Alte Alben: Familienalbum aus den 1950er Jahren zeigt Urlaub an der Vegesacker Riviera
In den 1950ern hatte ein Familienurlaub im Ausland sicher noch Seltenheitswert. Stattdessen fuhr man üblicherweise zur Verwandtschaft. Bald jeder hatte einen Bruder oder eine Schwester, Onkel oder Tante, Oma oder Opa, wo man einige Tage unterkommen konnte.
Ansprüche hatte man kaum. Die Kinder wurden mit anderen Kindern in ein Bett „gestopft“, für einen mehr war noch Platz auf der Besucherritze im Doppelbett, das Klappsofa wurde mobilisiert oder von irgendwoher ein Feldbett organisiert. Die Kinder wurden morgens nach draußen geschickt, sie sollten mit anderen Kindern auf der Straße spielen. Zum Frühstück gab es Brot (oft Weißbrot) mit Marmelade, mittags Eintopf , nachmittags Kaffee (oder war es Muckefuck ?) und Kuchen, abends Brot (meist Graubrot) mit Leberwurst (die, die schon nach einem Tag grau wurde) vom Schlachter um die Ecke.
Dieser Tage erhielt ich einen Anruf von einem Bekannten namens Hans. Er sei, berichtete er mir, ab 1953 mehrere Male mit seinen Eltern und seiner Schwester in Vegesack gewesen. Die Familie wohnte seinerzeit in Hessisch-Oldendorf, einer Stadt zwischen Hameln und Rinteln. Direkt an der nächsten Straßenecke war die Haltestelle der Fernautobuslinie Bremen-Bad Pyrmont und zurück. Das sei sehr bequem gewesen.
Unter diesen Umständen fuhr 1953 auch der seinerzeit dreijährige Hans in den Sommerferien zum ersten Mal nach Vegesack. Im Haus Kirchheide 73 wohnten Tante Beate und Onkel Fritz. Wobei Onkel Fritz der Bruder seiner Mutter war. Man sei jeden Tag am Strand gewesen, so sollen es ihm seine Eltern später noch viele Male erzählt haben. Aber auch Ausflüge nach Bremen und Worpswede standen auf dem Programm.
Als ich ihn besuchte, präsentierte er ein wohlsortiertes und vor allem beschriftetes Fotoalbum. Auch sonst wusste er noch einiges zu erzählen. Ein paar Tage später erhielt ich noch einen Brief. Darin hat er die Ferienaufenthalte an der Vegesacker Riviera ausführlich beschrieben.
Achim, im Juni 2016
Lieber Peter,
Deine Berichte auf Bremen History über die Vegesacker Strände habe ich mit großem Interesse gelesen. Und ob Du es glaubst oder nicht: Ich war während der Sommerferien 1953, 1954, 1959 und 1960 für jeweils zwei Wochen in Vegesack.
Da staunst Du? Ja, da war ich 3, 4, 9 und 10 Jahre alt. Und zwar kam das so: Ein Bruder meiner Mutter wohnte in Vegesack, Kirchheide 73. Das waren Onkel Fritz und Tante Beate. Deren Sohn war im Kriege gefallen. Onkel Fritz hatte als Schlosser bei der Vulkan-Werft gearbeitet.
Aber er war schon Frührentner. War er an Asbestose erkrankt? Einen Urlaub bei Verwandten zu machen, das war in den 1950ern noch so üblich. Da meine Eltern ein Geschäft hatten, konnte jeweils nur ein Elternteil gleichzeitig in Urlaub fahren. 1953 war ich mit Vater, 1954 mit Mutter, 1959 mit Vater und meiner 1956 geborenen Schwester, 1960 waren wir vier in Vegesack.
Onkel Fritz brauchte nicht mit Sonnenöl eingecremt zu werden, denn er kam immer voll angezogen zum Strand, sprich: mit Anzug, Hemd, Krawatte und Hut.
Aus der Familiengeschichte
Mein Ur-Großvater hatte Anfang der 1920er ein Friseurgeschäft in Hessisch-Oldendorf eröffnet. Auch mein Großvater und mein Vater erlernten das Friseurhandwerk und übernahmen das Geschäft von ihren Vätern. Im Fachwerkhaus von 1782 war der Friseursalon und Wohnräume für die Generationen unter einem Dach vereint. Es war so üblich, dass die Ehefrauen, trotz Kinder und Küche, im Geschäft mithalfen.
Die männlichen Kunden kamen damals alle drei Wochen zum Haare schneiden. Es war üblich, 10 Tage danach zum verbilligten Nachschneiden zu kommen. Mit mir machte mein Vater „kurzen Prozess“. Wie Du auf dem Foto von 1953 siehst, bin ich kahl geschoren. Und diese Frisur trage ich heute noch.
Mit der Autobusfernlinie aus dem Schaumburger Land nach Bremen
Meine Eltern, meine Schwester und ich wohnten seinerzeit in Hessisch-Oldendorf, einem kleinen Ort zwischen Hameln und Rinteln. Täglich fuhr eine Fernautobusline von Bremen nach Bad Pyrmont und am gleichen Tage wieder zurück. Wir stiegen in unserem Heimatort ein und waren wenige Stunden später am ZOB-Bremen (Zentraler-Omnibusbahnhof-Bremen). Mit dem Zug fuhren wir weiter nach Vegesack. Dort am Bahnhof wartete schon das Empfangskomitee: Onkel Fritz und Tante Beate. Vom Bahnhof aus schleppten wir die Koffer zur Kirchheide.
Noch am Ankunftstag gingen wir von der Kirchheide auf dem direkten Weg durch die Bermpohlstraße zur Weserstraße und dann die Treppe herunter zur Strandpromenade.
Auf zur Vegesacker Riviera.
An der Vegesacker Riviera
Wasser, Strand und mehr. Ich konnte im Sand buddeln. Es gab Muscheln, Steine, Holz und Strandgut aller Art. Erst einmal wurde ich kräftig mit Sonnenöl eingecremt. Ich baute kleine Rinnen, in denen das Weserwasser lief. Kamen Schiffe vorbei, dann kamen auch die Wellen und alles Gebaute ward wieder aufgelöst.
Der Strand war ein riesiger Spielplatz. Mutter saß lieber am Stadtpark und sah dem Treiben zu. Strandleben macht hungrig. Wir hatten Tante Beates liebevoll geschmierten, in Pergamentpapier eingepackten Butterbrote mit. Was mundete uns das köstlich. Vater und Onkel Fritz hatten ihre Feldflaschen dabei. Da habe ich das Trinken aus der Flasche gelernt. Manchmal kam Tante Beate vorbei und brachte uns Kartoffelsalat und Bockwürstchen.
An der Weser war immer was los
Auf der Weser war natürlich immer etwas los. Es kamen große Seeschiffe auf ihrem Weg von und nach Bremen vorbei. Segelboote, Ruderboote, Fähren, Ausflugsschiffe.
Das Baden war zwar 1953/54 noch nicht verboten. Das kam erst 1955. Aber ins Wasser gingen wir trotzdem nicht. Ich denke, keiner von den Erwachsenen konnte schwimmen. Und wir Kinder ebensowenig. Hunde gingen ins Wasser. Ab und zu sah man am Ufer kleine Fische.
Onkel Fritz und mein Vater übten sich fortlaufend in „Schillern“. Dazu muss man einen flachen Stein so übers Wasser werfen, dass er möglichst oft auf der Wasseroberfläche hüpfend weiterspringt. Man sagt auch Ditschen dazu. Einmal ist für den Anfänger schon nicht schlecht. Bei ruhigen Wasser schafft man bis zu fünfmal und mehr. Eine kleine Welle und nichts geht mehr. Ich brachte laufend Steine, aber viele davon schienen nicht geeignet zu sein.
Und was sonst noch interessant ist
Vielleicht wunderst Du Dich, dass meine Mutter oder Tante Beate auf keinem der Fotos im Badeanzug zu sehen sind. Die hatten schlichtweg keinen. Dafür war kein Geld da. Wenn die Frauen an den Strand gingen, dann saßen sie mit Rock und Bluse auf einem Handtuch oder einer Decke. Badeanzüge, das waren früher richtige „Gewaltapparate“. In den 1950ern hatten die allerlei innere „Einbauten“, denn dem Zeitgeschmack entsprechend sollte den Frauen damit eine schlanke Taille, runde Hüften und ein voller Busen „gezaubert“ werden.
Du hast mich gefragt, woher ich das alles weiß. Ja, mein Vater hat mir ein gut beschriftetes Album hinterlassen und die wenigen Reisen, die wir seinerzeit gemacht haben, wurden im Elternhaus wieder und wieder erzählt. Aber wir waren nicht nur am Strand, sondern machten auch Ausflüge nach Bremen oder fuhren mit dem Schiff nach Worpswede.
Lieber Peter, das wäre meine Vegesacker Strandgeschichte aus 1950ern.
Liebe Grüße
Hans
PS.: Zum Stichwort „Vegesacker Riviera“ fragst Du mich, ob meine Eltern nicht mit dem Auto an die italienische Riviera hätten fahren können. Dann will ich Dir es erzählen: Meine Eltern und auch meine Großeltern hatten kein Auto. Im Zweiten Weltkrieg durfte in Deutschland keiner ein privates Auto fahren. Nach 1945 war das Benzin für lange Jahre rationiert. Und wenn sie sich ein neues Auto bestellt hätten, dann hätten die Automobilwerke sicher eine lange Lieferzeit gehabt. Zudem konnte man erst 1953 ohne Visum in die westlichen europäischen Staaten reisen. Weiterhin war das Autobahnnetz noch sehr dünn. Man hätte von Österreich nach Italien die alte Brennerpass-Straße nehmen müssen, die in Serpentinen rauf und runter geht. Alleine die Anreise hätte schon ein paar Tage gedauert. Und wie sollte man sich in Italien verständigen, was essen, wo übernachten? Nein, das wäre sicher fast so aufwendig wie Hannibals Alpenüberquerung gewesen.
von Peter Strotmann