Ließ sich auf der Durchreise nach Paris in Bremen blicken: der berühmte US-Musiker John Philip Sousa.
Quelle: Library of Congress

John Philip Sousas Concert Band im Bürgerpark am 5. und 6. Juni 1900

Der Eintritt kostete im Vorverkauf bei Praeger & Meier 1 Mark, an der Abendkasse im Parkhaus 1,50 Mark. Auf dem Weg zur Eröffnung der Weltausstellung in Paris im Jahre 1900 absolvierte die weltberühmte amerikanische Sousa Militärkapelle eine umfangreiche Europa- und Deutschlandtournee – und Bremen stand am 5. und 6. Juni 1900 mit auf dem Programm.

Hervorgegangen aus den Militärkapellen verschiedener Regimenter im amerikanischen Bürgerkrieg hatten sich diese Bands gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu Tanz- und Unterhaltungskapellen entwickelt. In Amerika gab es zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg um die 10.000 „military bands“, die den großen Bedarf an Marschmusik, Operetten-Melodien und Opern-Ouvertüren, die Nachfrage nach beliebten Arien und populärer Tanzmusik abdeckten. John Philip Sousas Band war eine der besten, die auch über die USA hinaus bekannt war.

Und nun spielte sie also in Bremen.

Keine besseren Plätze: Artikel im Courier vom 6. Juni 1900.
Bildvorlage: Diethelm Knauf

Der Courier an der Weser wies am 6. Juni 1900 noch einmal redaktionell auf das große Ereignis hin. Dabei wies er ausdrücklich auf den Einheitspreis von 1,50 Mark hin. Wer Wert auf bessere Plätze legte, hatte das Nachsehen: „Gesellschaftskarten giebt es da nicht.“

Der Korrespondent der Zeitung, der das Konzert am Vorabend besprach, erwähnte den guten Besuch und „namentlich viele Amerikaner, die ihrem Landsmann Sousa begeisterte Huldigungen zu Theil werden ließen“. In Deutschland sei dieser erst durch seine Marschkomposition „Washington Post“ bekannt geworden, die er dann im Laufe des Konzerts auch mehrmals zum Besten geben musste. Das Programm hätte aus neun Punkten bestanden, aus „Operetten, Vaudevilles, Märschen, Tänzen etc.“, als Komponisten nannte das Programm u.a. Rossini, Liszt, Strauß, Bizet und Sousa. Dieser habe – so der Chronist – als Dirigent „sein Orchester fest in der Hand und dirigirt mit Bestimmtheit und Lebhaftigkeit; er begnügt sich nicht mit technischer Correctheit und rhythmischer Präcision, sondern versteht auch, durch sorgfältige dynamische Abschattierung den Vorträgen seelische Belebung zu verleihen“.

Das Parkhaus im Bürgerpark, der Ort, an dem das Konzert der Sousa-Band stattfand, 1900. Quelle: Library of Congress

Offensichtlich hat die Musik dem Rezensenten gut gefallen, vor allem auch die Solisten Herbert Clarke (Kornett) und Arthur Pryor (Posaune). Das Orchester zeichne sich durch „Frische und Wohlklang des Tones“ aus und „folgt seinem Gebieter mit großer Hingebung“. Auffallend sei auch die gleichmäßige Kleidung – „schwarze Schnürröcke, kleine Käppi“ – gewesen.

Die Besprechung schließt mit der „lebhaften Empfehlung“ des zweiten Konzerts am Mittwochnachmittag. So klingt Sousas Washington Post March in einer Edison Wachs-Zylinder-Aufnahme von 1902.

Mit Anzeigen wie dieser warben die Veranstalter im Courier an der Weser, der Weser-Zeitung, den Bremer Nachrichten und dem Bremer Tageblatt.
Quelle: Courier an der Weser

Der Musikkritiker der Weser-Zeitung war deutlich mäkeliger. „Bei aller Achtung vor den Leistungen der Capelle wollte es uns doch erscheinen, als ob sie nicht voll auf der Höhe unserer deutschen Militärcapellen stehe. Die Vorträge mangelten vielfach des Ausdrucks, vielfach aber berührten auch die langsamen Tempi eigenartig. So ließ beispielsweise die ‚blaue Donau’, wie sie gestern Abend vorgetragen wurde, völlig kalt. Nichts von dem herrlichen Strauß’schen Walzer innewohnenden Feuer, das jeden Hörer bei entsprechendem Vortrage zu elektrisiren pflegt, war bemerkbar, anspruchslos verhallten die bekannten Weisen in den Kronen der Bäume. Auch den Melodien aus der Oper ‚Carmen’ hätten wir mehr Feuer gewünscht, dagegen kamen die amerikanischen Märsche zu voller Geltung“.

Teils neues Repertoire: der Sousa-Tourplan von 1901.
Bildvorlage: Diethelm Knauf

Generös schließt die Besprechung mit einer Empfehlung des Besuchs des zweiten Konzerts. „Im Großen und Ganzen kann man den transatlantischen Musikern die Anerkennung nicht versagen.“ Gelobt werden auch hier die Solisten Clarke und Pryor, die gute Stimmung und die vielen Zugaben.

Neben den in den beiden Besprechungen angeführten Programmpunkten – Standard zu der Zeit – spielte Sousa auch viele seiner eigenen Kompositionen, von denen der schon erwähnte Marsch „Washington Post“ und „The Stars und Stripes Forever“ wohl die bekanntesten sind.

Zur Zeit der Europa-Tournee zeichnete sich allerdings eine Wandlung des Repertoires ab, wie der Programm-Zettel ein Jahr später verdeutlicht.

Unter Nummer 6 c wird ein „Coon-Song“ aufgeführt und unter Nummer 8 Plantation Songs and Dances. „Coon“ ist ein beleidigender Begriff für Schwarze und plantation songs bezieht sich auf die Übernahme Elemente schwarzer Musik in das Repertoire der Sousa-Band. Der Song „A Coon Band Contest“ klingt 1900 so.

Die Kapelle reagiert hier auf einen Wandel des Publikumsgeschmacks. In den 1890er Jahren wurde Ragtime, ein Musikstil, der europäische Harmonien mit synkopiertem afrikanischem und lateinamerikanischem Rhythmus verbindet, immer populärer. Offensichtlich kamen auch viele weiße Concert Bands nicht darum herum, solche Musikelemente aufzunehmen. Die Sousa Band spielte 1901 den Hu-La Hu-La Cake Walk ein und der klingt so.

Die Sousa Band 1893 mit ihren ersten Uniformen.
Quelle: Wiki Commons

Schwarze parodieren Südstaaten

Der Cakewalk war ein Gesellschaftstanz in den USA. Zum Teil parodierten die Schwarzen mit ihrer Version des Cakewalk die steifen Umgangs- und Vergnügungsformen in den Südstaaten. Von 1895 bis 1905 wurde der Tanz dann auf der Grundlage von Ragtime Musik zu einem bekannten Modetanz.

Erhellend ist die Geschichte der Ragtime-Nummer „Ta-ra-ra-bom-der-e“, die um 1890 in den Kneipen und Bordellen des Rotlichtdistrikts von St. Louis von einer „colored mama“ gesungen worden sein soll, wie H.W. Schwartz in seiner Monographie „The Bands of America“ schreibt. Bekannt wurde der Song unter dem leicht geänderten Titel „Ta-ra-ra-boom-deay“ als Komposition des Weißen Henry. S. Sayer.

Unterm Sternenbanner: Sousas Band beim Konzert auf der Pariser Weltausstellung 1900.
Quelle: William H. Rau

Schwartz erzählt auch die Geschichte, dass Arthur Pryor, der Posaunist der Sousa-Band und später Leiter einer eigenen Kapelle, in seiner Komposition „Trombone Sneeze“ Elemente einer schwarzen Spielweise übernimmt, hier das Glissando, das gleitende Verändern der Tonhöhe, wie man es deutlicher z. B. aus Gitarrenspiel mit dem bottleneck kennt.

Auf der folgenden Aufnahme von 1902 ist Pryors Spieltechnik klar zu vernehmen.

Ein anderer bekannter Leiter einer zeitgenössischen Militärband, der Dirigent der Chicago Marine Band, Thomas Preston Brooke, hatte allerdings eine klare Haltung zur Qualität der weißen Interpretationen schwarzer Musik: „Ragtime is now the most generally mooted theme among musicians. /…/ Ragtime was not discovered or invented by anyone. It is the ‚juber’, buck and wing dance of the old plantation darkey, and no more inspiring ragtime was ever played than that which he patted with his hands, shuffled with his feet, or plunked on his rudely constructed banjo.“ Der schwarze „backwoods player who sat perched on a barrel in the corner“, spiele die ragtime songs „in a style that would put to shame many of the fellows who claim to have originated what they are pleaded to call ‘Ragtime’“.

Soviel zu Original und Kopie schwarzer Musik. John Philip Sousa mag wohl gehört haben, was sein Kollege gesagt hat – oder auch nicht. Bekannt geworden und geblieben ist er jedenfalls eher für seine eigenen Kompositionen. Allen voran The Stars and Stripes Forever, wohl die bekannteste Komposition Sousas, hier in der Abtastung einer Wachs-Zylinder-Aufnahme aus den Jahren 1896 – 1900 der Library of Congress.

von Dr. Diethelm Knauf

Eine Berühmtheit seiner Zeit: John Philip Sousa.
Quelle: Library of Congress

 

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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