11. Januar 1881: Die Vorstädte stehen unter Wasser / Übersicht zur derzeitigen Situation (Teil 3)
Die Lage ist dramatisch: In der Vorstadt Doventhor räumen die Bewohner ihre Häuser, die Souterrains stehen komplett unter Wasser. Kaum ein Durchkommen auch in Pagenthorn und Schwachhausen, überall behelfen sich die Anwohner mit selbst gezimmerten Laufstegen. Der Bürgerpark ist eine riesige Wasserlandschaft, auf der ein reger Bootsverkehr herrscht.
Wie mehrfach ausführlich berichtet, hatte sich die angestaute Wümme am 29. Dezember 1880 ein neues Bett gesucht. Sie ließ den aufgeweichten Deich in Niederblockland brechen und breitete sich in den Niederungen der rechten Weserseite aus. Und noch heute fließt das Wasser der Wümme ungehindert weiter ins Land hinein. In unseren Rückschau wollen wir dem geneigten Leser die Tage vom Deichbruch bis zum 11. Januar 1881 im Gebiet in und um dem Bürgerpark herum zusammenfassend näher bringen.
Möbel mit Kähnen abtransportiert
In der zur Vorstadt Doventhor gehörigen Straßen links vom Bürgerpark ist die Lage eine sehr Ernste. Die Plantage, Brandtstraße, Neukirchstraße, Hemmstraße und weitere waren über den Torfkanal und den Torfbassin sofort unter Wasser gesetzt. Hier war bis zum achten Januar noch Bootsverkehr möglich. Jetzt, da der Frost eingesetzt hat, hangeln sich die betroffenen Bewohner auf den aufgestellten Stegen, selbige mehr als unsicher sind. Etliche Familien sind bereits ausgezogen. Betten, Möbel etc. ließen sie mit Kähnen abtransportieren.
Die Souterrains der Häuser sind bis oben hin voll Wasser. In den Senken der Ländereien steht das Wasser wohl 6-8 Fuß (1 Bremer Fuß = 0,28935 Meter) hoch. Die kleinen Holzhäuschen der Gemüsebauern stehen bis zum First im Wasser oder sind weggeschwemmt. Siebzig mit Torf beladene und in der Neukirchstraße stehende Fuhrwerke konnte gerade noch rechtzeitig auf dem Gelände des Venlo-Hamburger Bahnhofs in Sicherheit gebracht werden. Das Gebiet ist kaum erreichbar.
Benque standen Tränen in den Augen
Eines unserer beliebtesten Bremer Ausflugziele, der erst 1866 angelegte Bürgerpark, ist vollends in den Fluten versunken. Dies konnte ich am sechsten Januar selbst in Augenschein nehmen. Verabredet mit dem Park-Direktor Herrn Wilhelm Benque, unternahmen wir eine Bootsfahrt durch das Gebiet. Diesem genialen Gartengestalter standen buchstäblich die Tränen in den Augen. Von den neu angepflanzten Sträuchern ist oftmals kaum noch etwas zu sehen. Das Parkhaus ist nur mit Booten zu erreichen. Davon wurde in den letzten Tagen ausgiebig Gebrauch gemacht.
Von der Emmabank schaut nur noch die Spitze der mittleren Säule heraus. Hier wird das Wasser wohl knapp sechs Fuß, also um einen Meter siebzig, hoch stehen. An einigen Stellen soll der Wasserstand 10 Fuß und mehr betragen. Der Direktor legt allen dringend ans Herz, bei solchen Lustfahrten keine Bäume zu beschädigen, nicht das Wild zu jagen, das sich auf höhergelegene Flächen geflüchtet hat. Verschiedentlich seien Bootsfahrer in die Pflanzungen hineingefahren, wären an den Ästen hängengeblieben und hätten die Boote fast zum Kentern gebracht. Deshalb seine Bitte und Warnung nur die breiten Wege zu benutzen. Dieser Aufforderung zu verantwortungsvollem Tun geben wir gern weiter.
Pagenthorn vom Verkehr abgeschnitten
Im Gebiet Pagenthorn, das sich vom Steinthor bis an das Landgebiet Schwachhausen erstreckt, ist vom Durchgangsverkehr so ziemlich abgeschnitten. Dies bedingt durch die beiden Eisenbahnlinen, der Hannoverschen, sowie der Venlo-Hamburger Linie.
Die Züge fahren in diesen Bereich auf Dämmen. Unter den Brücken senkte man die Fahrbahnhöhe ab. Das sollte sich jetzt als nachteilig herausstellen. Die Fahrbahn (Straße soll Parkallee benannt werden) unter der Brücke zur Rembertistraße hin, sowie die an der Schwachhauser Chaussee (heute Schwachhauser Heerstraße) sind naturgemäß voll Wasser gelaufen. Hier ist nur Fährverkehr mit Booten möglich.
Riensberger Friedhof wie eine Insel im Meer
Das Landgebiet Schwachhausen ist derzeit nur über das Steinthor, dann durch die Hornerstraße, weiter zur Uhlandstraße hinein, die Schwachhauser Chaussee zu erreichen. Diesen Weg nehmen auch die Leichenzüge zum 1875 angelegten Riensberger Friedhof. Einem dieser Trauerzüge musste ich mich leider wegen einen verstorbenen Onkels mütterlicherseits anschließen.
Da die Hornerstraße im Teil zur Bismarckstraße noch nicht befestigt war, blieben wir mit dem Leichenwagen im Morast stecken. Mit der Hilfe aller zogen wir den Karren weiter. Am Consumtionshaus (Zolleinnehmerhaus), das die Grenze zwischen Pagenthorn und Schwachhausen darstellt (in Höhe der späteren Metzer Straße), gesellte sich auch der Gemeindevorsteher Johann Depken zu uns. Der Riensberger Friedhof liegt den entscheidenen Fuß höher als das umliegende Gelände wie eine Insel im Meer. Die Schwachhauser Chaussee einschließlich der Friedhofstraße sei bis dorthin trocken. In seinem Bereich läge die Schwachhauser Chaussee teilweise im alten Flussbett der Gethe und deshalb etwas tiefer als das anschließende Land. In einer gemeinsamen Aktion wäre es jedoch gelungen, an den Wassereintrittsstellen kleine Dämme aufzuwerfen. Diese hätten bis jetzt gehalten und würden weiterhin instand gehalten. Damit verabschiedete er sich von mir. Ich war wirklich froh, dass dieser beherzte Mann mit seinen Schwachhausenern die Straßen trocken halten konnte, denn so kam ich auch trockenen Fußes wieder zur Zweiten Schlachtpforte in der Redaktion zurück.
In unseren nächsten Ausgaben werden wir voraussichtlich dieses Thema den Lesern präsentieren:
- Die nächste Reportage wird sich mit den Auswirkungen der Überschwemmungskatastrophe in der Ortschaft Lilienthal befassen.
von Peter Strotmann
Eine doppelte Hochwasser-Katastrophe hielt 1880/81 die Menschen in Bremen in Atem. Nach starken Regenfällen überschwemmte die Wümme am 29. Dezember 1880 weite Teile von Schwachhausen und Findorff. Die Menschen hatten sich von dem Schock kaum erholt, als am 13. März 1881 die Weser über die Ufer trat. Unser Autor Peter Strotmann berichtet in einer neuen Serie als fiktiver Zeitgenosse über den Gang der Ereignisse.