Ein Blick in die Geschichte (68): Foto von 1925 zeigt Obernstraße mit Prachtbau der Sparkasse
Nur noch wenig gemein mit dem heutigen Erscheinungsbild hat diese Aufnahme der Obernstraße von 1925. Als sicherer Orientierungspunkt dienen die Domtürme, der Rest fiel fast ausnahmslos dem Bombenkrieg zum Opfer. Darunter auch der repräsentative Prachtbau am linken Bildrand, dessen Schmalseite nahezu vollständig zu sehen ist.
Das längliche Bauwerk zwischen Ansgarikirchhof und Papenstraße trug unverkennbar die Handschrift des renommierten Architekten Johann Georg Poppe, der später auch das Lloydgebäude und die Baumwollbörse entwarf. Errichtet wurde das Gebäude an der Obernstraße 55 (bis 1903: 27) 1881/82 im damals modernen Palazzo-Stil der italienischen Neorenaissance als Hauptstelle der Sparkasse in Bremen.
Ebenso prunkvoll wie die Fassade war auch der Innenraum ausgestattet, vor allem der Sitzungssaal im ersten Obergeschoss. Der Haupteingang ist nur zu erahnen, er befand sich an der Ecke Obernstraße/Papenstraße. Dem Kundenverkehr und überhaupt dem Geschäftsbetrieb war fast ausschließlich das Erdgeschoss vorbehalten, die beiden oberen Stockwerke beherbergten die Privaträume der Direktoren. Vom Wohnzimmer konnte man den mächtigen Balkon betreten.
Mehr als eine halbe Million Mark ließ sich die Sparkasse das Bauwerk kosten. Und doch erwies es sich schon bald als zu klein, 1906 eröffnete die Sparkasse eine neue Hauptstelle am Brill. Seither wurde der Poppe-Bau als Behördensitz genutzt, erst zog das Generalsteueramt ein, danach das Finanzamt West.
Schon Zeitgenossen attestierten dem Bauwerk ein „monumentales Gepräge“. Tatsächlich ging man bereits im 19. Jahrhundert wenig zimperlich vor, wenn es sich um Prestigeprojekte handelte. Für große Poppe-Bauten wie das Lloydgebäude und die Baumwollbörse mussten reihenweise Häuser weichen. Nur wenige Jahre nach Entstehung dieses Fotos wurde 1929 abermals ein ganzer Häuserblock abgebrochen, um Platz zu schaffen für den Karstadt-Neubau – ein damals keineswegs unumstrittenes Großprojekt.
Vorn rechts ein ungewohnter Anblick: Dort mündet die Molkenstraße in die Obernstraße. Das blieb so bis 1960, als die Molkenstraße im Zuge des Martini-Durchbruchs aufgehoben wurde.
von Frank Hethey