Ein Blick in die Geschichte (207): Der Freimarkt 1948 – Fischwurst gab’s auch ohne Marken

Vom Dach des früheren Lloyd-Bahnhofs wurde dieses Foto des Bremer Freimarkts im Oktober 1948 aufgenommen. An sich wirkt das muntere Treiben gar nicht so sehr viel anders als heute. Zwei Achterbahnen sorgten damals für ordentlichen Nervenkitzel, für die „ganz Wagemutigen“ boten sich laut WESER-KURIER die „Raketensteilwand“, die „Teufelskutsche“ und das „Taifunrad“ an. Ferner gab es eine Berg- und Talbahn, die „tückische Spinne“ sowie drei Autoskooter mit Fahrzeugen, die noch den klassischen Rennwagen nachempfunden waren.

Beim Blick auf den Freimarkt fällt natürlich sofort der unverstellte Blick ins Grün des Bürgerparks ins Auge, die Stadthalle war damals noch Zukunftsmusik. Als Ersatz für Großveranstaltungen gab es damals die hölzerne Sporthalle an der Gustav-Deetjen-Allee, die 1945/46 von der US-Army errichtet worden war. Im März 1948 war die Halle an die Stadt Bremen übergeben worden. Als erster Pächter versuchte sich seit dem 1. September 1948 das ehemals Berliner Groß-Varieté Plaza in der Sporthalle – daher auch die Aufschrift an der Hallenwand.

Heißhunger auf Fischbratwurst: In Mangelzeiten schmeckte es doppelt so gut.
Foto: Georg Schmidt

Das Gebäude hinter der Sporthalle ist der Parkbahnhof, der Startpunkt der Kleinbahn „Jan Reiners“, die bis nach Tarmstedt dampfte. In den frühen Nachkriegsjahren transportierte sie zahlreiche Bremer ins Umland: Bei den sogenannten Hamsterfahrten tauschten darbende Stadtbewohner bei der Landbevölkerung Wertgegenstände gegen Essbares ein. Zu Freimarktzeiten wurde die Kleinbahn in umgekehrter Richtung eifrig genutzt, der Endbahnhof in direkter Nachbarschaft zur Bürgerweide war ideal für ländliche Festplatzbesucher. 1954 wurde der Betrieb zwischen Bremen und Falkenberg eingestellt, das Bahnhofsgebäude musste 1960 dem geplanten Bau der Stadthalle weichen, wenig später ereilte auch die Sporthalle das gleiche Schicksal.

Die vielzitierten „schweren Nachkriegsjahre“ neigten sich damals dem Ende zu. Von einer akuten Versorgungskrise wie im berüchtigten „Hungerwinter“ 1946/47 konnte keine Rede mehr sein, das machte sich auch auf einem großen Volksfest wie dem Freimarkt bemerkbar.

Seit Juli 1948 waren einheimisches Obst, Eier und Gemüse ohne Marken erhältlich. Fleisch, Butter und Südfrüchte unterlagen dagegen noch immer der staatlichen Bewirtschaftung, erst im März 1950 wurden sämtliche Rationierungsmaßnahmen aufgehoben. Einzig für Zucker galt die Freigabe nicht, die Bremer mussten sich mit einer schrittweisen Anhebung der Rationen begnügen. Im Herbst 1948 war die Zuckerration gegenüber dem Vorjahr aber immerhin um das Dreifache angestiegen, etwa 60 Zucker- und Backwarengeschäfte erwarteten einen wahren Massenansturm.

Für einiges Aufsehen sorgten 1948 die neu erfundenen Fischwürste, die aussahen wie Bockwürste. Der Vorteil: Anders als Fleisch gab es Fischwürste auch ohne Marken. Wieder anders sah es bei Fischbötchen aus, die damals nicht als markenfreie Gaumenfreude zu haben waren. Dafür mussten Brotmarken an den 20 Fischständen abgegeben werden.

Noch längst nicht verdaut hatte die Bevölkerung die Währungsreform vom 20. Juni 1948. Mit dem Ende der Reichsmark und der Einführung der D-Mark gab es zwar wieder Luxusgüter, die Preise auch für Lebensmittel stiegen bis zum Jahresende aber deutlich an. Nach anfänglicher Euphorie murrten die Menschen, die Zahl der Sozialhilfeempfänger schnellte in die Höhe, seit Mitte Oktober gab es Massenproteste in Bremen, Mannheim und Stuttgart. Auf Druck der Straße riefen die Gewerkschaften am 12. November 1948 zu einem eintägigen Generalstreik auf, auch in Bremen ruhte fast überall die Arbeit. Diese Krisenstimmung war kurz zuvor auch schon auf dem Freimarkt mit Händen zu greifen.

Die Schausteller wollten davon allerdings nichts wissen. Der Freimarkt von 1948 sei der erste, der wieder „friedensmäßig“ aufgezogen sei, ließen sie bei der Präsentation wissen.

 

Unverstellter Blick bis in den Bürgerpark: der Bremer Freimarkt im Oktober 1948.
Quelle: WK-Archiv

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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