Was heute das Park Hotel, war früher das „Hôtel de l’Europe“ am Herdentorsteinweg 49/50: eine Top-Adresse, mit der kein anderer Gasthof mithalten konnte, noch nicht einmal das benachbarte und auch nicht eben ärmliche Hillmann’s Hotel. Doch nicht nur auswärtige Gäste genossen den Luxus, auch die feine Bremer Gesellschaft verkehrte gern und viel in der Luxusabsteige. In seinem neuen Beitrag fürs Gaststätten-Lexikon berichtet Bremen History-Autor Peter Strotmann aber nicht nur über die glamouröse Geschichte des Hotelbaus. Sondern auch vom Namenswechsel vor 90 Jahren und von einer belgischen Zwangsarbeiterin, deren Schicksal eng mit dem Hotel verknüpft ist.
Name: Ab 1851 Hôtel de l’Europe, ab 1928 Europäischer Hof
Art: Luxus-Hotel
Inhaber: diverse
von-bis: 1851 bis 1944
2016: heute Geschäftshaus „Europahaus“
Der Herdentorsteinweg war vor und nach den Ersten Weltkrieg die am dichtesten mit Hotels und Gaststätten belegte Straße Bremens. Hotel und Gaststätten waren fast in jedem zweiten oder dritten Haus. Die Geschäfte liefen prächtig. Und eines der großen Hotels, neben dem „Hotel Hillmann“ war das „Hôtel de l’Europe“.
Es hatte eine Anzahl Räume wie Wintergarten, Speisesaal, Rauchzimmer, Wiener Café usw. Dort verkehrte vornehmlich die bessere Bremer Gesellschaft.
1928 ein neuer Name: „Europäischer Hof“
Dieses Hotel soll, auf großer Grundfläche, das stattlichste unter den Bremer Gasthofbauten gewesen sein.
Gebaut wurde es 1850/51 an der Ecke Bahnhofstraße/Herdentorsteinweg-Birkenstraße. Am 27. Februar 1926 brach ein Großfeuer aus. Das Hotel wurde anschließend grundlegend saniert. Als es 1928 wieder eröffnet wurde erhielt es den neuen Namen: „Hotel Europäischer Hof“. Im Seitenflügel zur Bahnhofstraße wurde das Kino „Europa“ eröffnet. Am Herdentorsteinweg entstanden Verkaufsräume. Wegen der veränderten Nutzung hieß das gesamte Gebäude jetzt „Europa-Haus“.
Im Zweiten Weltkrieg war im Hotel „Europäischer Hof“ ein Gemeinschaftslager der Focke-Wulf-Werke eingerichtet
Im Buch „Kriegsende in Bremen“ schreiben Hartmut Müller und Günther Rohdenburg über einen Fall, der im Zusammenhang mit dem Hotel steht:
„Die Befreiung der Insassen des Stadtgefängnisses war eine der ersten Amtshandlungen der in die Stadt einmarschierenden britischen Truppen am 26. April 1945. Sämtliche Ausländer wurden auf freien Fuß gesetzt. Darunter war auch eine Belgierin. Diese war 1940 freiwillig als Arbeiterin nach Deutschland gekommen. Sie wohnte in dem Gemeinschaftslager, das die Focke-Wulf-Werke im ehemaligen Hotel ‚Europäischer Hof’ eingerichtet hatten. Das Haus brannte nach dem Luftangriff in der Nacht vom 18. auf den 19. August 1944 teilweise aus. Nach der Bergung aus den Trümmern des Hotels waren 30 Koffer in einem bewachten Raum untergestellt worden.
Um ihr Hab und Gut transportieren zu können, leerte die Belgierin den Koffer einer Arbeitskollegin und packte ihre eigenen Sachen hinein. Als der Koffer sichergestellt wurde, fehlten mehrere Kleidungsstücke und etwa 100 Reichsmark in bar. Das Sondergericht verurteilte die Belgierin am 31. Oktober 1944 als Volksschädling wegen Diebstahls zu drei Jahren Zuchthaus.“
Ihre Entlassung am 26. April 1945 und möglicherweise auch ihr Leben hatte sie den Wirren der letzten Kriegswochen zu verdanken: Die Verurteilte blieb zunächst zur Verbüßung der Strafe im Gerichtsgefängnis Bremen-Stadt. Sie sollte am 1. Februar 1945 zur Strafverbüßung in das Zuchthaus Cottbus transportiert werden. Am 21. Februar 1945 kam sie wieder im Untersuchungsgefängnis Bremen-Stadt an, denn „der Transport konnte infolge Feindeinwirkung nicht ausgeführt werden“. Während dieser Vorgänge hatte der Oberstaatsanwalt den Ausgang des Verfahrens nach Berlin berichtet. Der Reichsjustizminister äußerte am 5. März 1945 Bedenken gegen das Urteil und wies den Oberstaatsanwalt an, beim Oberreichsanwalt die Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Ziel einer Verurteilung der Belgierin wegen Plünderns anzuregen. Die Todesstrafe wäre die unweigerliche Folge gewesen.
Der Oberstaatsanwalt, der vor dem Prozess an den Reichsjustizminister berichtet hatte, er werde die Todesstrafe beantragen, in der Verhandlung tatsächlich aber fünf Jahre Zuchthaus gefordert hatte, schrieb unter dem 16. April 1945 seinem vorgesetzten Generalstaatsanwalt: „Von der Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde habe ich – dortiges Einverständnis voraussetzend – angesichts der Zeitverhältnisse Abstand genommen. Die erkannte Strafe wird meines Erachtens dem Unrechtsgehalt der Tat gerecht.“ Auf Nachfrage nach dem Verbleib der Verurteilten teilte der Vorstand des Gerichtsgefängnisses am 8. August 1945 dem Oberstaatsanwalt mit: „Die C. wurde am 26. April 1945 durch die Besatzungstruppe entlassen.“ Am 13. August 1945 erklärte der Oberstaatsanwalt die Strafvollstreckung für erledigt.
So ging es nach 1945 weiter
Nach dem Luftangriff von 1944 war der Seitenflügel zur Birkenstraße vollständig zerstört. Einige Jahre standen dort Behelfsbauten. Um 1956 begann die Wiederaufbau. Das Kino „City“ wurde 1957 eröffnet, während das Kino „Europa“ an der Bahnhofsstraße bereits 1950 wieder in Betrieb ging. Ein Hotel ist in dem Haus nicht wieder eingezogen. Es heißt weiterhin „Europahaus“.
von Peter Strotmann