Zum Weltfrauentag am 8. März: Die vergessene Gewerkschafterin und Frauenrechtlerin Anni Gondro
Die Mai-Demonstration 1948 in Bremen führte noch an kriegszerstörten Häusern vorbei. Im Demonstrationszug – inmitten der männlichen Kollegen – geht eine Gewerkschafterin der ersten Stunde, Anni Gondro. In Bremen erinnert sich kaum jemand an sie.
Anni Gondro war bald nach Kriegsende in die Gewerkschaft eingetreten. Sie arbeitete damals schlecht bezahlt in der Küche bei der Schulspeisung. „Halbnackt“, wie sie sagte, ohne vernünftige Schuhe und Strümpfe mit sechs anderen Frauen auf blankem Steinboden. Ihren Aufnahmeschein brachte sie Karl Wastl, dem Leiter der Zahlstelle Bremen Nord des Metallarbeiterverbandes. „Den habe ich dann angesprochen, weil wir ja weder Schuhe, Strümpfe in dem Winter in der Kälte hatten.“ Wastl besorgte Schuhe und gewann gleichzeitig die Frauen für den Gewerkschaftseintritt.
Viele Missstände in den Fabriken
Gondro setzte sich gewerkschaftlich zunächst für Frauen vor allem in Bremen-Nord ein, mit der Vulkanwerft, der Norddeutschen Steingut und der Wollkämmerei ein starker Industriestandort. Sie fand dort viele Missstände vor. Der damalige stellvertretende DGB-Vorsitzende Richard Boljahn unterstützte sie dabei, die Interessen der weiblichen Betriebsangehörigen zu vertreten. Zuerst ging es um die Arbeitsbedingungen für die Frauen in der Fischfabrik. Anni Gondro fiel sofort auf: „Die Frauen arbeiteten in dem Salz ohne jede Schutzbedeckung.“ Boljahn versprach Hilfe bei ihrem Kampf, gemeinsam hatten sie Erfolg.
Doch wer war diese streitbare Frau eigentlich? Als Anni Bakalla war sie 1919 in Oberschlesien zur Welt gekommen. Die Eltern betrieben ein Lebensmittelgeschäft. Zu ihren Kunden gehörten ärmere, auch jüdische Familien. Genug Gründe für die Nazis, das Geschäft zu schließen. Als Konsequenz musste die 14-Jährige vom Oberlyzeum in eine Schuhfabrik wechseln. Der Vater war sozial engagiert und verweigerte sogar den Dienst an der Waffe. Er wurde zum Vorbild für seine Tochter.
Nach dem Zweiten Weltkrieg floh Anni Gondro nach Bremen und war zunächst bei der Schulspeisung tätig. Auch, weil ihre beiden Kinder dadurch täglich eine warme Mahlzeit erhielten. Eine weitere Station war das Kaufhaus Karstadt. Gondro arbeitete zunächst in der Lebensmittelabteilung, die von den Verkäuferinnen abends selbst gereinigt werden musste.
Zehn Prozent weniger für Frauen
Gondro wandte sich wiederum an Richard Boljahn, der dafür sorgte, dass diese Praxis beendet wurde. Das Hauptproblem sahen die Kolleginnen allerdings darin, dass allen weiblichen Angestellten ganz pauschal zehn Prozent vom Gehalt abgezogen wurden. Außerdem wollten die Arbeitgeber die Öffnungszeiten am Sonnabend verlängern. Die Kolleginnen waren empört.
Gondro nahm an den Tarifverhandlungen aufseiten der Gewerkschaft teil. Parallel stellte sie mit ihrer Gewerkschaft zu den Verhandlungen eine große Demonstration auf die Beine. Als das Verhandlungsergebnis draußen verkündet werden sollte – es sollte beim Gehaltsabschlag für die Frauen bleiben – sahen sich die Arbeitgeber einer überraschend großen Menschenmenge gegenüber. Die Verhandlungen wurden wieder aufgenommen und die Arbeitgeber knickten ein, das Gehalt wurde angeglichen. „Es dauerte keine halbe Stunde, da hatten wir die zehn Prozent für die Frauen weg und unser freies Wochenende. Und das war der Sieg in Bremen.“
Gondro war eine Netzwerkerin. Sie sah sich in ihrem Engagement unterstützt von der ersten Bremer Senatorin Käthe Popall und der späteren Bürgermeisterin Annemarie Mevissen. Sie arbeitete zusammen mit Boljahn, der bald DGB-Vorsitzender wurde, mit dem ÖTV-Jugendsekretär und späteren Bremer Bürgermeister Hans Koschnick und in der Bildungsarbeit mit Helene Kaisen, der Ehefrau des Bürgermeisters Wilhelm Kaisen.
Anni Gondro wurde zur ersten Vorsitzenden des Frauenausschusses im DGB Bremen und damit automatisch DGB-Vorstandsmitglied. Sie erkannte die Bedeutung der Beteiligung von Frauen in den Tarifkommissionen. Daher forderte sie bereits im April 1950, „daß die Frauen zu ihren Lohn- und Arbeitsbedingungen selbst Stellung nehmen können. Daß alle Industriegewerkschaften zu ihren Tarifkommissionen aktive Frauenfunktionärinnen hinzuziehen. Selbst Gewerkschaften, deren Mitglieder zu einem großen Teil Frauen sind, haben bis jetzt noch in keiner Tarifkommission eine Frau.“
Sie trat ein für die Gleichberechtigung der Frau, forderte gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Wurde sie ernst genommen in der Männerdomäne Gewerkschaft? Ihre Antwort: „Ich glaube, ernst genommen haben sie mich. Aber das Leben schwer gemacht haben sie mir auch, die Männer. Also ich habe mich, würde ich sagen, auch immer ein bisschen durchgesetzt.“ Da kam schon mal der Gedanke: „Warum musst du dich eigentlich mit den Kerlen rumärgern?“ Ihre Position: „Was glaubt ihr, was Frauen denken, wenn sie sehen, da ist nicht eine Frau im Vorstand. Ihr schadet euch ja alle selber.“
Von Bremen nach Hannover
1957 zog die Sozialdemokratin Anni Gondro wegen einer neuen Arbeitsstelle nach Hannover. Sie hatte auch dort viele herausgehobene Funktionen, in der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV), der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), später bei Verdi, war vor Ort Vorstandsmitglied ihrer Gewerkschaft und Personalratsvorsitzende bei der Landesversicherungsanstalt Hannover. Gondro erhielt etliche Auszeichnungen, 1981 schließlich das Bundesverdienstkreuz.
Aber sie sagte: „Die Bremer Zeit ist die beste gewesen.“ Bis ins hohe Alter organisierte sie zupackend praktische, gewerkschaftliche Unterstützung und stritt hartnäckig für Frauenrechte. Sie starb im November 2014 im Alter von 95 Jahren.
Heike Blanck ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin und seit 1981 Mitglied der Gewerkschaft ÖTV/Verdi. Sie hat Arbeiten über die NS-Zeit und die Rolle der Frau geschrieben.