Vor 150 Jahren: Das Bremer Handelsblatt gab im Herbst 1866 den Anstoß für die schwarz-weiß-rote Flagge
Man kann nicht eben behaupten, die schwarz-weiß-rote Flagge sei besonders sympathisch. Wer auf die rechte Pauke schlägt, wählt gern die alten kaiserlichen Farben. Schwarz-weiß-rot – das ist ein ziemlich sicheres Zeichen für nationalistische Töne, für anti-demokratische Gesinnung. Umso denkwürdiger, dass diese Flagge ihre Geburtsstunde recht eigentlich in Bremen erlebte. „Wir haben die Meinung äußern hören, ob nicht vielleicht die künftige gemeinsame deutsche Flagge in der Weise zu bilden sei, daß mit dem preußischen Schwarzweiß das alte Rothweiß zu einer Tricolore vereinigt werde“, schrieb Adolf Soetbeer am 22. September 1866 im Bremer Handelsblatt, damals ein renommiertes Organ freihändlerischer Provenienz.
Der Weckruf im Bremer Handelsblatt gilt sozusagen als schwarz-weiß-roter Urschrei. Der Hintergrund: Nach der österreichischen Niederlage gegen Preußen bei Königgrätz am 3. Juli 1866 formierte sich als Vorläufer des Deutschen Reichs der Norddeutsche Bund, für dieses Konstrukt mussten gemäß völkerrechtlicher Gepflogenheiten zwei Flaggen her, eine Kriegs- und eine Handelsflagge. Zweieinhalb Monate gingen ins Land, bis die Bremer Anregung auf fruchtbaren Boden fiel. Dann vor bald 150 Jahren der entscheidende Federstrich. „Die Kauffahrteischiffe sämtlicher Bundesstaaten führen dieselbe Flagge: Schwarz-Weiß-Rot“, vermerkte der damalige preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck am 9. Dezember 1866 im Verfassungsentwurf.
Freilich legte Bismarck der Sache keine besondere Bedeutung bei. Ihm sei das Farbenspiel „ganz einerlei“, frotzelte er, als das Thema im Vorfeld der Reichsgründung abermals aufkam. „Meinethalben grün und gelb und Tanzvergnügen oder auch die Fahne von Mecklenburg-Strelitz.“ Nur eine bestimmte Kombination sei ausgeschlossen: nämlich Schwarz-Rot-Gold, die Farben der Revolution von 1848. Wenig verwunderlich, hatte doch Preußenkönig Wilhelm, der gnadenlose „Kartätschenprinz“ von damals, das bürgerliche Aufbegehren in allzu schlechter Erinnerung.
Schwarz-rot-goldenes Flaggenmeer auf dem Domshof
Doch nicht nur Bismarck waren die später so viel besungenen kaiserlich-deutschen Farben herzlich gleichgültig. Auch ansonsten scherte sich kaum jemand um die neue Kreation. Wer den Nationalstaat, wer Einheit und Freiheit wollte, hing der schwarz-rot-goldenen Flagge an, seit dem Wartburgfest von 1817 waren das die allseits anerkannten deutschen Farben. Eindrucksvoll zu sehen war das nicht zuletzt beim zweiten Deutschen Bundesschießen im Sommer 1865 in Bremen, einem nationalen Großereignis mit Besuchern aus allen deutschsprachigen Gebieten. Zum Empfang der Gäste wogte der Domshof in einem schwarz-rot-goldenen Flaggenmeer.
Kamen diese Farben wegen preußischer Vorbehalte aber nicht in Betracht, konnte die Flaggenfrage auch keine Herzenssache sein. Im Grunde behandelte das Bremer Handelsblatt das Thema eher wie eine Angelegenheit, die eigentlich nur unter ökonomischen Gesichtspunkten von Interesse sei. Mit dem Sekretär der Hamburgischen Handelskammer, Adolf Soetbeer, meldete sich denn auch ein Mann zu Wort, dem es vor allem um die praktischen Aspekte zu tun war. Aus leidvoller Erfahrung wusste er, dass Schiffe aus Kleinstaaten international buchstäblich schlecht ankamen. Noch 1861 weigerte sich Japan, hamburgische Schiffe einlaufen zu lassen. Für die deutschen Reeder ein permanentes Risiko. Dem wollte Soetbeer mit der einheitlichen Flagge einen Riegel vorschieben, alles andere war ihm relativ egal.
So egal, dass er auf Schwarz-Weiß-Rot für die norddeutsche Kriegsmarine im Vornherein verzichtete und es bei den preußischen Farben belassen wollte. Die hätte er auch im Falle der Handelsflagge hingenommen. Fast halbherzig fiel sein Plädoyer für Schwarz-Weiß-Rot aus. „Eine combinirte neue Flagge dieser Art oder die gleichmäßige Annahme der schwarz-weißen Farben als künftige norddeutsche Flagge, zwischen diesen wird die Wahl zu treffen sein“, prophezeite er. Mit anderen Worten, auch die schwarz-weiße Flagge der preußischen Siegermacht im deutschen „Bruderkrieg“ gegen Österreich wäre in seinen Augen völlig akzeptabel gewesen, wenn nur endlich die deutschen Handelsschiffe ihre unterschiedlichen Landesflaggen einholten.
Bismarck gegen die preußische Farben
Doch gegen die preußischen Farben als Farben des Norddeutschen Bundes sträubte sich ausgerechnet der Preuße Bismarck. Ihm war es zu verdanken, dass Schwarz-Weiß-Rot in der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 26. Juli 1867 als Flagge der Kriegs- und Handelsmarine festgelegt wurde. Ein geschickter Schachzug, um den noch immer vorhandenen Preußen-Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen und gleichzeitig das alte Schwarz-Rot-Gold loszuwerden.
Als bei der Reichsgründung von 1871 noch einmal die alten Farben als deutsche Farben ins Gespräch gebracht wurden, stellte der bauernschlaue Bismarck sein ganzes Verhandlungsgeschick unter Beweis. Und zwar indem er dem preußischen König vorgaukelte, Schwarz-Weiß-Rot sei eine Verbindung der preußischen Farben mit dem brandenburgischen Rot-Weiß, während er gleichzeitig die Küstenländer wissen ließ, die rot-weiße Farbgebung gehe auf die Hansestädte zurück. Aus dieser Zeit rührt die vielfach anzutreffende Ansicht her, schon das Bremer Handelsblatt habe Schwarz-Weiß-Rot als sinnfällige Kombination der preußischen Farben und des hanseatischen Rot-Weiß vorgeschlagen.
Allerdings ist das bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn: In Soetbeers Beitrag ist von hanseatischen Farben mit keinem Wort die Rede, er spricht nur von dem „alten Rothweiß“. Gemeint war damit aber die rot-weiße Fahne des alten, 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, ein Wimpel mit weißem Kreuz. Das war christlich inspirierte Symbolsprache. Nicht zufällig sieht die dänische Flagge fast genauso aus, findet sich das rot-weiße Farbelement auch in der polnischen und brandenburgischen Flagge wieder. Und eben in den Farben der Hansestädte.
Schwarz-Weiß-Rot erst seit 1892 deutsche Nationalflagge
Bis 1892 führte das Deutsche Reich die schwarz-weiß-roten Farben nur als Kriegs- und Handelsflagge, aber nicht als Nationalflagge. Erst als Deutschland immer stärker als imperialistische Macht in Erscheinung trat, wurde Schwarz-Weiß-Rot als Nationalflagge salonfähig. Erst seitdem begann man in Deutschland, sich mit den neuen Farben anzufreunden. Der Durchbruch gelang Schwarz-Weiß-Rot, als es unter dem neuen Banner in den Ersten Weltkrieg ging.
Da hatte Schwarz-Rot-Gold einen schweren Stand mit seinem Comeback in der Verfassung der Weimarer Republik. So auch im kaisertreuen Bremen, dessen bürgerliche Presse sich im März 1919 lauthals für Schwarz-Weiß-Rot stark machte. Noch nicht einmal das konstitutionelle Zugeständnis, es bei der Handelsflagge zu belassen wie bisher und nur im linken oberen Eck eine schwarz-rot-goldene Miniaturflagge unterzubringen, konnte die Gemüter besänftigen. Die Handelskammer beklagte, dass „die alte ruhmreiche Reichshandelsflagge nicht in ihrer ganzen Klarheit und Schönheit erhalten geblieben“ sei. Im Juni 1921 verabschiedete die Bürgerschaft sogar einen Antrag, der Senat möge sich für eine Rückkehr zur kaiserlichen Handelsflagge einsetzen.
Skurril auch der Flaggenstreit als Begleiterscheinung des erfolgreichen Atlantikflugs im April 1928. Denn der Initiator des tollkühnen Wagestücks, Freiherr Ehrenfried von Hünefeld, hatte nach der Landung auf Greenly Island nichts Besseres zu tun, als unverzüglich die schwarz-weiß-rote Flagge zu hissen. Für den strammen Monarchisten gewiss eine natürliche Regung, sich zu den kaiserlichen Farben zu bekennen. Beim Senat kam die politische Symbolik indessen weniger gut an, eine Antwort auf Hünefelds Telegramm blieb aus. Die Quittung erhielt Hünefeld beim Triumphzug durch Bremen am 19. Juni 1928, als beim Empfang im Weserstadion die schwarz-rot-goldene Flagge wehte.
Flaggen-Eklat auf der „Bremen“
Nach der NS-Machtübernahme verschwanden die Farben von 1848 erneut von der Bildfläche, seit März 1933 gab es mit der kaiserlichen und der Hakenkreuz-Flagge gleich zwei Nationalflaggen. Allerdings nur bis September 1935, als das Reichsflaggengesetz die Hakenkreuz-Flagge zur alleinigen Nationalflagge bestimmte. Einigermaßen kurios, dass wiederum die Wesermetropole damit zu tun hatte: erst der Anstoß für Schwarz-Weiß-Rot aus Bremen, dann der Todesstoß auf der „Bremen“. Ein Zwischenfall auf dem Atlantik-Liner soll maßgeblich dazu beigetragen haben, die kaiserlichen Farben ins Abseits zu befördern. In seiner Chronik berichtet Fritz Peters, am 27. Juli 1935 habe es an der Pier des Norddeutschen Lloyd in New York deutschfeindliche Kundgebungen gegeben. Die Hakenkreuzflagge sei vom Bug des Dampfers gerissen und ins Wasser geworfen worden.
Der Vorfall löste beinahe eine bilaterale Krise aus, der deutsche Botschafter überreichte wenige Tage später eine scharfe Protestnote, in der er sich über die „Schändung“ der deutschen Nationalflagge beschwerte. Die süffisante Reaktion der Amerikaner: Es sei doch nur eine Parteiflagge in Mitleidenschaft gezogen worden, die schwarz-weiß-rote Nationalflagge jedoch unversehrt geblieben.
So etwas wollten die neuen Machthaber nicht noch einmal erleben. Das Reichsflaggengesetz von 1935 definierte Schwarz-Weiß-Rot zwar noch als die Reichsfarben, de facto traten sie aber deutlich in den Hintergrund. Deutsche Soldaten trugen sie noch als Emblem auf ihren Wehrmachtshelmen. In den Nachkriegsjahren versuchten rechts-konservative Kreise vergebens, die kaiserlichen Farben erneut zur Geltung zu bringen.
Weshalb es in höchstem Maß befremdlich ist, die schwarz-weiß-rote Flagge noch heute in Gebrauch zu sehen. An der Lilienthaler Heerstraße hisst eine Studentenverbindung die dubiose Flagge regelmäßig vor ihrem Verbindungshaus. Mag sie auch einträchtig neben der schwarz-rot-goldenen Flagge wehen und mögen die Verbindungsmitglieder auch ihre Verfassungstreue bekunden, auf ihre demokratische Gesinnung hinweisen – die kaiserlichen Farben sind kaum geeignet, Vertrauen zu erwecken, ihren Kredit haben sie längst verspielt.
von Frank Hethey