Ein Blick in die Geschichte (123): der Lloydturm 1949
Fünf Jahre lang bot der Turm des Lloydgebäudes an der Papenstraße einen ziemlich jämmerlichen Anblick. Beim Luftangriff vom 6. Oktober 1944 hatte ein Bündel von Stabbrandbomben das Turmdach durchschlagen und eine so starke Hitze entfacht, dass die eiserne Turmspitze abgeknickt war. Seither hing sie mehr oder weniger waagerecht über dem Abgrund – als „Symbol für die zertrümmerte deutsche Schiffahrt“, wie es im Weser-Kurier hieß.
Erst im November 1949 nahm man sich der Sache an und holte die 400 Kilo schwere Spitze herunter. Ein waghalsiges Unterfangen, das ohne Kran von einem Spezialistenteam aus Berlin erledigt wurde. Die Experten sorgten auch dafür, dass der 75 Meter hohe Turm mit seiner offenen Galerie und den markanten Erkern eine neue Spitze erhielt. Die war 2,40 Meter hoch, aus Kupfer gefertigt und sogar mit einer Wetterfahne versehen.
Wenn auch das Dach nicht neu eingedeckt wurde, so zeigen die Sanierungsarbeiten doch, dass der Lloydturm damals noch keineswegs abgeschrieben war. Im Gegenteil, offenbar gab es im November 1949 sogar handfeste Pläne, in der Turmspitze eine exklusive Bar zu eröffnen. Es werde „in wenigen Monaten“ so weit sein, versicherte der Weser-Kurier. Was der Eiffelturm in Paris und der Funkturm in Berlin habe, das werde alsbald auch Bremen im Lloydturm haben: eine Gaststätte in luftiger Höhe. Einziges Manko: „Noch wird der Pächter gesucht.“
Café im Lloydturm als Aprilscherz
Ein verfrühter Aprilscherz war das scheinbar nicht. Es wurde erst einer, als sich nichts tat – am 1. April 1950 meldete der Weser-Kurier, im Lloydturm habe ein Café eröffnet. Dumm nur, dass im ausgebrannten Turm weder Treppen noch ein Fahrstuhl zur Verfügung standen. Folge: Die ersten Gäste seien im Korb hochgehievt worden. Gleichwohl keimte noch ein Fünkchen Hoffnung, der Zeitungsredakteur ließ durchblicken, wie sehr er sich wünsche, dass „aus diesem Aprilscherz Wirklichkeit werden würde“.
Doch daraus wurde nichts, die AG Weser als neue Eigentümerin wollte kein Geld in den stark sanierungsbedürftigen Turm stecken. Im Juli 1953 begann der Abbruch, bald darauf war das einstige Wahrzeichen verschwunden. Nicht nur für das Ansgariviertel, auch für die Stadtsilhouette ein weiterer, herber Schlag: erst im September 1944 der Verlust des Ansgarii-Kirchturms und nun auch noch der ruhmlose Abgang des Lloydturms.
Immerhin verschwand „nur“ der Turm, nicht das ganze Lloydgebäude, das fortan der Bauverwaltung als Sitz diente. Freilich war damit die Symmetrie des Monumentalbaus ein für allemal dahin. Waren doch der schlanke Turm an der Pelzerstraße und der runde Zwiebelturm an der Großen Hundestraße ursprünglich als eine Art Einheit gedacht gewesen, sie hatten das Bauwerk an beiden Enden augenfällig abgeschlossen. Jedermanns Sache war der „eigenwillig gestaltete“ Turm indessen nicht, wie es Hans Hermann Meyer behutsam, aber unmissverständlich formulierte.
Als sein neues Verwaltungsgebäude hatte der Norddeutsche Lloyd den nach eigenem Bekunden „palastartigen Riesenbau“ in mehreren Bauabschnitten von 1901 bis 1910 am traditionellen Reedereistandort errichten lassen. Als Architekt firmierte Johann Georg Poppe, damals in Bremen der gefragteste Experte für repräsentative Monumentalbauten. Seine Spezialität: historistische Gebäude ganz nach dem Geschmack der Zeit, aber überdeckt mit noch mehr Ornamenten als ohnehin schon üblich. Poppe habe sich „auch hier den pomphaften Stil der Renaissance zum Vorbild genommen“, hieß es völlig frei von Ironie in der Einweihungsbroschüre.
Gut anderthalb Jahrzehnte nach dem Abriss des Lloydturms musste auch der Rest des Lloydgebäudes dran glauben, an seiner Stelle erbaute Horten 1969 ein neues Kaufhaus, heute Galeria Kaufhof. An die stolze Vergangenheit erinnert heute nur noch die Lloyd-Passage.
von Frank Hethey