Als Deutsches Kolonial-Museum sollte das heutige Übersee-Museum neue Maßstäbe setzen
Von der Umbenennung „seines“ Museums erfuhr Direktor Carl Friedrich Roewer am Telefon. „Deutsches Kolonial-Museum“ sollte es künftig heißen, so die Ansage im Januar 1935, nicht mehr Staatliches Museum für Natur- , Völker- und Handelskunde. Wirklich begeistert war der damals 53-Jährige von der Senatsinitiative nicht. Vielmehr gab er zu bedenken, dass im Museum auch umfangreiche Sammlungen aus Ostasien vorhanden seien. Daher regte er nach eignem Bekunden an, die Namensfindung ein wenig zu modifizieren – in „Deutsches Kolonial- und Übersee-Museum“.
Die Umbenennung hatte eine lange Vorgeschichte, beginnend mit der Rolle Bremer Kaufleute bei der Entstehung des deutschen Kolonialreichs ab 1884. Im heutigen Namibia hatte der Kaufmann Adolf Lüderitz mit dubiosen Methoden umfangreiche Landstriche an sich gebracht und unter den Schutz des deutschen Kaiserreichs stellen lassen. Als Schutzgebiet markierte Deutsch-Südwestafrika den Beginn der deutschen Kolonial-Ära.
Einflussreiche Koloniallobby
Zwar hielt sich die koloniale Euphorie nicht zuletzt unter dem Eindruck der immens kostspieligen, blutigen Kolonialkriege in Grenzen. Bremen machte da keine Ausnahme, zumal die wirtschaftliche Ausbeutung der deutschen Kolonien kaum in Gang kam. Doch diese eher abwartende, reservierte Haltung änderte sich, als Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg im Versailler Vertrag von 1919 seinen gesamten Kolonialbesitz einbüßte. Plötzlich galten deutsche „Kolonialpioniere“ wie Lüderitz als zu Unrecht vergessene und verschmähte Helden.
Seit den frühen 1920er-Jahren verschaffte sich in Bremen eine einflussreiche Koloniallobby immer mehr Gehör. Geschickt lotste man den „Helden von Ostafrika“, General Paul von Lettow-Vorbeck (mehr dazu hier), an die Weser – der klamme Kriegsheld erhielt wirtschaftliche Starthilfe für den Aufbau einer bürgerlichen Existenz. Als Sprachrohr kolonialrevisionistischer Bestrebungen war der äußerst populäre Lettow-Vorbeck nicht zu unterschätzen. Wann immer die Forderung nach Rückgabe der Kolonien erhoben wurde – er war der geeignete Mann, sie zu formulieren.
So auch im Juli 1932 bei der Einweihung des höchst umstrittenen Kolonialdenkmals. Als „Reichskolonialehrenmal“ bekundete der rote Klinkerelefant einen unmissverständlichen Geltungsanspruch über Bremen hinaus. Stellvertretend für ganz Deutschland sollte das Denkmal den kolonialen Drang vor allem nach Afrika bekräftigen. „Möge es auch ein Symbol sein für die unverjährten und unverjährbaren Rechte Deutschlands auf gleichberechtigte koloniale Betätigung in der Welt“, erklärte der damalige Senator Theodor Spitta bei der Feierstunde. Lettow-Vorbeck brachte die Haltung auf den Punkt: „Ein großes Volk muss Kolonien haben, um leben zu können.“
War das Kolonialdenkmal ein erster Meilenstein bei den Bemühungen Bremens, sich als heimliche Kolonialhauptstadt zu positionieren, so erhielten diese Ambitionen durch die NS-Machtübernahme beträchtlichen Auftrieb. Vor allem im Wettstreit mit Hamburg wollte Bremen als „Stadt der Kolonien“ punkten. Nicht zufällig fand die „Reichskolonialtagung“ 1938 in Bremen (mehr dazu hier) statt – wäre es nach dem Senat gegangen, hätte es keinen anderen Austragungsort mehr gegeben.
Erste Überlegungen Bremens, sich ein prestigeträchtiges Kolonialmuseum zuzulegen, datiert die Historikerin Bettina von Briskorn auf Ende 1933. Wie das Kolonialdenkmal war auch das Museum für höhere Weihen bestimmt. Es sollte ausdrücklich das „deutsche Kolonialmuseum“ sein, ein Nationalmuseum. Dabei drängte die Zeit, stand doch 1934 ein „koloniales Gedenkjahr“ an – der 50. Jahrestag der Geburt des deutschen Kolonialreichs.
Umbenennung nicht vorgesehen
Zunächst war keineswegs daran gedacht, das schon vorhandene Museum am Bahnhofsplatz einfach umzutaufen. Stattdessen sollte die Gemäldesammlung des „Tropenmalers“ Ernst Vollbehr als Grundstock eines völlig neuen Kolonialmuseums dienen, des „Lüderitz-Hauses“. Um sich den Segen von ganz oben zu holen, sprach der Regierende Bürgermeister Richard Markert im Januar 1934 sogar in Berlin bei Reichskanzler Adolf Hitler vor. Der hatte gegen das Projekt nichts einzuwenden, lehnte aber aus außenpolitischer Rücksichtnahme eine offizielle Beteiligung bei der Einweihung ab.
Soweit sollte es indessen gar nicht kommen. Finanzielle Engpässe verhinderten laut Briskorn die Eröffnung des Kolonialmuseums im kolonialen Gedenkjahr. Da war es geradezu ein Geniestreich, schlicht und einfach eine Namensänderung vorzunehmen. Ohne auch nur eine müde Mark zu investieren, hatte Bremen quasi über Nacht sein ersehntes Kolonialmuseum. Die Begründung des zuständigen Senators Richard von Hoff im Januar 1935: Da das staatliche Museum am Bahnhof „in einem erheblichen Umfange bereits Kolonialmuseum“ sei, könne man ihm „schon jetzt den Namen ‚Deutsches Kolonial-Museum'“ beilegen.
Ein neuer Name also für ein Museum, das auf Initiative seines neuen NS-Direktors kurz zuvor schon einmal umbenannt worden war. Erst seit Oktober 1933 hieß es Staatliches statt Städtisches Museum für Natur- , Völker- und Handelskunde – es sollte eben nicht so provinziell wirken. Anders als von Roewer behauptet, dürfte die Ergänzung um den Namensteil „Übersee“ aber nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen sein. Bereits im Juli 1934 hatte die parteiamtliche „Bremer Zeitung“ seine Namensfindung als „ein wenig ledern“ kritisiert. Städtische oder Staatliche Museen gebe es schon zuhauf, aber kaum eine Sammlung mit so vielen Schätzen aus den Kolonien und Übersee. „Warum also eigentlich nicht Deutsches Kolonial- und Übersee-Museum?“
Als die Neuausrichtung beschlossene Sache war, legte der bei der neuerlichen Namensänderung übergangene Roewer eine bemerkenswerte Hartnäckigkeit an den Tag, um dem Auftrag gerecht zu werden. Wenn man das Museum schon als koloniales Aushängeschild profilieren wollte, dann sollte dieser Anspruch gefälligst auch eingelöst werden. Leicht verschnupft erklärte Roewer am 25. Januar 1935, er dürfe wohl kräftigste Unterstützung erwarten, nachdem der Senat „nun einmal“ die Ausgestaltung zum Deutschen Kolonial- und Übersee-Museum beschlossen habe. Doch die zugestandene Erhöhung des Museumsetats und die Personalaufstockung reichten ihm nicht. Sechs bis sieben Jahre veranschlagte Roewer für den Ausbau des Museums.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs machte seine Pläne zunichte. Am 4. September 1939 beendete das Haus seinen Ausstellungsbetrieb, genauso wie die Kunsthalle und das Focke-Museum sollte es bis Kriegsende nicht mehr öffnen. Hinter verschlossenen Türen arbeitete Roewer unverdrossen weiter, um das Museum für die Zukunft neu aufzustellen. Schwere Bombenschäden vernichteten auch Teile der Sammlungen. Nach dem Krieg war vom Deutschen Kolonial- und Übersee-Museum keine Rede mehr. Auf einem Briefkopf vom Juni 1945 ist der alte Name gestrichen und stattdessen wieder von „Museum für Natur, Völker- und Handelskunde“ die Rede – ohne den Zusatz „städtisch“ oder „staatlich“.
Eine lange Lebensdauer war der traditionellen Bezeichnung freilich nicht beschieden. Im Oktober 1952 beschloss der Senat die Umbenennung in Übersee-Museum und konservierte damit einen Teil der Namensfindung aus NS-Zeiten – der koloniale Aspekt hatte sich von selbst erledigt. Laut Museumsführer fand der eingängige Name „schnell Eingang in den Volksmund“. Erst acht Jahre später wurde allerdings auch der Schriftzug am Haus entsprechend geändert.
Das Lüderitz-Haus an der Martinistraße
Als das bisherige Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde im Januar 1935 den Namen Deutsches Kolonial- und Übersee-Museum erhielt, bedurfte es im Prinzip keines „Lüderitz-Hauses“ mehr. Doch Kaffeemagnat Ludwig Roselius ließ nicht locker und trieb die Planungen für ein zweites Kolonialmuseum auf eigene Faust voran, unter anderem 1935 mit dem Kauf der kolonialen Vollbehr-Gemälde. Ironischerweise wurde das Lüderitz-Haus als privates Kolonialmuseum an der Martinistraße im September 1940 dann doch noch eröffnet – mithin zu einem Zeitpunkt, als das Museum am Bahnhofsplatz schon ein Jahr geschlossen war. Nach drei Jahren wurden die Bestände kriegsbedingt ausgelagert, 1944 zerstörte eine Bombe das Gebäude. Einige Objekte gelangten 1955 ins Übersee-Museum.
Dreiteilige Serie zum 125-jährigen Bestehen des Übersee-Museums
2. Teil: Das Überseemuseum als Kolonialmuseum
3. Teil: NS-Direktor Carl Friedrich Roewer