Sprossen die Himmelsleiter gehabt, welche Jakob im Traume gesehen hätte, ob es Engel weiblichen Geschlechts gäbe und dergleichen mehr“, witzelte Adolph Freiherr Knigge in seinem satirischen Reiseroman „Benjamin Noldmanns Geschichte der Aufklärung in Abyssinien“.
Gemeinhin wird der Name „Knigge“ nur mit seinem bekanntesten Werk in Verbindung gebracht, der Aufklärungsschrift „Über den Umgang mit Menschen“. Das geht so weit, dass „Knigge“ heute als Synonym für Benimmbücher jeglicher Couleur Verwendung findet: Es gibt einen „Dating-Knigge“, einen „Knigge für Auszubildende“, sogar einen „Börsen-Knigge“. Auch in seiner Familie weiß man den Markenwert des guten Namens zu schätzen. Ein Nachfahre des berühmten Aufklärers macht sich das zunutze: Der 46-jährige Moritz Freiherr Knigge bietet seine Dienste als Autor und Coach für gutes Benehmen an. 2004 brachte er eine Neufassung des legendären Bestsellers heraus. Sein Motto: „Geistiges Erbe verpflichtet.“
Keine Rücksicht auf religiöse Gefühle
Doch das geistige Erbe des historischen Knigge geht weit über eine Abhandlung zum Wert guter Manieren hinaus. In Wahrheit war Knigge viel mehr als nur Verfasser eines Benimmbuchs. Es macht lediglich einen kleinen Teil seines Gesamtwerks aus. In seinem kurzen Leben hat der 1796 in Bremen gestorbene Knigge eine stattliche Anzahl gesellschaftskritischer Schriften veröffentlicht, darunter eine Reihe satirischer Auseinandersetzungen mit den politischen Verhältnissen seiner Zeit.
Besondere Rücksichten auf religiöse Gefühle nahm Knigge dabei nicht.
Unerschrocken und unerbitterlich machte er sich über Glaubensdinge lustig. Mit beißendem Spott bedachte er theologische Streitigkeiten über die einzig wahre Auslegung der Bibel. War der Prophet Elia nun wirklich mit einem feurigen Wagen gen Himmel gefahren oder nicht? In seinem Abyssinien-Roman malt sich Knigge aus, wie der Krach um „des Propheten Kalesche“ allmählich eskaliert. Wie der Märtyrertod reiche Ernte hält, weil die „Anti-Kaleschianer gefoltert, gespießt, gebraten, gekreuzigt, geschunden, gesteinigt und ihrer Augen beraubt“ werden.
Vernünftig fand Knigge das nicht. Weder die Intoleranz religiöser Fanatiker noch den Gegenstand ihrer Auseinandersetzungen.
Zu viel Hunger ist unpatriotisch
Kaum besser kam die Politik seiner Zeit weg. In seinem Werk geißelte er nicht zuletzt das Duckmäusertum an europäischen Fürstenhöfen. „Der König oder große Negus hatte einen kleinen Schaden am Gehör, und daher war es Mode, daß alle Hofleute ein wenig taub zu sein affektierten“, schreibt Knigge. Bei Hofe sei es nämlich üblich gewesen, „seine tubos acusticos oder Hörtrompeten aus den Taschen“ zu ziehen, sobald dem Monarchen etwas vorgetragen wurde.
Im Gewand eines deutschen Gelehrten, der sich als eine Art Entwicklungshelfer zum Dienst am äthiopischen Hof verpflichtet hat, bereist der Protagonist Benjamin Nordmann etliche nordafrikanische Fantasie-Königreiche und weiß über deren Monarchen meist nur wenig Erfreuliches zu berichten. „Der König von Tasi“, so Knigge, „war ein warmer Freund der Beredsamkeit. Den sehr gedrückten Untertanen, die um Brot baten, pflegte er lange Reden zu halten, worin er ihnen bewies, daß es unpatriotisch sei, soviel Hunger zu haben.“
Als aufgeklärter und aufklärerischer Geist bekämpfte Knigge jede Form menschlicher Unvernunft. Weil Presse- und Meinungsfreiheit noch Zukunftsmusik waren, bediente man sich damals gern der satirischen Verfremdung. Oder konspirativer Methoden, um sich vor Nachstellungen zu schützen.
Führender Kopf bei den Illuminaten
Dabei ist Knigge selbst manchen Irrweg gegangen. Einer war seine Mitgliedschaft bei den Illuminaten, einer kurzlebigen Geheimorganisation, die bis heute die Phantasie von Verschwörungstheoretikern erhitzt. Als einer ihrer führenden Köpfe half er eine Zeitlang, die etablierten Freimaurerlogen zu unterwandern. Das diffuse Ziel des Ordensgründers Adam Weishaupt: der Umsturz der bestehenden Verhältnisse, die Herrschaft der Vernunft.
In seinem Leben hat es Knigge nicht leicht gehabt. Als Spross eines völlig überschuldeten Landadligen musste er seine Geburtsstätte, das Gut Bredenbeck bei Hannover, nach dem Tod des Vaters als 14-Jähriger verlassen. Vergebens hat er sich in späteren Jahren bemüht, die Zwangsverwaltung des elterlichen Guts zu beenden. Die durchaus ansehnlichen Einkünfte flossen in die Taschen der Gläubiger, Knigge ging leer aus.
In jungen Jahren verdingte er sich an deutschen Fürstenhöfen, bewarb sich auch um eine Anstellung im preußischen Staatsdienst. Doch auf Dauer war das nichts, es blieb ihm nur eine mehr oder weniger unsichere Existenz als freier Schriftsteller.
Wenig Freude über Posten in Bremen
Im Februar 1790 erneuerte Knigge seine Bemühungen, im Staatsdienst unterzukommen. Diesmal hatte er es auf die Stelle des Oberhauptmanns der hannoverschen Besitzungen in Bremen abgesehen. Dabei handelte es sich um den Dombezirk, ehemals Teil des Erzbistums Bremen. Im Westfälischen Frieden von 1648 war es als „Herzogtum Bremen“ an Schweden gefallen und 1719 an das Kurfürstentum Hannover verkauft worden.
Über seine Anstellung in Bremen konnte sich Knigge erstaunlicherweise nicht recht freuen. Er argwöhnte, man habe ihm die Stelle nur als Gegenleistung für den endgültigen Verzicht auf das elterliche Gut zugesprochen. Schon damals gesundheitlich schwer angeschlagen, willigte Knigge ein in der Hoffnung, in der freien Reichsstadt Bremen endlich zur Ruhe zu kommen. Einem österreichischen Freund gegenüber klagte er, der Posten sei „einträglicher an äußerer Ehre als an Gelde“. Doch um des lieben Friedens willen mäßigte er sich in seinen Verlautbarungen, ja duldete sogar das „emigrierte Lumpengesindel“ in seinem Haus – französische Aristokraten, die ihr Land nach der Revolution verlassen hatten.
Tod im Alter von 43 Jahren
Erst als reaktionäre Publizisten ihn wegen seiner illuminatischen Vergangenheit als verkappten Umstürzler attackierten, gab Knigge seine Zurückhaltung auf. Selbst auf die Gefahr hin, den sicheren Posten als Oberhauptmann zu verlieren, beschloss er, sich wiederum gegen „die Rotte der Dummheits-Apostel und Despotenknechte“ nach Kräften ins Zeug zu legen.
In ironischer Anspielung auf seine angeblich unvermindert geheimbündlerischen Aktivitäten veröffentlichte Knigge im Herbst 1795 das „Manifest einer nicht geheimen, sondern sehr öffentlichen Verbindung“. Der Plan: Eine überschaubare intellektuelle Elite sollte sich gegenseitig unterstützen und ermuntern im publizistischen Kampf für Freiheit und Recht, „gegen alle Unterdrücker der göttlichen, heiligen, gesunden Vernunft“.
Doch dazu kam es nicht mehr.
Noch bevor Knigge eine Reise zu seinen Gesinnungsfreunden antreten konnte, starb er im Alter von nur 43 Jahren am 6. Mai 1796 in Bremen an den Folgen einer Nervenkrankheit. Seine letzte Ruhe fand er im St.-Petri-Dom. Die Grabplatte ist bis heute zu sehen.
von Frank Hethey