Eine Goldgrube: Mit dem Auswanderergeschäft ließ sich ordentlich Geld verdienen.
Quelle: Wikimedia Commons

Vor 80 Jahren: Am 31. Juli 1935 stellte die Auswanderer-Agentur Friedrich Mißler ihren Betrieb ein

Das Auswanderergeschäft rief im 19. Jahrhundert viele Betrüger auf den Plan. Skrupellose Bauernfänger zogen den Menschen das Geld aus der Tasche. Anders die Agentur von Friedrich Mißler: Sie galt als seriös, seine Kunden vertrauten ihm. Vor allem bei Auswanderungswilligen aus Osteuropa hatte sein Name einen guten Klang. Ein Kuriosum, weil dieser Name nicht sein Geburtsname war – Mißler nahm ihn erst als 22-Jähriger an.

Spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Amerika zum Sehnsuchtsland aller Ausreisewilligen. Der amerikanische Traum übte auf Millionen von Menschen eine magische Anziehung aus, denn wohl kein anderes Land versprach den Menschen bessere Chancen auf einen Neuanfang unabhängig von Stand und Herkunft.

Bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Auswanderung nach Amerika aber eine mühsame und nicht selten auch eine gefahrvolle Angelegenheit. Auf Segelschiffen dauerte die Passage von Europa nach Amerika nicht selten mehrere Wochen. Eingepfercht in den engen und stickigen Unterkünften der Zwischendecks hofften die Menschen auf gute Wetterbedingungen und damit auf ein rasches Ende ihrer Reise.

Mit dem Aufkommen der Dampfschiffe besserte sich die Situation deutlich. Nun war man nicht mehr auf das Wetter angewiesen, sondern konnte innerhalb weniger Tage den Atlantik überqueren. Ziemlich schnell erkannten einzelne Reedereien und Auswanderer-Agenturen die großen Gewinnaussichten, die mit der Migration von Millionen Menschen verbunden waren.

Eine der bekanntesten dieser Agenturen war die Bremer Auswanderer-Agentur von Friedrich Mißler. Mehr als 1,8 Millionen Menschen fanden durch sie zwischen 1881 und 1935 den Weg in die Neue Welt. Man „fährt mit Mißler“ wurde bald zu einem geflügelten Wort unter den Ausreisewilligen Osteuropas. Bei keiner anderen Agentur gab es diese enge Verschmelzung von Unternehmen und Unternehmensinhaber.

Mißler änderte seinen Namen

Kurioserweise sollte Friedrich Mißler seinen Nachnamen, der später für so viele zum Synonym für Auswanderung werden sollte, erst im Alter von 22 Jahren annehmen. Am 13. November 1880 stellte er aus bislang unbekannten Motiven den Antrag, seinen Nachnamen zukünftig auf Mißler umzuändern.

Geboren wurde Friedrich Mißler am 9. Februar 1858 als Kind des Schuhmacherehepaares Justus und Anna Margarethe Becker. Das Bremer Stephani-Viertel mit seinen zahlreichen Handwerksbetrieben war die Welt, in der er seine Kindheit verbrachte.

Auf dem Sprung in ein besseres Leben: Auswanderer an der Columbuskaje in Bremerhaven 1925.
Bildvorlage: Sammlung Deutsches Auswandererhaus

Nach Ende seiner Schulzeit machte Mißler eine Ausbildung bei dem Bremer Auswanderungsexpedienten Carl Ludwig Bödeker. Ehrgeiz und Aufstiegswille ließen ihn nur einen Tag nach seinem Eid auf die Bremische Verfassung am 4. Dezember 1880 die Konzession für eine eigene „Agentur für Auswanderungsvermittlung F. Mißler“ beantragen, welche sodann am 12. Januar 1881 die Arbeit begann. Sein Büro befand sich in den ersten Jahren in der Bahnhofstraße. Da Bremens größte Reederei, der Norddeutsche Lloyd, anfangs keinerlei Interesse an seiner Arbeit bekundete, ihn vielmehr als lästigen Konkurrenten betrachtete, stellte Mißler die Dienste seiner Agentur zunächst der britischen Anchor Line (Anker-Linie) zur Verfügung.

Auswanderungswillige aus Osteuropa im Fokus

Ab Mitte der 1880er verlor die deutsche Auswanderung zunehmend an Bedeutung. Das Kaiserreich hatte die Gründerkrise der 1870er Jahre überwunden und erlebte einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufstieg. Für die meisten Deutschen verschwanden damit die Gründe, ihre Heimat zu verlassen.

Anders sah es hingegen für die Menschen Osteuropas aus.

Das Fehlen von politischen Reformen und der Druck gegenüber Minderheiten bewegte viele zur Auswanderung. Insbesondere die jüdischen Einwohner Russlands zog es nach den Pogromen der frühen 1880er Jahre unter Zar Alexander III. und einer damit einhergehenden antijüdischen Gesetzgebung zu Hunderttausenden in die Neue Welt.

Auf diese Zielgruppe konzentrierte sich Mißler. Ein weit verzweigtes Agentursystem mit Filialen unter anderem in Prag, Wien, Budapest, Sofia, Agram, Bukarest, Temesvar, Riga und Moskau, aber auch Buenos Aires und New York war hierbei sein wichtigstes Instrument und förderte zugleich die Popularität des Unternehmens.

Auf zu neuen Ufern: Auswanderer-Gruppe vor dem Lloydheim 1926.
Quelle: Foto Rudolf August Kelch, Photographengeschäft, Frielinger Straße 59/Peter Strotmann

Wer Interesse an einer Auswanderung nach Amerika hatte, erhielt in einer der Filialen alle hierfür wichtigen Informationen. Zugleich ließ Mißler kleine Leinenbrieftäschchen verteilen, in denen Ausreisewillige, die nicht Zugang zu den Filialen besaßen, alle notwendigen Informationen für die Reise nach Amerika erhielten. Sein Name versprach Sicherheit in einem sonst von Unsicherheit bestimmten Gewerbe. Denn immer wieder kam es vor, dass Auswanderer von windigen Betrügern um ihr Hab und Gut gebracht wurden.

Mißler als „richtig netter Mann“

Der aus Süd-Galizien stammende Jan Bukowski vermittelt in seinen Erinnerungen einen kleinen Eindruck von der Person Mißlers und hebt zugleich das positive Bild hervor, welches von ihm in Auswandererkreisen existierte: „Schließlich werden wir zu Mißler vorgelassen. Ich wollte ihn nämlich persönlich kennen lernen und es gelang mir. Er sprach mit allen Leuten sehr freundlich und gab jedem gute Ratschläge. Er war ein richtig netter Mann, ruhelos, mit weißem Haar und Bart, von mittlerer Größe.“

In  dem hart umkämpften Auswanderergeschäft musste sich Mißler immer wieder gegenüber Angriffen der Konkurrenz oder staatlichen Auflagen behaupten. Hiervon frustriert wollte er deshalb Mitte der 1890er Jahre sogar den Geschäftssitz nach Antwerpen verlegen. Aufgeschreckt durch diese Drohung setzte der Norddeutsche Llyod, der seine anfängliche Ablehnung angesichts Mißlers erfolgreicher Arbeit aufgegeben hatte, alles daran, ihn in Bremen zu halten.

Der Lloyd ging letztlich sogar so weit, ab 1896 ganz auf ein eigenes Agenturwesen zugunsten von Mißler zu verzichten und zahlte diesem daneben noch eine jährliche Summe in Höhe von 180.000 RM für die Zuführung von Auswanderern.

Es war ein einträgliches Geschäft für beide Seiten.

Wohl nicht zufällig erhielt Mißler nur ein Jahr nach dieser Übereinkunft  eine neue Zulassung als Passagierexpedient für die indirekte Beförderung mit Schiffen der Hamburg-America-Linie nach Nord- und Südamerika.

Zustrom der Auswanderungswilligen reißt  nicht ab

Der Mann, dem die Auswanderer vertrauten: Friedrich Mißler auf einem Werbezettel seiner Agentur von 1913.
Quelle: Wikimedia Commons

Mißlers beruflicher Erfolg fand im Privaten eine Fortsetzung. Im Jahr 1901 ging er mit Doris Marie Amalie Lübbers, der Tochter des Goldschmieds Simon Eduard Lübbers und dessen Ehefrau Margaretha Rebecca Sauerberg, den Bund fürs Leben ein. Beide werden sich, da sie im selben Viertel groß geworden sind, bereits aus Kindertagen gekannt haben.

Bereits 1887 hatte Mißler ein Gebäude an der Bahnhofstraße Nr. 30 erworben, 1899 kam die Nr. 31 hinzu und 1902 erwarb er ein Haus am Philosophenweg 1, aus dem nach seinem Tode eine Stiftung erwachsen sollte.

Auch nach der Jahrhundertwende brach der Zustrom auswanderungswilliger Menschen nicht ab. Allein 1907 verließen laut Herbert Schwarzwälder etwa 234.000 Menschen über Bremen das Land. In primitiven Wohnverhältnissen lebend, mussten diese häufig wochenlang auf die Abfahrt ihrer Schiffe warten. Um hieran etwas zu ändern, insbesondere aber auch um den Ausbrüchen von Choleraepedemien entgegenzutreten, gründeten der Norddeutsche Lloyd und Mißler die „Bremer-Auswanderer-Hallen GmbH“, in dessen Folge am 9. März 1907 in Findorff die Auswanderer-Hallen der Firma Mißler eröffnet wurden. Insgesamt boten die elf Hallen mehr als 3300 Menschen Platz. Neben Schlafstätten gab es in diesen für die wartenden Auswanderer Wasch- und Toilettenräume aber auch Speisesäle.

Mißler-Hallen in Findorff als KZ genutzt 

Im Laufe der kommenden Jahre durchlebten die Hallen eine Reihe von Veränderungen. Nach Misslers Tod wurde die „Bremer-Auswanderer-Hallen GmbH“ in „Lloydheim GmbH“ umbenannt. Im Frühjahr 1933 richtete der nationalsozialistische Polizeipräsident Theodor Laue dort kurzzeitig ein Konzentrationslager ein, zu dessen prominentesten Häftlingen der SPD-Reichstagsabgeordnete Alfred Faust zählte. Im Krieg zwischenzeitlich als Krankenhaus genutzt, wurden die Hallen später abgerissen.

Für viele überraschend verstarb Mißler am 27. September 1922 an den Folgen eines Herzschlages. Nachdem er zuvor mehrere Jahre in einem noch von ihm errichteten Mausoleum in Achterberg begraben lag, fand er im März 1956 auf dem Riensberger Friedhof seine letzte Ruhe.

Von seinem Vermögen hinterließ er die Summe von 1,5 Millionen RM der Stadt Bremen, aus welcher dann die „Friedrich-Mißler-Stiftung“ hervorgehen sollte. Seine Agentur wurde in eine GmbH umgewandelt und existierte in dieser Form noch bis zu ihrer Schließung vor nunmehr bald 80 Jahren, am 31. Juli 1935.

von Sönke Ehmen

Vom Bahnhof ging es für viele Auswanderungswillige direkt zum Büro der Auswanderer-Agentur von Friedrich Mißler: Diese um 1900 entstandene Aufnahme zeigt Neuankömmlinge bei der Ankunft.
Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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