Vor 50 Jahren

Die rund 2000 Mitarbeiter der Bremer Woll-Kämmerei erhalten rückwirkend vom 1. Juni 1972 an mehr Geld. Für die gewerblichen Arbeitnehmer aller Lohngruppen wird der Stundenlohn um 40 Pfennig erhöht; die Angestellten beziehen ein um acht Prozent höheres Gehalt. (WESER-KURIER, 10./11. Juni 1972)

Hintergrund

Mehr als die Hälfte ihrer Belegschaft hatte die Bremer Woll-Kämmerei (BWK) binnen 13 Jahren eingebüßt. Waren 1957 noch knapp 5000 Personen in dem Blumenthaler Großunternehmen beschäftigt, so sank diese Zahl seither kontinuierlich. 1975 arbeiteten nur noch 1000 Menschen bei der BWK, 2006 waren es gerade einmal 260. Dennoch wäre es falsch, die stetig sinkende Belegschaft als Indiz für den Niedergang des Traditionsunternehmens zu bewerten. Im Gegenteil, nicht zuletzt durch drastische Rationalisierungen konnte sich die BWK erstaunlich lange am Markt behaupten.

Die Geschichte der BWK begann 1883. Damals gründeten Bremer Kaufleute die Wollkämmerei in Form einer Aktiengesellschaft, der Betrieb wurde im September 1884 mit 150 Arbeitern aufgenommen. Für die Wahl Blumenthals als Firmenstandort gab es gute Gründe: Der Ort gehörte zu Preußen und damit im Gegensatz zu Bremen zum Deutschen Zollverein. Wollten Bremer Investoren lästige Zölle sparen, taten sie gut daran, für Industrieansiedlungen ins Umland auszuweichen. Die Lage an der Weser begünstigte den Transport der Rohwolle und des bearbeiteten Produkts.

Für die Verarbeitung der Rohwolle wurde viel Personal benötigt. Ein beträchtlicher Anteil der BWK-Arbeiterschaft wurde in Osteuropa angeworben, vor allem aus polnischsprachigen Gebieten – eine historische Form der Arbeitsmigration. Für die Entwicklung Blumenthals war die BWK von entscheidender Bedeutung, in dem ehemals verschlafenen Dorf boomte der Wohnungsbau. 1897 kam der Bahnanschluss; mit Schulen, Kirchen und einem Krankenhaus entstand eine moderne Infrastruktur.

Gebaut, als die Zahlen schon nicht mehr stimmten: die Nordwolle-Zentrale, heute Haus des Reichs, in der Bremer Innenstadt.
Bildvorlage: Nordwestdeutsches Museum für Industriekultur

Anders als die Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei (kurz: Nordwolle) in Delmenhorst, deren Sitz sich seit 1928 im heutigen Haus des Reichs in Bremen befand, überstand die BWK die Weltwirtschaftskrise unbeschadet – wobei im Falle der Nordwolle jahrelanges Missmanagement mitwirkte. Auch der Zweite Weltkrieg konnte der Firma nichts anhaben, bei der Umstellung auf Kriegsproduktion wurden zahlreiche Zwangsarbeiter eingesetzt.

Auch wenn die BWK sich nach Kriegsende wegen des „Eisernen Vorhangs“ neue Absatzmärkte suchen musste, ging es bald wieder bergauf. Das „Wirtschaftswunder“ machte sich bemerkbar, in den späten 1950er-Jahren schüttete die Firma Dividenden von bis zu zehn Prozent aus. Die Zahl der Beschäftigten erreichte ihren Höchststand, im Sommer 1959 wurden in Ermangelung einheimischer Arbeitskräfte 450 Italiener angeworben. Doch dabei blieb es nicht, aufgrund steigender Lohn- und Energiekosten setzte die BWK auf moderne Maschinen. Die Folge: immer weniger Arbeitsplätze. Vor allem Ungelernte und „Gastarbeiter“ hatten das Nachsehen.

Seit den 1980er-Jahren orientierte sich die BWK unter anderem mit der Verarbeitung von Chemiefasern an den Bedürfnissen des Markts. Zu Beginn der 1990er-Jahre sollten Tochterunternehmen in Australien und Neuseeland neue Absatzmärkte erschließen, 2003 kam eine Niederlassung in der Türkei hinzu. Die Krise nahm jedoch immer konkretere Gestalt an, Wolltextilien hatten es schwer auf dem Weltmarkt. Im März 2007 übernahm die Elders Australia die BWK, Ende Februar 2009 kam das Aus für den Bremer Standort.

Auf dem früheren BWK-Gelände besteht bis heute die bereits 1999 gegründete Brewa, die den Betrieb der Eindampf- und Feuerungsanlage fortsetzt. Etliche Wohn- und Firmengebäude stehen inzwischen unter Denkmalschutz. Die Einrichtung eines Kämmerei-Museums ist gescheitert, nun setzt sich eine Initiative für die sinnvolle Weiternutzung des Kämmerei-Quartiers ein. Als aussichtsreich gelten derzeit die Pläne für eine Schule und eine Schwimmhalle in einstigen Firmengebäuden.

Florierende Nachkriegsjahre: Viel Frauenarbeit war bei der Bremer Woll-Kämmerei angesagt.
Quelle: Initiative Kämmerei-Quartier Blumenthal

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